Ein Monat Donald Trump

Jeden Morgen eine andere "dumme Idee"

US-Präsident Donald Trump hält eine Pressekonferenz im Weißen Haus.
Donald Trump: Keine Koordination, keine kohärente Idee, keine Linien © imago / UPI Photo
Hans Ulrich Gumbrecht im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 20.02.2017
Der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht hat sich vorgenommen, US-Präsident Donald Trump genau zu beobachten. Bisher konnte er noch keine Linie oder Muster in Trumps Handeln entdecken. Sein Fazit des ersten Monats Trump: "Totales Chaos".
Donald Trump regiert nun seit einem Monat das mächtigste Land der Welt, die USA. Es ist ein gespaltenes Land. Wie gespalten, hat der Deutsch-Amerikaner Hans Ulrich Gumbrecht, Professor für Literatur an der Stanford University, erst nach dem Regierungsantritt wirklich begriffen, wie er im Deutschlandradio Kultur sagte. Er hatte zuvor in seiner "Universitäts-Welt" überhaupt nur zwei Menschen getroffen, die Trump wählen wollten:
"Ich sehe diese Leute nicht, die Trump bejubeln, und diese Leute, die Trump bejubeln, sehen mich nicht."
Seitdem hat Gumbrecht Trump genau beobachtet. Und er hat noch keine Linien, keine Muster im Handeln des neuen US-Präsidenten entdecken können:
"Man hat den Eindruck, er wacht jeden Morgen auf und hat irgendeine andere dumme Idee."

Disparat, eigenartig und unkontrolliert

Auch in Trumps Beraterkreis gebe es keine Koordination, es sei ein "totales Chaos", sagte Gumbrecht. Insgesamt sei noch kein Präsident der USA und vielleicht der gesamten westlichen Welt jemals so "disparat, eigenartig und unkontrolliert" gewesen.
Hans Ulrich Gumbrechtsteht an einem Pult und hält eine Rede.
Hans Ulrich Gumbrecht von der Stanford University© dpa/picture alliance/Rumpenhorst
"Faszination" empfindet Gumbrecht für die Frage, was daraus entstehen könnte:
"Eine geradezu ironische Erwartung wäre sich vorzustellen, dass überhaupt nichts passiert. Und dass man dann sieht, dass die Politik eigentlich nicht mehr so zentral ist, wie man sich vorgestellt hat."
Gumbrecht will nun die richtigen Begriffe für die Analyse des Phänomens Trump finden. Ein Faschist, wie in Europa oft gesagt werde, sei Trump nicht, betonte er. Denn Faschisten seien "kohärente" Ideologen. Trump fälle hingegen beständig kurzfristige Entscheidungen, die alle "resonanzorientiert" seien. Das sei tatsächlich neu – das habe es so noch nicht gegeben.

Aus einer anderen Perspektive beleuchtete Jeff Mason das Phänomen Trump. Der Präsident der Korrespondenten-Vereinigung im Weißen Haus antwortete im Deutschlandradio Kultur auf Trumps Vorwurf, die Presse und das "Ausmaß an Unehrlichkeit" sei "außer Kontrolle":
"Wir haben die Aufgabe, über das Weiße Haus zu schreiben, über Trump zu schreiben, die Wahrheit zu berichten, und das machen wir." Audio Player

(ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Wir drehen die Zeit noch mal kurz zurück und denken uns einen alternativen Verlauf der Geschichte. (Einspieler: "Thank you so much!") Jubelrufe für Hillary, tja, hätte sein können, aber diese Aufnahme, die stammt aus dem Jahr 2000, als Hillary Clinton Senatorin für New York wurde. Präsidentin ist sie bekanntermaßen nicht geworden, sondern Donald Trump, der ist es geworden. Heute genau einen Monat bekleidet er das Amt im Weißen Haus. Das kann man bei aller Zurückhaltung sagen: ungewöhnlicher Amtsantritt. Vier Wochen, die der deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftler an der Stanford-Universität Hans Ulrich Gumbrecht ganz bewusst so detailliert wie möglich beobachtet hat. Wir sind jetzt live verbunden. Guten Morgen, guten Abend, Herr Gumbrecht!
Hans-Ulrich Gumbrecht: Guten Morgen, guten Abend an Sie!
Frenzel: Was war Ihr stärkstes Gefühl in diesen vier Wochen – Staunen, Entsetzen oder vielleicht auch manchmal Faszination?

Bleischwere, Peinlichkeit und Faszination

Gumbrecht: Also am Anfang, als es sozusagen wahr geworden ist, man wusste ja seit der Wahl im November, dass Trump Präsident wird, aber dann am Tag der Inauguration war ich nicht erschrocken, sondern es war so von dem Tag an und dann vielleicht eine Woche eben wie eine Bleischwere. Die Peinlichkeit als "american citizen" so einen Präsidenten zu haben … man weiß nicht richtig, was sich einspielt. Mittlerweile muss ich sagen, ist das … auf der einen Seite ist so eine Faszination, aber ich meine Faszination in dem Sinn, dass noch kein Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten, oder vielleicht überhaupt der westlichen Welt, so disparat, so eigenartig, so unkontrolliert war, und Faszination jetzt in dem Sinn, was kann daraus entstehen?
Eine geradezu ironische Erwartung oder Einstellung wäre, sich vorzustellen, dass überhaupt nichts passiert und dass man dann sieht, dass die Politik eigentlich nicht mehr so zentral ist, wie man sie sich vorgestellt hatte, ist natürlich auch eine Wunschvorstellung, aber es ist jetzt einen Monat her, und im Land ist eigentlich … neben viel Aufregung hat sich, also in meinem Leben hat sich nichts geändert.
Frenzel: Wenn man sich anschaut, was schon passiert ist in diesen ersten vier Wochen, die kann man ja ganz unterschiedlich lesen. Chaos ist ein Begriff, der häufig fällt – ist es das oder erkennen Sie Linien, erkennen Sie Muster?
Gumbrecht: Nein, absolut nicht. Ich glaube tatsächlich, ich meine, vor dem Regierungsantritt wusste man nicht, gibt es sozusagen einen geheimen Plan, der dann sichtbar wird, wenn Trump Präsident ist, aber man hat den Eindruck, er wacht jeden Morgen auf und hat irgendeine andere dumme Idee. Also ruft dann den Ministerpräsidenten von Taiwan an, vielleicht ohne zu wissen, was die Konsequenzen sind, oder kündigt an, dass man also einen Einwanderungsstopp verhängt, der juristisch nicht möglich ist, oder auch die Auswahl der Minister. Also bisher sind etwa die Hälfte der Berater oder Minister, die er ernennen wollte, entweder nicht durchzusetzen gewesen bei der eigenen Partei, die ja die Mehrheit im Kongress und im Senat hat, oder haben schon vorher die Flinte ins Korn geschmissen.

Keine Koordination unter den Beratern

Also ich glaube, es ist tatsächlich nur eine Konsistenz und eine Konvergenz, und das ist das totale Chaos, und es gibt ja auch ganz offensichtlich innerhalb des relativ kleinen Kreises von Beratern, die Trump ernannt hat – also es ist ein kleinerer Kreis als vorige Präsidenten – keinerlei Koordination. Es gibt dauernd Skandale, dass also irgendjemand was sagt, was von anderen dann widersprochen wird. Also Chaos ist schon der Eindruck, und ich glaube, auch nach einem Monat hat man nicht mehr den Eindruck, dass am Ende sich also noch eine ganz großartige oder auch eine ganz furchtbare Linie herausstellt.
Frenzel: Man könnte aber natürlich auch vermuten, dass das ein ganz bewusst und kalkuliertes Chaos ist, das da angewandt wird, nämlich mit einem Ziel: das zu tun, was Donald Trump ja immer angekündigt hat, da in Washington richtig aufzuräumen, alles durcheinander zu bringen, am Ende mit dem Ziel, vielleicht das System nicht konstruktiv zu verändern, aber es massiv zu beschädigen.
Gumbrecht: Ja, ich glaube aber, nicht mal das … Also ich meine, er hat viele Sachen gesagt im Wahlkampf. Ich glaube, er hat immer das gesagt, was die stärkste Resonanz erzeugt hat. Ich denke, also wenn man das System nachhaltig beschädigen wollte, müsste man sich auch anders verhalten.
Richter Neil Gorsuch spricht mit US-Präsident Donald Trump. Trump hatte den 49-jährigen für den vakanten Posten am Obersten Gericht vorgeschlagen.
US-Präsident Donald Trump mit dem von ihm ausgewählten Richter Neil Gorsuch: Jede zehnte Entscheidung ist passabel© AFP
Er hat jetzt zum Beispiel – also das gehört auch zum Chaos dazu –, der Bundesrichter, den er ernannt hat – das ist zwar ein konservativer Bundesrichter, also der sozusagen der republikanischen Seite zugerechnet wird, aber ein durchaus kompetenter Bundesrichter –, das gehört sozusagen auch zum Chaos, also jede zehnte Entscheidung ist gar nicht so schlecht.
Also ich glaube auch nicht, dass es eine Strategie gibt, die Institutionen zu ruinieren, sondern es ist einfach passiert, dass jemand, der keinerlei politische Erfahrung hat und auch offenbar kein Interesse daran hat, zu sagen, über mehr als jeweils den nächsten Tag hinaus Strategien zu haben, der ist Präsident des mächtigsten Landes der Welt geworden.

Hoffen auf den Konflikt zwischen Bannon und Trump

Das ist schon eine sehr eigenartige Situation, aber ich meine, es gibt den Bannon, also den "advisor", der sozusagen der Ideologe ist. Der hat wahrscheinlich eine kohärente Vision. Man könnte hoffen, dass er und Trump in einen Konflikt geraten, weil irgendwann muss er dem Trump sagen, dass, was er sozusagen jeden Tag twittert, insgesamt inkohärent ist. Vielleicht ist da ein Konflikt angelegt, aber ich denke, der Präsident, die Gestalt des Präsidenten lässt sich nur mit dem Begriff Chaos beschreiben.
Steve Bannon, hier 2010 als Redner bei einer Veranstaltung der Tea-Party-Bewegung
Trumps Chefstratege Steve Bannon© Imago / Zuma Press
Frenzel: Ein Chaos, das aber durchaus immer wieder bejubelt wird. Es gab gerade am Wochenende jetzt diese Bilder in Florida, Donald Trump, der sich da seinen Anhängern gestellt hat, der dort letztendlich dieses Chaos als einen erfolgreichen Regierungsauftakt verkaufen konnte. Wir haben anfangs gespielt mit diesem alternativen Ende, wenn Hillary Clinton gewonnen hätte – diesen Teil Amerikas, diese Bevölkerung, diese nach Umfragen immer noch 40 Prozent, die hinter ihm stehen, die gibt es ja.
Gumbrecht: Die gibt es. Also es ist tatsächlich so, mir ist das jetzt erst nach dem Regierungsantritt bewusst geworden, wie gespalten das Land in dieser Hinsicht ist. Also ich habe einschließlich der Vorwahlen in meiner Welt – also der Universitätswelt – nur zwei Leute überhaupt je getroffen, die mir gesagt haben: Ich wähle Trump. Also ich sehe diese Leute nicht, die Trump bejubeln, und diese Leute, die Trump bejubeln, sehen mich sozusagen nicht.
Das ist auch … also deswegen habe ich vorhin von Faszination gesprochen, nicht von positiver Faszination, also wie lange sich diese Unterstützung aufrechterhalten lässt, denn ich glaube, dass viele der Erwartungen, die Trump geweckt hat, sicher nicht erfüllt werden.
Wie lange diese Resonanz funktioniert, ist nicht abzusehen. Auch wie lange die Akkumulation von Fehlentscheidungen sozusagen sich tragen lässt, also von den Institutionen getragen wird. Das sind tatsächlich neue Phänomene, und man hat, glaube ich, auch keine Erfahrungswerte in dieser Sache.
Frenzel: Sie haben sich vorgenommen, mit der Wahl Donald Trumps, mit dem Amtsantritt, jeden Schritt genau systematisch zu beobachten. Jetzt frage ich das in alle Richtungen, die Richtung, wie wir das eigentlich noch durchhalten, nach vier Wochen schon, für die nächsten vier Jahre, aber was ist denn Ihre Perspektive? Werden Sie das durchhalten, diesen Präsidenten so eng und so genau beobachten zu können über die nächsten Jahre?

Die stimmigen Begriffe finden

Gumbrecht: Na ja, ich weiß, es ist nicht mein Hauptberuf, aber ich versuche also auf der einen Seite, mich nicht dran zu gewöhnen, also zu beobachten, und auf der anderen Seite also nicht Begriffe anzuwenden, die irgendwie nicht stimmen.
Also zum Beispiel wird in Europa und auch bei uns sehr viel gesagt, der ist ein Faschist. Nein, also Faschisten sind kohärenter sozusagen. Also als Adolf Hitler und Goebbels und Göring an die Macht gekommen waren, gab es einen gewissen Plan, und es gab eine kohärente Ideologie.
Das ist, denke ich, tatsächlich neu, das hat es noch nicht gegeben, dass jemand mit diesen ganz kurzfristigen Entscheidungen, die immer resonanzorientiert sind … also er möchte immer irgendwelche Beistimmung. Nicht Beistimmung unter dem Beraterkreis sondern unmittelbare Beistimmung, deswegen auch diese Twitter-Kommunikation, und das meine ich: Also, na ja, gut, als Intellektueller sozusagen, als beruflicher Intellektueller, der ich bin, ist das eine gewisse Aufgabe, nicht einfach Begriffe zu verwenden, die man aus anderen Situationen heraus gebildet hat, sondern genau zu beschreiben, was da vorgeht und vielleicht dann … Es ist ja möglich, in zwei, drei Monaten, dass man absieht, was sich da einstellen kann. Also absieht zum Beispiel, wie lange das tragbar ist.
Frenzel: Der Literaturwissenschaftler und Stanford-Professor Hans-Ulrich Gumbrecht. Das Gespräch haben wir heute Morgen kurz nach fünf Uhr geführt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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