Ein Muss für alle "Bernhardiner"

17.11.2008
Die Bildbiografie "Thomas Bernhard" ist ein wahrer Prachtband. Während Wieland Schmied im Text die Zäsuren in Bernhards Leben beschreibt, werden sie von den Fotos von Erika Schmied bebildert. Sie zeigen auch, dass der Tod sowohl Begleiter wie Herausforderer des Schriftstellers war, der zeitlebens vom Erstickungstod bedroht war.
"Die Kindheit ist das finstere Loch, in das man von seinen Eltern hinuntergestoßen worden ist und aus dem man ohne jede Hilfe wieder herauskommen muß," heißt es in Thomas Bernhards Roman "Alte Meister". Bernhard hat es seiner Mutter nie vergessen, dass sie ihn als Kleinstkind weggeben hat.

Die Mutter flieht den "Ort ihrer Schande" und entbindet am 9. Februar 1931 Thomas Nicolaas Bernhard im holländischen Herleen (Holland). Nicht zur Mutter, sondern zum Großvater, dem Schriftsteller Johannes Freumbichler, hat Bernhard eine innige Beziehung. Sehr früh ist Bernhards Kindheit nicht nur von der Erfahrung überschattet, dass man ihn alleingelassen hat, sondern auch vom Tod.

Seine Lebensgeschichte, der die Todeserfahrung eingeschrieben ist, beschreibt Thomas Bernhard in seiner fünfbändigen Autobiografie. Als erster Teil erscheint 1975 "Die Ursache". Es folgen 1976 "Der Keller", 1978 "Der Atem", 1981 "Die Kälte" und schließlich 1982 "Ein Kind".

Die opulente Bildbiografie von Erika und Wieland Schmied "Thomas Bernhard. Leben und Werk in Bildern und Texten", ein wahrer Prachtband, zeichnet im ersten Teil die Lebensgeschichte Bernhards nach, wozu auf die fünfbändige Autobiografie des Autors zurückgegriffen wird. Dabei konzentriert sich Wieland Schmied in seinen Texten darauf, die Zäsuren in Bernhards Leben herauszuarbeiten, indem er entscheidende Zitate aus seinem autobiografischen Werk in Erinnerung ruft. Demütigende Internatserfahrungen, der Tod des Großvaters, von dem er erfährt, als er selber todkrank im Krankenhaus liegt, sind Grunderlebnisse des Heranwachsenden. Der Tod wird zu Bernhards ständigem Begleiter und zu seinem Herausforderer: Zeitlebens vom Erstickungstod bedroht, bedeutet atmen für Bernhard die Möglichkeit, schreiben zu können.


Die ersten schriftstellerischen Erfolge Bernhards zeichnen sich Mitte der sechziger Jahre ab (1963 erscheint der Roman "Frost"). Von dem mit 10.000 Mark dotierten Julius-Campe-Pries, den er 1964 für "Amras" erhält, will sich Bernhard in Ohlsdorf den Vierkanthof Obernahtal 2 kaufen. Aber es fehlt für den 200.000 Mark teuren Hof die restliche Summe. Wie es Bernhard versteht, einen Teil des Geldes dem kranken Siegfried Unseld mit kaufmännischem Geschick zu entlocken, daran erinnert Wieland Schmied im zweiten Teil des Buches "Das Leben in Oberösterreich".

Bernhard wollte von Unseld 40.000 Mark als Vorschuss. Unseld, der zu dem vereinbarten Treffen mit 40 Grad Fieber erschien, kam Bernhards Wunsch schließlich nach, was den Autor diebisch freute. Es war ihm gelungen, vom kranken Verleger für jeden Fiebergrad 1000 Mark zu bekommen. Von dem Geld kauft Bernhard seinen ersten Hof. Es ist der Auftakt zu einer "Sammlung", dem weitere folgen: Die Krucka auf dem Grasberg und das Quirchtenhaus in Ottnang. Um die Höfe finanzieren zu können, ist Bernhard gezwungen, Schulden zu machen. Skrupel hat er nicht, denn die Schuldenlast ist ihm ein zusätzlicher Antrieb, sich durch Schreiben abzuarbeiten.

Die Fotos von Erika Schmied zeigen Bernhards Höfe, wobei sie auch Einblicke in die Privatsphäre gestattet: Der Schuhfetischist Bernhard besaß an die 50 Paar Schuhe, hatte Dutzende von Hüten und Sakkos, und er war Eigentümer eines Traktors, an dem er ein Schild mit der Aufschrift angebracht hatte: Thomas Bernhard vlg. Bauer zu Nathal, 4694 Ohlsdorf, Obernathal 2.

Der dritte und letzte Teil des Buches fragt nach der "Rolle der Orte in Thomas Bernhards Prosa". Wieland Schmied sucht in Bernhards Prosa nach Orten, die in seinen Texten bedeutend sind und kommentiert die Textstellen. Erika Schmied wiederum hat die Gegenden aufgesucht, die Bernhard inspiriert haben.

Herausgekommen ist ein besonders schönes Buch. Es setzt auf die Wirkkraft der Bilder. Doch erst im Ensemble von Schrift und Bild eröffnet sich dem Leser ein wichtiger Teil der Welt, die Thomas Bernhard geprägt und der er Ausdruck verliehen hat. Eine ganz wunderbare Einführung in das Werk des "Alpenbecketts", ein Muss für alle "Bernhardiner".

Rezensiert von Michael Opitz

Erika Schmied (Fotografie)/Wieland Schmied (Text)
Thomas Bernhard. Leben und Werk in Bildern und Texten

Residenz Verlag, St. Pölten – Sazburg/ 2008
314 Seiten, 49,90 EUR