Ein neuer Blick auf New York und seine Widersprüche

07.09.2011
Der Fotograf Yann-Arthus-Betrand, der vor einigen Jahren mit einer Fotostudie in Paris großes Aufsehen erregte, widmet sich in diesem Band der beeindruckenden Architektur New Yorks. Aus der Vogelperspektive zeigt er Häuser, Schluchten und verkommene Spielplätze. Texte von John Tauranac liefern ergänzende Informationen.
Manche Städte sind im kollektiven Bildgedächtnis so präsent, dass selbst die Menschen, die noch niemals dort waren, sich in ihnen zurechtzufinden glauben: New York etwa mit seinem schier endlosen Straßenraster. Auch deswegen waren die Anschläge vom 11. September ein so tiefer Einschnitt. Die gigantischen, ziellosen Staub- und Trümmerwolken waren der klaren Struktur des New Yorker Stadtplans und seiner zivilisatorischen Versprechungen so entgegengesetzt wie nur irgendetwas.

In seinem neuen Bildband "New York von oben" zeigt Yann Arthus-Bertrand dann auch einen der Neubauten des World Trade Centers, eine der uninspirierten Glaskisten, die der Investor Larry Silberstein hier entstehen lässt. Silberstein hat die Gelegenheit ausgeschlagen, den Neubau der Viertel am Hudson-River zu einem Fanal einer neuen Stadt werden zu lassen, wie es die New Yorker Öffentlichkeit bis heute verlangt.

Dass Arthus-Bertrand und sein Texter John Tauranac Silbersteins intriganten Kampf um immer noch mehr Bürofläche in ihrer Bildbeschreibung auch noch zur Heldentat verklären, ist erst einmal durchaus ärgerlich. Ebenso ärgerlich wie die hemmungslose Selbstverherrlichung New Yorks in den Texten bis hin zum Hinweis auf die tollen 55 Hundeauslaufstellen. Auch die kunsthistorischen Fehler - Neubarock und Neuromanik sind durchaus etwas unterschiedliches - sowie das Auslassen von Architektennamen, die Absenz von Plänen und Grundrissen machen den im Untertitel verkündeten Anspruch, eine Architekturgeschichte der Stadt zu liefern, absurd.

Es geht eben vor allem um die Fotografien. Es sind Luftaufnahmen, die sich oft über zwei Seiten des mehr als DIN-A-3 großen Bandes ziehen: size matters, der alte Wahlspruch der New Yorker gilt auch für diese Bilder, die teilweise einen wirklich neuen Blick auf die Stadt und ihre Widersprüche bieten. Es fehlt keiner der Klassiker der Hochhausarchitektur, vom Chrysler über das Empire State bis zum Sekretariat der Vereinten Nationen.

Yann Arthus-Bertrand zeigt aber darüber hinaus immer wieder zwischen all den im Abendlicht glitzernden Art-Deco-Türmen auch die seriellen, geometrischen Formen, das unerhört Harte der Stadtarchitektur, die absurde Romantik des Belvedere Castle im Kontrast zum Kreuzraster der Ziegelwohnhäuser von Peter-Stuyvesant-Town. Dass sich in dieser Stadt gerade einer der heftigsten Kämpfe zwischen den Anhängern eines sozialen Wohnungsbaus und der Ideologie des freien Markts abspielt, kann man allerdings nicht sehen, dafür ist die Luftperspektive zu abgehoben, selbst dann, wenn man wie Arthus-Bertrand gerade wegen des Blicks für das Detail bekannt geworden ist: Vor einigen Jahren erregte die fotografische Studie "Einer unter sechs Milliarden Menschen" in Paris großes Aufsehen.

Doch in seinem neuen Band bleibt es beim Blick von Außen - auf die Terrassen der Luxuswohnungen und die verkommenden Spielplätze, betonierte Parkanlagen, die keinen Millimeter Chaos zulassen, weswegen die Sonnenbadenden im Central Park eine solche Erholung sind.

Besprochen von Nikolaus Bernau

Yann Arthus-Bertrand, John Tauranac: New York von oben. Eine Architekturgeschichte
Knesebeck Verlag, München 2011
216 Seiten, 60 Euro

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