"Ein Modell, das wir nicht haben wollen"

Ulrich Battis im Gespräch mit Hanns Ostermann · 27.11.2009
Vor der Entscheidung im ZDF-Verwaltungsrat über eine mögliche Vertragsverlängerung von Chefredakteur Nikolaus Brender hat der Staatsrechtler Ulrich Battis den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch kritisiert. "Er missbraucht die Situation", sagte Battis.
Hanns Ostermann: Können Sie sich vorstellen, dass sich Thomas Gottschalk, Günther Jauch oder Harald Schmidt von einem Außenstehenden in die Arbeit hineinreden lassen, so nach dem Motto: Thomas, du lädst die völlig falschen Gäste ein, Günther, kümmere dich gefälligst um dieses oder jenes - und seid ihr nicht willig, na ja, wir finden ja auch andere. Die drei Fernsehgrößen würden sich diese Einwürfe mehr oder weniger scharf verbitten. Seit Monaten schon sorgt der Fall Brender für Zündstoff. Es geht um die Vertragsverlängerung von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender.

Für ihn macht sich nicht nur der Intendant des Hauses stark, auch viele bekannte Fernsehleute stehen hinter ihm. Das Problem ist nur, dass sich die CDU-Mehrheit des entscheidenden Verwaltungsrates gegen Brender auszusprechen scheint. Heute tagt das Gremium, und zu denen, die mit gewisser Spannung auf das Ergebnis warten, gehört Professor Ulrich Battis. Er ist Staats- und Verwaltungsrechtler an der Humboldt-Universität in Berlin. Guten Morgen, Herr Battis!

Ulrich Battis: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Sie haben zusammen mit vielen anderen Juristen in einem offenen Brief darauf hingewiesen, der Fall Brender sei ein Prüfstein für die Rundfunkfreiheit. Warum?

Battis: Nun, wir haben in Deutschland ein besonderes Rundfunkmodell, nämlich das Modell des staatsfernen Rundfunks, das heißt eben das Gegenbeispiel, das Gegenmodell zum Staatsrundfunk, im Regierungsrundfunk, in dem die Regierung angibt, vorgibt, was zu geschehen hat. Dieses Modell ist seinerzeit von den Briten nach dem Vorbild der BBC bei uns eingeführt worden, und wir erleben jetzt, dass ein Fall ansteht, der dieses Modell ernsthaft infrage stellt.

Ostermann: Aber es ist doch ein normaler demokratischer Vorgang, sich Mehrheiten zu organisieren, und das macht Roland Koch, der hessische Ministerpräsident, in diesem Gremium des Zweiten Deutschen Fernsehens. Das heißt, er nutzt doch möglicherweise die Rechtslage nur maximal aus?

Battis: Er missbraucht die Situation, und zwar aus einem einfachen Grund: Die Parteien sollen mitwirken auch am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber sie sollen dort nicht die Mehrheit haben, sie sollen im Rundfunk lediglich – so ist es auch in den Gremien vorgesehen, in den Statuten – sie sollen dort lediglich beteiligt sein neben anderen gesellschaftlichen Kräften. Das ist das Entscheidende.

Das Modell des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist eben so - anders als im Parlament, wo es nur Parteien gibt und Parteienvertreter -, im Rundfunk wirken alle gesellschaftlichen Kräfte mit. Und eine dieser Kräfte sind die Parteien, und die haben aber hier konkret beim ZDF die Mehrheit, und zwar eine Partei. Und das soll gerade nicht sein.

Ostermann: Herr Battis, jetzt spielen Sie doch bitte den Advocatus Diaboli! Welche Argumente könnte Roland Koch ins Feld führen, neben der Quote, die angeblich nicht gut ist?

Battis: Nun, er kann ganz einfach sagen, dieser Verwaltungsrat ist zuständig für die Bestellung des Chefredakteurs, und das ist eine Personalentscheidung, und die fällen wir jeden Tag und deshalb machen wir das hier auch. Und ich habe die Mehrheit, und Mehrheit ist Mehrheit.

Ostermann: Das könnte er machen, und Sie würden sozusagen als sein Vertreter oder als sein Anwalt auch genauso argumentieren?

Battis: Nein, ich würde das Mandat in diesem Falle nicht übernehmen.

Ostermann: Aber man muss ja wohl auch sagen, dass dem Chefredakteur des ZDF, dass Nikolaus Brender möglicherweise zum Verhängnis wird, was im Prinzip als Tugend bei uns in diesem unserem Lande bezeichnet wird, nämlich journalistisch unabhängig zu sein, sowohl nach links wie auch nach rechts hin.

Battis: Ja, das ist ja genau der Punkt. Deshalb haben wir uns doch überhaupt so geäußert, weil es in diesem Falle offenkundig ist. Ich meine, dass es Einflüsse gibt und parteipolitische Einflüsse, das weiß man doch. Und das auch nicht völlig zu unterbinden, das ist auch in Ordnung.

Dass das auch nicht alles völlig illegitim ist, ist auch offenkundig. Aber es geht in diesem Fall darum, dass jemand unabhängig ist und dass hier offensichtlich ein Exempel statuiert wird und dass für mich das Herausragendste war, dass Roland Koch in einer Äußerung in einem Interview noch gesagt hat, und dass sich etwa Frau Illner und noch jemand, dass die sich für den Chefredakteur eingesetzt haben, damit haben sie sich keinen Gefallen getan. Wissen Sie, so gehen Lehrer mit ungezogenen Kindern um, oder Eltern, eigentlich sehr autoritäre Eltern. Und das ist ein Modell, das wir nicht haben wollen.

Ostermann: Nun wissen wir beide nicht, wie sich der Verwaltungsrat heute äußert und entscheidet. Hätte Herr Brender eine Chance bei einem arbeitsgerichtlichen Verfahren?

Battis: Das … Wissen Sie, vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand, aber da sind sehr viele Unwägbarkeiten. Wahrscheinlich käme es wie immer beim Arbeitsgericht zu einem Vergleich.

Ostermann: Heide Simonis, die frühere Ministerpräsidentin, hat einmal festgestellt, so ein Verhalten – das von Roland Koch – mache auf Dauer den ganzen Politikbetrieb kaputt. Würden Sie auch so weit gehen?

Battis: Nun, so weit würde ich nicht gehen. Es macht nicht den Politikbetrieb kaputt, aber es stört, und es macht ein Stück kaputt vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Und das ist noch nicht die ganze Politik.

Ostermann: Der Staats- und Verwaltungsrechtler Ulrich Battis war das im Gespräch von Deutschlandradio Kultur. Er lehrt und forscht an der Humboldt-Universität in Berlin. Herr Battis, danke Ihnen für das Gespräch und einen schönen Tag!

Battis: Dankeschön, wiederhören!

Ostermann: Wiederhören!