Ein Mangel an universitärer Leidenschaft

Rezensiert von Jürgen Kaube · 10.10.2006
Dass die deutschen Universitäten im internationalen Vergleich schlecht abschneiden, ist hinlänglich bekannt. Das aber ist nach Ansicht von Jochen Hörisch nicht nur auf die schlechte finanzielle Ausstattung zurückzuführen. In seinem Buch "Die ungeliebte Universität" behauptet der Germanist, dass den Universitäten die "erotische" Anziehungskraft fehlt.
Die Universität wird ständig reformiert, aber so recht wird niemand glücklich damit. Im Gegenteil: Die Klagen über sie und aus ihrem Inneren heraus werden immer lauter. Unterfinanziert, überbürokratisiert, erdrückt vom Drittmitteldruck, hoffnungslos zurück hinter der ausländischen Konkurrenz.

Der Mannheimer Germanist Jochen Hörisch sieht die Ursache all dieser Missstände darin, dass die Universität keine "erotische" Anziehungskraft mehr auf ihre Mitglieder, die Studenten wie die Professoren ausübt. Es geht ihm also um die Motive derjenigen, von denen das universitäre Leben abhängt, und seine These ist, dass der Vorsprung mancher amerikanischen, englischen oder schweizerischen Universität gegenüber den unseren nicht nur an der besseren Finanzausstattung liegt, sondern in erster Linie daran, dass man sich dort mehr Sinn für die Leidenschaft am Erkennen bewahrt hat.

Das Buch versucht die Umstände zu beschreiben, unter denen sich diese Leidenschaft fürs Studium früher entwickeln konnte, diskutiert Gründe, warum sie flöten gegangen ist und gibt Hinweise, wie man sie vielleicht wiedergewinnen könnte.

Jochen Hörisch (55) lehrt Germanistik und Medientheorie an der Universität Mannheim. Er gehört zum Umkreis derjenigen Literaturwissenschaftler, die Ende der 70er Jahre damit begonnen haben, die Psychoanalyse und das Studium von Kommunikationstechnologien in die Germanistik einzuführen. Frühere seiner Bücher haben sich mit der romantischen Ästhetik, mit der Rolle des Geldes in der Literatur und mit der Bedeutung kultureller Rituale beschäftigt.

Hörischs Art, die Universität zu beschreiben, ist originell, wenngleich man mitunter das Gefühl hat, dass es ihm schwer fällt, bei einer Sache zu bleiben. Man merkt, dass seine Lieblingsepoche die Romantik ist. Deren Bild vom freien Studentenleben folgt er, auch wenn er vermutlich weiß, dass es auch im 19. Jahrhundert ein schönes Märchen war. Erfunden oder nicht – der Kontrast zur alten Universität führt Hörisch in der Gegenwart von Missstand zu Missstand, er schwärmt, schimpft, macht Witze, zitiert E-Mails seiner Studenten oder Protokolle aus Berufungskommissionen - hat also Sinn für die Absurditäten des universitären Alltags. Das Buch ist ein Pamphlet, keine nüchterne Analyse. Aber es enthält gerade darum auch viel Zutreffendes über die akademische Innenwelt. Und es beschreibt tatsächlich eines der Hauptprobleme der Universitäten: dass sie inzwischen nur noch als Instrument wahrgenommen werden, als Patentmaschine, als Karrieremaschine, als Ausbildungsmaschine.

Hörischs Gegenentwurf: eine Universität, an der sich die Professoren um die Studenten kümmern, anstatt um sich selber, und in der die Studenten sich auf die Erkenntnis konzentrieren, anstatt aufs möglichst reibungslose Durchkommen und den Erwerb von Zertifikaten. Ein "liberales Kloster" soll die Universität wieder werden. Anders als viele, die vor allem den Zustand des Forschungsstandorts Deutschland beklagen, erwartet sich Hörisch die Rettung der Universität von mehr Begeisterung für die Lehre und fürs Studium. Dazu allerdings müssten sich die Proportionen zwischen Lehrenden und Lernenden ändern, denn von einem Seminar, in dem einhundert Leute sitzen, eine "erotische Atmosphäre" der Wissbegierde zu erwarten, das wäre zu viel verlangt.

Rezensiert von Jürgen Kaube

Jochen Hörisch: Die ungeliebte Universität. Rettet die Alma Mater
Hanser Verlag, München 2006
139 Seiten, 14,90 Euo