Ein Loch am Anfang der eigenen Geschichte

Von Sarah Zerback · 24.01.2012
Was bedeutet es für die Entwicklung der Persönlichkeit, nicht zu wissen, wer die biologischen Eltern sind? Peter Kristel kam kurz nach seiner Geburt vor 47 Jahren in ein Kinderheim, die Frage nach den Gründen dafür, verfolgte ihn lange Zeit.
35 Jahre lang wusste Peter Kristel nicht, wer seine leibliche Mutter ist. Sie hatte ihn kurz nach der Geburt in ein Kinderheim gegeben. 35 Jahre lang stellte er sich deshalb immer wieder diese eine quälende Frage:

"Ganz einfach: Warum? Nur warum. Weil, es gab ja bestimmt irgendwelche Gründe. Es hätte ja auch noch schlimmer sein können. Aufgrund eines Seitensprungs oder aufgrund von Prostitution, dass ich dann entstanden wäre, aber es war ja in Anführungsstrichen nur die Armut."

Mit vier Jahren wird Peter Kristel adoptiert. Doch er fühlt sich immer nur als Kind zweiter Wahl. Vor allem das Verhältnis zum strengen Vater ist alles andere als liebevoll. Er hat eine schwere Kindheit und ist ein schwieriger Junge:

" Ich weiß nur, ich bin auch autoaggressiv gewesen. Es gibt ja diese Leute, die sich die Fußnägel rausziehen oder sich schneiden mit Scherben oder so. Und das kann ich alles nachvollziehen. Ich war auch jahrzehntelang bulimisch, auf der schwersten Stufe und deswegen, ich weiß, es ist so, aber ich kann es nicht begründen."

Seine Adoptiveltern sind überfordert, stellen das Kind zeitweise unter Beruhigungsmittel. Sie erzählen ihm, seine Mutter sei eine schlimme Alkoholikerin gewesen. Eine Lüge, wie sich später herausstellt. Die Wahrheit erfährt er erst, als er über Umwege an die Telefonnummer seiner Mutter gelangt. Kurz darauf treffen sich Mutter und Sohn zum ersten Mal:

"Ich hab sie gleich erkannt, sie hat mich erkannt. Allein aufgrund der Augen. Ja, wenn Sie jemanden haben mit schweren Schatten unter den Augen als wenn sie 3 Wochen nicht geschlafen hätten, den erkennen Sie natürlich, ne."

Die dunklen Augenringe zeichnen Peter Kristel's Gesicht noch immer. Jetzt weiß er, dass sie nicht von den ständigen Nachtschichten im Hotel stammen, sondern vererbt worden sind. Welche Merkmale er von seinem Vater hat, wird er allerdings nie herausfinden können. Denn der starb, bevor er ihm seine Fragen stellen konnte:

"Wie sah mein Vater aus? Warum hab ich keine O-Beine wie die meisten Männer? Oder solche Sachen. Warum habe ich mit 35 erst die ersten grauen Haare. Andere fragen sich, warum hab ich ne Platte mit 20. Wenn ich meinen Vater nicht kenne, frag ich mich das. Wenn ich ihn kenne, weiß ich: Ja, is mein Vater halt."

Der Vater war bereits schwer krank, die Familie bitterarm, als er geboren wurde. So erzählt es ihm seine Mutter. Peter Kristel glaubt ihr. Auch als sie ihm erzählt, wie schwer es ihr damals gefallen ist, ihn abzugeben. Doch die Freude über das Wiedersehen ist getrübt. Er ist erschrocken darüber, wie ärmlich und verlebt die Mutter aussieht. Der Kontakt bricht bereits kurze Zeit später ab. Trotzdem ist er froh, sie kennen gelernt zu haben:

" Es ist was von einem abgefallen. Das ist so wie, wenn man als Kind, man weiß, man hat sich was gewünscht, was ganz großartiges, weiß aber nicht, ob es nun wirklich doch unterm Baum liegt. Und dann kuckt man, man hört die Glocke zur Bescherung und sieht: Das Geschenk ist da!"

Mittlerweile ist Peter Kristel 47, verheiratet und selbst Vater einer dreijährigen Tochter.


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Psychologe: Bei Fragen von Adoptivkindern sehr offen antworten - Eltern, die Kinder adoptiert haben, sollten diesen eine möglichst positive Botschaft vermitteln
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