Ein opportunistischer Visionär

04.06.2009
Mit seinem Film "Serengeti darf nicht sterben", der Fernsehserie "Ein Platz für Tiere" und mit zahlreichen Büchern wurde Bernhard Grzimek zu einem Vorreiter in Sachen Naturschutz. Doch Grzimek war nicht nur Abenteurer und Visionär. Wie Claudia Sewig in ihrer Biografie "Bernhard Grzimek - Der Mann, der die Tiere liebte" zeigt, hatte der Tierfilmer und Zoodirektor viele, bis heute weitgehende unbekannte Facetten.
Niemand dürfte in der Bundesrepublik die öffentliche Diskussion über Naturschutz so nachhaltig beeinflusst haben wie der 1987 verstorbene Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek. Die Journalistin Claudia Sewig jedenfalls lässt daran in ihrer umfassenden und detailreichen Biografie keinen Zweifel. Das hat gute Gründe, denn der Zoologe war tatsächlich ein fantasievoller und strategisch geschickter Vorkämpfer für das Recht unserer Mitgeschöpfe auf ein Leben in möglichst natürlicher Umgebung.

Vor allem seine über 170 Fernsehsendungen "Ein Platz für Tiere" prägten das Bild der Deutschen von afrikanischer Wildnis, weckten Verständnis für Artenschutz und brachten Millionen Mark an Spenden für verschiedene Rettungsprojekte. Der Frankfurter Zoologe setzte sich erfolgreich für die Errichtung des ersten westdeutschen Nationalparks Bayerischer Wald ein, prangerte das Tragen von Pelzen an, forderte bessere Naturschutzgesetze, wurde unter Willy Brandt Deutschlands erster Naturschutzbeauftragter.

Sein Film "Serengeti darf nicht sterben" errang 1960 nicht nur einen Oscar als bester Dokumentarfilm, sondern half auch, diese einmalige Naturlandschaft in Tansania vor der Zerstörung zu retten. Grzimek erkannte zudem frühzeitig die Bedeutung des Naturtourismus für den Schutz der Wildnis und überzeugte afrikanische Präsidenten nicht zuletzt mit dem Argument sprudelnder Einnahmen davon, große Wildreservate zu schaffen. Also ein Held ohne Fehl und Tadel?

Ganz und gar nicht, wie seine Biografin aufdeckt. Ihre akribischen Recherchen zeigen uns einen Mann, dessen Weste doch einige dunkle Flecken aufwies. Bernhard Grzimek jedenfalls hatte keine Skrupel, sich in den ersten Jahren seiner Laufbahn den Nazis anzudienen, bereits 1933 trat er der SA, später der NSDAP bei. Das beförderte die Karriere des jungen Tierarztes im Preußischen Landwirtschaftsministerium, wo er bis zum Regierungsrat aufstieg. Nach dem Krieg, als die Anstellung als Frankfurter Zoodirektor anstand, unterschlug er seine Parteimitgliedschaft. Sie hätte ihn das Amt gekostet. Auch in seiner Biografie wird sie nirgendwo erwähnt. Claudia Sewig zeigt ihn als politischen Opportunisten, dem die NS-Ideologie offenkundig egal war. Grzimek widersetzte sich zwar nie offen, aber er wusste frühzeitig vom Vernichtungsprogramm der Nazis und half Juden heimlich.

Grzimeks Privatleben war vielschichtig und spannungsvoll. Bereits in den ersten Jahren im Staatdienst hatte er neben seiner Ehe eine feste Geliebte, mit der eine Tochter hatte, die er allerdings jahrzehntelang nicht öffentlich anerkannte. Er war ein Frauenheld, der auf das weibliche Geschlecht enorm attraktiv wirkte und das auch weidlich ausnutzte.

Claudia Sewigs Biografie zeigt Bernhard Grzimek nicht nur als begeisterten Tierfilmer, engagierten Tierschützer und Visionär des Naturschutzes, der immer wieder geschickt die Öffentlichkeit und die Medien für seine Zwecke einspannte, sondern auch als einen sehr eitlen Mann, der kindische Scherzartikel liebte. Der im Fernsehen zurückhaltend wirkende Zoologe vertrug keinen Widerspruch und agierte im Alltag wenig diplomatisch. Seine unehelichen Kinder verleugnete er lange. Genau diese Widersprüchlichkeiten aufgedeckt zu haben, ist das Verdienst von Claudia Sewig. Es ist ihr glänzend gelungen, ein facettenreiches Bild einer faszinierenden Persönlichkeit zu zeichnen.

Besprochen von Johannes Kaiser

Claudia Sewig: Bernhard Grzimek – Der Mann, der die Tiere liebte
Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 2009
447 Seiten, 22 Abbildungen, 24,95 Euro