"Ein neues Interesse an Deutschland"

Inge Feltrinelli im Gespräch mit Anke Schäfer · 09.05.2011
Wie wird Deutschland im europäischen Ausland wahrgenommen? Dazu hat das Goethe-Institut eine Online-Umfrage veranstaltet, an der sich Ende 2010 mehr als 13.000 Menschen aus 18 Ländern beteiligt haben. Heute fragen wir die in Italien lebende Verlegerin Inge Feltrinelli, was sie von den Antworten zu dieser Liste hält.
Anke Schäfer: Die deutsche Fotografin und Verlegerin Inge Feltrinelli folgte 1958 dem kommunistischen Millionär und wichtigsten Verleger Italiens, Gian-Giacomo Feltrinelli, nach Mailand. Sie hat dort nach seinem Tod den Verlag weitergeführt, in der Zwischenzeit hat jetzt Sohn Carlos die Verlagsgeschäfte übernommen. Und am 26. Mai wird sie dieses Jahr mit der renommierten Karlsmedaille für europäische Medien geehrt, einer Medaille, die jährlich an Persönlichkeiten aus den Medien geht, die sich um Integration und Identitätsbildung in Europa bemühen. Guten Abend, Frau Feltrinelli!

Inge Feltrinelli: Guten Abend, hier bin ich!

Schäfer: Fangen wir mal mit Goethe an: Laut Fragebogen des Goethe-Instituts antworten die meisten Befragten in Italien, dass Goethe der bedeutendste Deutsche sei, noch vor Einstein. Goethe soll ja auf seiner italienischen Reise die Liebe entdeckt haben, ist das vielleicht der Grund für die Italiener, ihn so zu verehren?

Feltrinelli: Nein, ich glaube, es kommt auf das berühmte Zitat an, "Das ist das Land, wo die Zitronen blühen", dahin, wo meine Liebe … Dieser wunderbare Spruch. Das ist das Zitat, was alle Italiener kennen. Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen, dahin will ich mit dir, mein Leben, oder meine Liebe, gehen, das ist dieser berühmte Spruch. Und das kennen die Italiener. Ich glaube, das ist ein bisschen ein Klischee, dass die Italiener nur Goethe lieben. Also ich glaube, sie kennen Goethe überhaupt nicht, oder ganz wenige kultivierte Menschen aus anderen Generationen. Heute die Jugend kennt ihn, glaube ich, ganz wenig.

Schäfer: Die Italiener haben aber auch auf die Frage geantwortet, welches deutsche Buch sie denn für am wichtigsten halten, das sei "Faust". Meinen Sie, viele haben "Faust" gar nicht gelesen?

Feltrinelli: Glaube ich nicht! Aber ich würde mich freuen, weil wir im Verlag das im Urtext haben, wir haben es in beiden Sprachen auf dem Markt als Taschenbuch, und es ist ein Longseller, das freut mich, wenn es das ist, aber ich bin da nicht so sehr sicher. Die Italiener sind mit klassischer Bildung nicht so wunderbar ausgestattet. Sie haben also, der italienische Goethe ist so Manzoni, und den können sie schon alle nicht mehr lesen, weil sie den pausenlos vom ersten Schuljahr, oder wann sie lesen und schreiben können, wird ihnen der eingedrescht. Also das, ich glaube nicht, dass das so ist, aber es kann sein. Jedenfalls der Spruch ist wunderbar, "Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen".

Schäfer: … ja und Sie meinen, der ist einfach so schön …

Feltrinelli: Ja, der Inbegriff des Deutschen, ich meine, die italienische Liebe für die Deutschen ist eigentlich erst in den ganz letzten Jahren entdeckt worden, die Deutschen, die Italiener waren sehr skeptisch – ich lebe seit über 50 Jahren in Italien – waren sehr skeptisch Deutschland gegenüber, auch deutschen Dichtern und Schriftstellern gegenüber, sie haben nie in Italien solchen großen Erfolg gehabt wie in anderen Ländern, Böll, Grass und so weiter.

Schäfer: Und jetzt hat sich tatsächlich eine Liebe entwickelt?

Feltrinelli: Hat sich ein bisschen entwickelt. Ich glaube, Frau Merkel ist ein großer Public-Relations-Grund. Frau Merkel hat, alle Leute sagen, oder besonders junge Leute, wir brauchen auch eine Angela Merkel. Sie ist also sehr, die Italiener sind begeistert, wie tüchtig sie ist.

Schäfer: Und gerade auch vielleicht im Kontrast zu Berlusconi?

Feltrinelli: Absolut, der ist ja …

Schäfer: Wenn man weitere Antworten auf die Fragen des Goethe-Fragebogens durchgeht, dann findet man unter den originelleren Antworten die, dass weiße Socken in Sandalen die wichtigste Erfindung aus Deutschland sei. Wie blicken denn die Italiener aus Ihrer Sicht auf die Deutschen, wenn es um Mode und um Stil geht?

Feltrinelli: Sie finden es entsetzlich, wenn die Deutschen über den Brenner kommen und sich ihre Jacken ausziehen und in Unterhemden in Restaurants sitzen und ihre kurzen Shorts anziehen mit rosa Beinen und diesen furchtbaren Sandalen mit weißen Socken. Also das ist der Abscheu, denn die Italiener haben einen wirklich eingeborenen Instinkt für Mode. Das hat nichts mit Geld zu tun, alle Italiener sind immer wunderbar angezogen. Das ist nicht eine Sache der Klasse oder des Geldes, das ist einfach Instinkt und ästhetisches Gefühl für sich selbst.

Schäfer: Weiße Socken in Sandalen, das …

Feltrinelli: … ist das Schlimmste, das ist das Schlimmste …

Schäfer: … ist aber etwas, was meistens Männer tragen. Welchen Ruf genießen denn deutsche Männer unter den Italienerinnen?

Feltrinelli: Ach Gott, eigentlich ganz gut, eigentlich ganz gut. Aber nicht sehr sexy. Sie finden sie, glaube ich, ganz schön, aber nicht sehr sexy.

Schäfer: Sie selbst haben sich einen italienischen Mann ausgesucht. Sie leben, wie Sie sagen, schon seit 50 Jahren in Italien …

Feltrinelli: … über 50 …

Schäfer: … über 50 Jahre! Gucken Sie heute mit italienischen Augen auf Deutschland?

Feltrinelli: Ja, absolut. Wenn man so lange ist, man ist, ich bin sehr, ich sage immer, ich bin milanisiert, also meine Nationalität ist Milano, die eine ziemlich europäische Stadt ist und in Italien ziemlich nördlich ist. Ich bin eigentlich sehr, ja Milanese bin ich, von Nationalität.

Schäfer: Das heißt, Sie würden auch nicht zurückgehen.

Feltrinelli: Nein, nein, kann man nicht mehr. Ich glaube, das ist eine alte Sache, man kann nicht … Wenn man von Osten nach Westen geht, kann man nicht mehr zurück, und wenn man vom Norden nach Süden geht, kann man nicht mehr zurück!

Schäfer: Nun gibt es aber natürlich auch Dinge, die den Italienern tatsächlich sehr gut an Deutschland gefallen, anders als die weißen Socken in den Sandalen. Da kommen dann Antworten, also was gefällt Ihnen gut an Deutschland, wie zum Beispiel Respekt der Regeln, Organisation, Ordnung und Sauberkeit. Das sind ja deutsche Eigenschaften, die durchaus auch kritisch gesehen werden, negativ teilweise konnotiert sind in Deutschland vor dem Hintergrund zum Beispiel des Zweiten Weltkrieges. Warum erscheinen diese Eigenschaften, also zum Beispiel Respekt der Regeln, Organisation, Ordnung, den Italienern als attraktiv?

Feltrinelli: Ja, weil es in Italien nicht so stimmt. Ich meine, die Italiener, es gibt so viele vorgefasste Meinungen, Klischees. Ich meine, es gibt eine Meinung, dass die Italiener nicht sauber sind – die Italiener ziehen sich viel öfter um als alle Engländer oder Franzosen zum Beispiel, mit Deutschland weiß ich nicht so genau; Italiener sind ungeheuer geltungsbedürftig in ihrem Äußeren, deshalb sind sie auch sauber. Und dann sagen die, auch das Klischee, die Italiener sind faul – die Italiener sind ungeheuer fleißig! Nein, in Deutschland gefällt die Ordnung, das System, die ungeheure ökonomische Leistung, die wirtschaftliche Leistung Deutschlands, deutsche Autos gefallen ungeheuer in Italien, massenhaft Golf und VW wird hier gefahren und Audi, BMW, Deutschland hat einen, die Italiener haben besonders für deutsche Effizienz, glaube ich, das ist ihr Haupt…

Schäfer: … ihr Hauptgrund für die Bewunderung? …

Feltrinelli: … für Bewunderung, absolut, ja, das glaube ich. Und ich meine, die Leute fahren gerne nach Deutschland, finden das Essen schrecklich, wie üblich, aber Italiener finden überall das Essen schrecklich, nur in Italien finden sie es gut, also …

Schäfer: … weil es ja in Italien …

Feltrinelli: … sie sind nicht neugierig auf Essen, sie wollen eigentlich nur ihr eigenes Essen. Das sind so Grundgewohnheiten. Nein, aber Deutschland hat sich ungeheuer, finden auch die Städte schön, die Städte finden sie wunderbar sauber, und es gibt ein großes, also in den letzten zehn Jahren hat es einen ungeheuren Aufschwung, wie nennt man das, ein neues Interesse an Deutschland gefunden, haben sie alle. Und reisen sehr viel, fahren, schicken ihre Kinder nach Deutschland zu Schul-Urlauben und so weiter. Ich glaube, mein kleiner Enkel ist gerade aus Deutschland zurückgekommen, der geht in die deutsche Schule in Mailand, der war begeistert in Frankfurt von seiner Schule, die war so wunderbar eingerichtet, die Infrastrukturen, es klappt alles. Der war hingerissen!

Schäfer: Das heißt also, wenn man Ihnen zuhört, ist es tatsächlich so, dass die Italiener ein positives Bild von Deutschland haben?

Feltrinelli: Absolut, absolut. Und das war, ich habe in meinem Anfang hier in Italien es sehr schwer gehabt. Die italienischen Intellektuellen bis in die 80er-Jahre waren gegen Deutschland. Also man hat den Nazismus nicht verziehen, absolut nicht. Und man war auch gegenüber Schriftstellern sehr, sehr kritisch. Günter Grass, den wir verlegt haben, hat es hier selbst im Land erlebt.

Schäfer: Wie wird denn der Rechtsradikalismus gesehen? Also dass der negativ bewertet wird, das geht auch aus dem Fragebogen des Goethe-Instituts hervor. Ist das ein Thema, wenn Sie in Diskussionsrunden oder an, ja weiß ich nicht, Abendessen teilnehmen?

Feltrinelli: Nein, also überhaupt nicht. Denn der ist ja minimal, der Rechtsradikalismus in Deutschland. Im Vergleich zu Deutschland sind die Italiener, haben die viel mehr wichtige rechtsradikale Parteien, wie die Lega, und so weiter. Ich würde sagen, Deutschland hat sich ungeheuer demokratisiert in den letzten 50 Jahren, unglaublich, das ist ein absolut demokratisches Land, und man hat keine Angst vor neuem Nazismus und irgendwelchem Chauvinismus, deutschem, das ist absolut … Und man hat auch keine eigentlich, im Vergleich zu den Franzosen, die Italiener haben auch keine Angst vor der Übermacht von Deutschland, überhaupt nicht.

Schäfer: Inge Feltrinelli, sie ist Verlegerin und Fotoreporterin, lebt in Mailand und hat mit uns über Deutschland gesprochen anlässlich der Deutschland-Liste des Goethe-Instituts. Frau Feltrinelli, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Feltrinelli: Ja, vielen Dank, also ich bin sehr fürs Goethe-Institut, das Goethe-Institut ist für mich die beste Institution.

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