Ein Ort der Begegnung für das zeitgenössische Theater

Ulrich Eckhardt im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 03.05.2013
Ein Forum für den Austausch der Künstler - dies war und ist die wichtige Funktion des Berliner Theatertreffens. Der frühere Intendant der Berliner Festspiele, Ulrich Eckhardt, widerspricht der oft wiederholten Phrase, das Theaterfestival in Berlin sei als "Schaufenster des Westens" installiert worden.
Jörg Degenhardt: Das halbe Jahrhundert ist voll - das Berliner Theatertreffen wird 50. Heute beginnt die Jubiläumsveranstaltung mit "Medea" vom Schauspiel Frankfurt. Bis zum 19. Mai sind zehn Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum eingeladen, ausgewählt von einer Jury aus Theaterkritikern. Einst galt das Treffen als Schaufenster des Westens, mittlerweile ist es natürlich längst mehr als das, und für Schlagzeilen hat es in der Vergangenheit beinahe regelmäßig gesorgt. Wenn das einer bestätigen kann, dann ist das Ulrich Eckhardt. Er war von 1973 bis 2000 Chef der Berliner Festspiele und damit auch eine halbe Ewigkeit verantwortlich für das Theatertreffen. Ich begrüße ihn im Studio!

Ulrich Eckhardt: Guten Morgen!

Degenhardt: Was war denn aus Ihrer Sicht der größte Aufreger in Ihrer Zeit? Über welche Inszenierung wurde am heftigsten gestritten?

Eckhardt: Eigentlich wurde über alle Aufführungen immer gestritten. Das Theatertreffen war immer ein streitbarer Ort, und das machte ja eigentlich auch den Reiz dieser Sache aus. Und schon, was Sie zu Anfang gesagt haben, kann ich nicht stehen lassen: Es war nicht das Schaufenster.

Degenhardt: Sondern?

Eckhardt: Sondern es war eigentlich mehr eine ästhetische, kulturpolitische Angelegenheit, die zur Gründung des Theatertreffens führte. Zeitgleich bemühte man sich in Frankfurt und in Berlin darum, für das deutschsprachige Theater einen Ort zu finden, wo man sich austauscht, wo man sich trifft, wo Maßstäbe entwickelt werden, weil wir ja nun in einer föderalen Situation waren, was die Kultur betrifft. Es gab nicht die eine Hauptstadt, in der alles gemacht wurde, die Moden, die Märkte und damit also auch die Rangordnungen, sondern es war nun verteilt im ganzen Land einschließlich der DDR. Man sah das damals durchaus bei der Gründung auch als eine Möglichkeit, nicht nur Schweiz und Österreich, sondern auch die DDR in dieses Treffen einzubeziehen. Und es hat ja auch Einladungen gegeben, schon gleich am Anfang, die sogar angenommen wurden, die aber nur später dann nicht realisiert werden konnten. Aber immer wieder höre ich also diese falsche Auffassung, das Theatertreffen sei gegründet worden, um dieser Inselsituation Westberlins nun barmherzig gegenüber zu sein und eine Schaufensterfunktion, die kulturelle Kraft des Westens, sollte nach Osten hin ausstrahlen. - Das gilt vielleicht für die Gründung der Festspiele insgesamt im Jahr 1951, aber schon 1963, 64 für das Theatertreffen waren es primär andere Gründe, die dazu führten: Berlin war schneller als Frankfurt, und so kam dann eben dieser Ort der Begegnung über zeitgenössisches Theater nicht in Frankfurt, sondern in Berlin zustande.

Degenhardt: Da können wir vielleicht noch genauer drauf eingehen. Sie haben das erst mal richtig gestellt, aber meine Eingangsfrage zielte ja darauf ab: Welches Ereignis hat Sie - und dazu gehören ja vielleicht auch Gespräche - am nachdrücklichsten beeindruckt in dieser langen Zeit, in der Sie mit dem Treffen zu tun hatten?

Eckhardt: Also das ist jetzt sehr schwer zu sagen. Aber mir ist besonders damals diese Aufregung um Einar Schleef in Erinnerung. Der hat ja tatsächlich mit einem solchen Furor mit einer Aufführung, die aus Wien kam, das Berliner Theaterpublikum überfahren. Das hat also, glaube ich, insgesamt die größte Kraft gehabt. Aber "Othello", dann Zadek, Wildgruber - das ist eine Sache, die man einfach nicht vergessen wird. Ich könnte weitere Aufreger natürlich hinzufügen: Schlingensief oder auch das erste Auftreten von Pina Bausch, also das war damals ein Paradigmenwechsel, den das Theatertreffen durchgeführt hat, und insgesamt kann man sagen, trotz der anhaltenden Schelte, die dieses System der Juryentscheidungen hat, man kann feststellen, dass die Jury nichts verschlafen, nichts verpasst hat. Sie ist manchmal vielleicht ein Jahr zu spät gekommen, aber sie hat eigentlich Entwicklungen, auch ganz neue, auch zunächst mal ganz ungewöhnliche Tendenzen im Theater, nicht übersehen, sondern einbezogen.

Degenhardt: Wie entscheidet denn eigentlich die Jury? Geht es da nach Qualitätskriterien, und wenn ja, nach welchen, oder geht es vor allem darum, welche Stücke den größten Gesprächswert haben?

Eckhardt: Ja, Letzteres, also hier wird gestritten und gekämpft um Positionen. Manchmal hätte ich mir gewünscht, man könnte das hören, was hinter den Kulissen hin und her in der Debatte war. Ich war ja immer dabei, und das waren lange Tage, lange Nächte, und ich habe selten erlebt, wie um künstlerische Wahrheiten so gestritten wurde.

Degenhardt: Das Theater heute, da sagen einige Leute, das hätte heute mehr mit Kunstbetrieb zu tun und weniger mit Kunst. Ist das nach Ihrer Beobachtung so und war das früher anders?

Eckhardt: Ja, es war eigentlich immer Kunst und Kunstbetrieb, auch früher schon. Also das Theatertreffen hatte eigentlich immer auch eine kulturpolitische Komponente, und nicht nur eine ästhetische. Ich finde ja sowieso, das ist eine bemerkenswerte Charakteristik des Theatertreffens, dass es eine sehr glückliche Verbindung ist von Politik, Kulturpolitik und Kunst. Denn ohne die politische oder die kulturpolitische Unterstützung und Motivation wäre das Theatertreffen keine 50 Jahre alt geworden. Es stand mehrfach vor dem Aus.

Der Angriff aufs Theatertreffen kam ja einmal von der Seite der Kunst, nämlich von den Regisseuren, die das Theatertreffen sich nicht mehr aussetzen wollten einer solchen Beurteilung durch griesgrämige Kritiker, wie sie meinten, und das andere Mal war es die Politik, die meinte, das Theatertreffen hätte jetzt seine Schuldigkeit getan, nachdem es wieder das ganze große Deutschland gibt, ganz vergessend, dass es sich ja nicht nur um ein deutsches, sondern ein deutschsprachiges Treffen handelt. Und man musste natürlich erst mal sehr viel kämpfen und sehr viel Argumentationskraft aufbringen, um das Theatertreffen über diese Hürde in den Jahren 90, 91 zu bringen. Es stand wirklich kurz davor, abgeschafft zu werden, und wir konnten es eigentlich nur damit retten, dass 3sat eine Kooperation mit dem Theatertreffen einging. Und damit war es auch für Politiker unangreifbar geworden.

Degenhardt: Was glauben Sie, wird es das Festival auch noch in 50 Jahren geben?

Eckhardt: Also Theater hat es nun wirklich schon 1.000 Jahre gegeben, und es wird es auch wahrscheinlich in 50 Jahren noch geben.

Degenhardt: Auch dieses Theatertreffen, meine ich?

Eckhardt: Vermutlich wird es dann auch noch das Theatertreffen geben, denn es ist ja wichtig, dass in einem Land, in dem so viel Theater existiert und so verstreut, dass es dann einmal im Jahr zu einer Art Jumelage kommt, wo man auch auf eine etwas heitere und gleichzeitig reflektierte Weise darüber nachdenkt, was machen wir, warum machen wir das, und wie machen wir es am besten, und wie soll es auch in der Zukunft weitergehen. Ich habe da große Hoffnungen auf eine gute Zukunft.

Degenhardt: Ulrich Eckhardt war im Studio, 28 Jahre war er Chef der Berliner Festspiele und damit auch verantwortlich für das Theatertreffen, das von heute an seine Jubiläumsausgabe, nämlich die 50., erlebt, und über die wird dann bei "Fazit" heute Abend in einer einstündigen Sondersendung ausführlich berichtet werden, bei den Kollegen, ab 23:05 Uhr hier im Programm von Deutschlandradio Kultur. Vielen Dank, Herr Eckhardt, dass Sie im Studio waren!

Eckhardt: Bitte sehr!

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