Ein Mini-U-Boot soll Krebszellen jagen

Von Lutz Reidt · 07.06.2011
Eine Reise durch die Blutbahnen eines Menschen? Bislang ist das reine Science-Fiction. Doch Karlsruher Forscher aus dem Bereich der Nanotechnik verfolgen eine solche Idee. Sie wollen ein U-Boot entwickeln, um damit im Körper auf Krebszellen-Jagd zu gehen.
Aussehen könnte es wie ein U-Boot von Höhlenforschern - nur wesentlich kleiner, geradezu winzig, höchstens einen Millimeter groß. Es werden auch keine finsteren Karsthöhlen sein, durch die es driften soll, sondern der menschliche Körper - das feine Geflecht der Adern und Venen.

Das winzige U-Boot ist auf der Suche nach Krankheitserregern, nach Viren und vor allem nach Krebszellen. Denn Nautilos soll arbeiten wie eine künstliche Fresszelle - nur sehr viel effizienter als die Immunabwehr des menschlichen Körpers:

"Krebszellen werden nicht immer von den körpereigenen Fresszellen erkannt als solche; sonst gäbe es ja keinen Krebs, denn die körpereigenen Fresszellen oder T-Zellen würden die Zellen direkt unschädlich machen."

Der Physiker und Ingenieur Christian Karnutsch ist der geistige Vater von Nautilos. Auf die Idee kam der Forscher jedoch nicht beim Betrachten einer Hollywood-Fiktion. Vielmehr war es der plötzliche Krebstod seines Schwiegervaters, der ihn darüber nachdenken ließ, so etwas wie eine künstliche Fresszelle zu entwickeln - eine miniaturisierte Diagnose- und Therapie-Einheit, die fortwährend das Blut im Körper analysieren und aufgespürte Krebszellen umgehend mit winzigen Laser-Kanonen eliminieren soll:

""Nautilos ist sozusagen eine Art höhere Intelligenz, wo wir das gesamte Wissen der Welt auf einen Chip packen können, wie eine riesengroße Bibliothek, die digitalisiert und verkleinert Nautilos mitgegeben wird, wo er dann, wenn er eine Krebszelle sieht, nachschlagen kann: Wie sieht die aus? Das ist jetzt zum Beispiel eine Darmkrebszelle oder eine Metastase von einem Brustkrebs oder so; und das schaffen die körpereigenen Zellen offensichtlich nicht."

Christian Karnutsch lehrt und forscht am Institut für Optofluidik und integrierte Nanophotonik an der Hochschule Karlsruhe. Sein Projekt "Nautilos" steht für "nahezu selbstständiges injizierbares optofluidisches System". Der Name ist eine Anlehnung an Nautilus - jenes U-Boot, mit dem Kapitän Nemo in einigen Science-Fiction-Romanen von Jules Verne unterwegs war.

Und das Cockpit von Nautilos wäre vollgepackt mit winzigen High-Tech-Utensilien:

"Man würde ein miniaturisiertes Funkgerät sehen, einen winzig kleinen Computer, man würde die Kamera sehen - ähnlich wie bei einer normalen Digitalkamera; die Beleuchtungseinheit, und das allerwichtigste von Nautilos wäre dieser "lab on a chip", das biomedizinische Analyselabor; und das muss auf einen winzigen Chip passen. Und das ist eigentlich die größte Herausforderung bei Nautilos: Man muss eine biomedizinische Analyse haben - das ist heutzutage aber so groß wie ein großer Raum; und das muss nachher auf einen Millimeter mal Millimeter passen, zusammen mit allen anderen Komponenten."

Das klingt alles nach Science-Fiction - und das ist es auch. Bislang zumindest. Die Karlsruher Forscher gehen davon aus, dass es 20 bis 25 Jahre dauern dürfte, bis Nautilos im menschlichen Körper auf Krebszellen-Jagd gehen könnte.

Gegenwärtig sammelt das Team um Christian Karnutsch Informationen über den gegenwärtigen Kenntnisstand, von dem Nautilos profitieren könnte. Denn weltweit arbeiten Forscher in der Elektro-, Computer- und Medizintechnik fieberhaft daran, bereits vorhandene Technik erheblich zu verkleinern:

"Forscher in den USA haben ein Getriebe mit Zahnrädern so stark miniaturisiert, dass wenn man da eine Ameise draufsetzt, sieht die aus auf diesem Getriebe wie King-Kong in New York. Die Ameise ist gigantisch, riesig im Vergleich zu diesen Miniaturgetrieben; und ein mögliches Anwendungsgebiet für diese Getriebe wäre zum Beispiel in winzig-kleinen Pumpen; im medizinischen Bereich oder überhaupt, wo man kleine Flüssigkeitsmengen transportieren muss - also auch in der in biomedizinischen Sensorik."

Und somit könnten diese Mini-Pumpen das Blut zur Analyse-Einheit von Nautilos transportieren.

Die bislang erzielten Forschungserfolge in der Mikrosystemtechnik könnten auch helfen, Nautilos auf seinem Weg durch den menschlichen Körper anzutreiben:

"Da sind verschiedene Forscher auf der ganzen Welt schon sehr weit vorangeschritten; es gibt zum Beispiel schon Berichte über Antriebe für kleine Kapseln, die im menschlichen Körper, in der menschlichen Blutbahn funktionieren können; man hat einen winzig kleinen, also submillimeter großen mechanischen Schwanz genommen und man hat an dem gewackelt - wie beim Sperma der Antrieb. Und man hat sich dadurch Vortrieb verschafft in der Blutbahn - das hat gut funktioniert."

Doch bevor Nautilos seine Reise durch den menschlichen Körper antritt, wäre zunächst der stationäre Einsatz eines Prototypen sinnvoll - zur Erprobung. Der Systemtechniker Markus Streit regt an, erstmal einen winzigen Katheder in eine geeignete Blutbahn unter der Haut einzuführen und die Technik außen zu installieren:

"Vorstellbar wäre es, dass man es zum Beispiel am Handgelenk implantiert und dann auch die Energieversorgung, die Auswerte-Einheit in Form von einer Uhr, einer Armbanduhr, in der Größenordnung, als erste Testphase wirklich auch versucht. Und dann kann man auch anhand der weiteren Fortschritte in der weiteren Miniaturisierung, in der Auswertung und auch im Experiment selbst von der ersten Vorstufe genau erkennen, wie man sich dann weiter entwickelt."

Bei einem stationären Einsatz von Nautilos ließe sich jedoch nicht jede Form von Krebs erkennen. Denn es gibt Tumore, deren Boten, die sogenannten Tumormarker, nicht allzu weit in der Blutbahn umher wandern - und dann nützt eine Diagnoseeinheit am fernen Handgelenk eher wenig. Außerdem greift bislang die Suche nach Spuren von Krebs im menschlichen Körper zu kurz, wenn Nautilos nur nach Tumormarkern suchen würde:

"Viele Mediziner geben zu bedenken, dass ein screening von Krebs nicht 100 Prozent über Tumormarker funktioniert. Stand heute! Das würde bedeuten: Man findet einen gewissen Marker, kann aber diesen Marker keinem spezifischen Tumor zuordnen; wäre übrigens für Nautilos gar nicht relevant; solange man weiß: Das ist ein Krebszelle, kann man die eliminieren - egal, zu welchem Krebs sie gehört."

Dann wären zwar die wandernden Krebszellen eliminiert, nicht aber der eigentliche Tumor. Doch Christian Karnutsch ist zuversichtlich, dass die Mediziner in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiterhin große Fortschritte bei der Krebs-Erkennung erzielen werden - und davon würde auch Nautilos profitieren.