Ein Liberalismus für die ganze Welt

Von Claus Dierksmeier · 29.08.2013
Kosmopolitisch und generationenübergreifend denken - diesen Anspruch an die Politik stellte bereits im 19. Jahrhundert der Philosoph Karl Christian Friedrich Krause. Der Philosoph Claus Dierskmeier empfiehlt auch heute insbesondere vielen Liberalen diesen Krause wiederzuentdecken.
Der Liberalismus hat in den letzten Jahrhunderten einen Erfolg nach dem anderen gefeiert. Etliche Ziele, für die Liberale auf die Barrikaden gegangen sind, sind erreicht: Absolutismus und Feudalismus wurden durch Demokratie ersetzt, der Rechtsstaat schützt Besitztümer, Leib und Leben. Und Bildung ist Bürgerrecht.

Sogar die Liberalen selbst scheinen unsicher, was es denn überhaupt noch für sie zu tun gibt. Um diese Frage zu beantworten, müsste man den freiheitsphilosophischen Kompass neu justieren. Man braucht eine Basis, um auch dort tätig zu werden, wo es nicht nur um das Bewahren, sondern auch um das Schaffen von Freiheiten geht.

Das verletzliche Individuum und seine unveräußerliche Würde
Dafür eignet sich der Blick auf einen deutschen Philosophen, der im Ausland teils glühend verehrt wurde, daheim aber keinen Fuß auf den Boden bekam: Karl Christian Friedrich Krause, der seine Hauptwerke Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb und damit den "Krausismo" begründete.

Anfang und Ziel seines Denkens waren das verletzliche Individuum und seine unveräußerliche Würde. Der Anspruch eines jeden auf Menschenwürde gab seinem Liberalismus das Maß vor, gerade auch im Hinblick auf Behinderte, Unmündige und das ungeborene Leben.

Im klassisch-liberalen Sinne bürgerliche Freiheit zu schützen, das reichte ihm nicht. Es gehe vielmehr darum Freiheiten zunächst dort herzustellen, wo sie etwa aus ökonomischen Gründen oder aufgrund von Herkunft mangelten. Wer Freiheit in Anspruch nimmt, solle sich auch für die Freiheit anderer einsetzen, meinte Krause.

Philosophen sollten indes erst gar nicht erst versuchen, technokratisch das einzig richtige Maß an Freiheit für alle und jeden zu bestimmen. Vielmehr seien demokratische Verfahren zu finden, die aus den Betroffenen Beteiligte machen. Dies gelte überall und jederzeit.

Politik habe daher kosmopolitisch und generationenübergreifend zu denken. Sie soll die Interessen und Rechte aller Menschen integrieren bzw. repräsentieren, ausdrücklich auch die weit entfernt lebender Menschen sowie auch die zukünftiger Generationen.

Weltethos über alle Grenzen hinweg
Wo etliche Philosophen des 19. Jahrhunderts fest an Rassen- und Geschlechterhierarchien glaubten, war Krause ein glühender Verfechter von Diskriminierungsfreiheit. Ihm schwebte schon damals der Gedanke eines Weltethos vor, das Menschen über alle nationalen, religiösen wie kulturellen Grenzen hinweg verbinden könnte.

Heute hätte er dabei sicher viele auf seiner Seite. 1803 bis 1831 allerdings, als er seine Philosophie zu Papier brachte, beförderte sie ihn in Deutschland ins Abseits. In der spanischsprachigen Welt war das anders. Argentinien, Uruguay und Spanien machten zwischen 1870 und 1930 den Krausismo geradezu zur Staatsräson.

Friedliche Konfliktlösungen in einer von Bürgerkriegen geplagten Zeit, liberale Grundrechte - ausbalanciert mit sozialer Teilhabe, gemäßigte Strafrechtssysteme sowie an internationaler Verständigung orientierte Regierungschefs, dies alles ließ jene Staaten aufblühen.

Die Wiederentdeckung des Krause
Zwar musste mit der Weltwirtschaftskrise das krausistische Experiment Diktatoren weichen. Es finden sich jedoch noch immer krausistische Ansätze in einigen Verfassungen Südamerikas wieder - und es gibt namhafte Politiker, die sich derzeit um ein Revival des Krausismo bemühen.

Es wäre den deutschen Liberalen zu wünschen, dass sie ihren Landsmann Krause wiederentdeckten. Denn gerade in Zeiten der Globalisierungskrise gewinnt seine Idee einer Menschheitsgemeinschaft über alle Landes- und Standesgrenzen hinweg an Bedeutung. Sein Versuch, das Prinzip der Freiheit mit der Idee sozialer, moralischer und ökologischer Nachhaltigkeit zu versöhnen, ist heute mindestens so relevant wie damals.


Claus Dierksmeier, 1971 geboren, studierte Philosophie in Hamburg und Jena, wo er sich 2002 habilitierte, wurde danach Professor am Institut für Philosophie des Stonehill College in Boston. Dort arbeitete er später auch als Forschungsdirektor des Sustainable Management and Measurement Institutes (SUMMIT) und als "Distinguished Professor for Globalization Ethics". Seit April 2012 leitet er das Weltethos-Institut an der Universität Tübingen. Zudem gehört er zum Vorstand des internationalen Think-Tanks "The Humanistic Management Network" und ist Academic Director des Humanistic Management Center in Berlin.
Claus Dierksmeier, Leiter des Weltethos-Instituts an der Universität Tübingen
Claus Dierksmeier, Leiter des Weltethos-Instituts an der Universität Tübingen© privat
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