Ein Leben nach dem Expressionismus

Von Carsten Probst · 23.11.2012
Conrad Felixmüller begann als Expressionist, wandte sich bald von einer politischen Ästhetik ab, galt den Nazis als "entartet" und wurde in der DDR zunächst hofiert, dann fallen gelassen. Mustergültig befreit eine Chemnitzer Ausstellung sein Werk aus den Kriegs- und Nachkriegswirren.
Zu den grausamsten Strafen, die die Nachkriegszeit für die Künstler der einstigen Avantgarde bereithielt, zählte die Anerkennung unter falschen Vorzeichen – eine Anerkennung, die eigentlich immer nur Vereinnahmung für irgendwelche Zwecke war bei gleichzeitiger Androhung der Vernichtung der künstlerischen Existenz. Zu den bedeutendsten Opfern dieser Strategie gehört der Maler Conrad Felixmüller.

Da der gebürtige Dresdner in den 70er-Jahren einen vergleichsweise beschaulichen, mit Ausstellungen geehrten Lebensabend in West-Berlin verbracht hat, könnte man von einem tröstlichen Ende dieses Künstlerlebens ausgehen. Die Chemnitzer Retrospektive, die erste, die seit langer Zeit diesen Namen verdient, zeichnet dagegen ein ganz anderes Bild.

Thomas Bauer-Friedrich, Kurator der Ausstellung:

"Das Werk von Felixmüller ist in den vergangenen Jahrzehnten leider sehr einseitig wahrgenommen und rezipiert worden, eigentlich muss man sagen: Seit den 30er-Jahren ist es sehr einseitig wahrgenommen worden. Was man kennt, das sind die Werke, die er ja ganz am Beginn seiner Karriere, 1918 bis '20 geschaffen hat: die großen expressionistischen, kubistisch formal aufgebrochenen Gemälde und Druckgrafiken. Also der Expressionist Conrad Felixmüller, der sich zwischen diesen Polen bewegte, die den Untertitel unserer Ausstellung ausmachen: Zwischen Kunst und Politik."

Zweifellos ist Felixmüllers früher Werdegang als Künstler höchst beeindruckend – als musikalisch-künstlerische Doppelbegabung wird er 1912 noch vor Erreichen des offiziellen Aufnahmealters an die Dresdner Kunstakademie aufgenommen und beendet sie als Meisterschüler von Karl Banzer 1915. Da ist Felixmüller 18 Jahre alt und wird bereits als Wunderkind mit seiner Druckgrafik höchst erfolgreich auf dem Kunstmarkt gehandelt und in Herwarth Waldens Berliner Galerie "Der Sturm" neben Größen wie Lyonel Feininger ausgestellt.

1919, politisiert durch die Novemberrevolution, begründet er die Dresdner Secession mit und trat in die KPD ein. Sein Werk trägt bis Mitte der 20er-Jahre formal Züge einer linksexpressionistischen Ästhetik, in einer zerklüfteten, scharfkantigen Malerei und Grafik, die durchaus auch Industrie- und Arbeiterbilder beinhaltet. Doch Mitte der 20er-Jahre verliert Felixmüller den Glauben an eine politische Ästhetik, tritt aus der KPD aus und bricht auch mit seinem expressiven Malgestus, um, wie er es ausdrückt, seine künstlerische Arbeit zu kultivieren. Er malt jetzt mit gedeckten, verhaltenen Farben Szenen, die weitaus mehr an den späten Realismus der Liebermann-Zeit erinnern, meisterlich in der Technik, eher konventionell in der Form, als Teil einer Tradition der Frühmoderne, die Ost und West übergreift.
Thomas Bauer-Friedrich: "Für ihn ging es nicht um Anklage oder Anprangern von sozialen Verhältnissen, sondern für ihn war es ein tiefes Mitempfinden mit den schwer arbeitenden Menschen. Er kam letztendlich ja selbst aus einer Arbeiterfamilie, also er wusste, was es heißt, schwer arbeiten zu müssen, um entsprechend Geld zu verdienen."

Zum künstlerischen Verhängnis wird Felixmüller, dass ihm diese radikale Wende zum Unpolitischen in seinem Werk anscheinend keiner mehr abnimmt. In der Nazizeit steht er wegen seines expressiven Frühwerks ganz oben auf der Liste der "Entarteten". Er meidet das Exil und lebt praktisch mittellos mit seiner Familie in der inneren Emigration, wobei er sich mit Portrait-Aufträgen von Landadeligen durchschlägt.

1949 dann scheint kurzzeitig der Zeitpunkt seiner Wiederentdeckung gekommen, als ihm die junge DDR-Führung eine Ausstellung in der Moritzburg in Halle an der Saale andient, einem der wichtigsten Avantgardemuseen der Vorkriegszeit.

Thomas Bauer-Friedrich: "Man hatte zunächst aufgrund seines politisch sehr engagierten Frühwerks der 20er-Jahre die Hoffnung gehabt, diesen berühmten, renommierten Künstler aus frühen Dresdner Jahren als Galionsfigur für den Sozialistischen Realismus nutzen zu können. Das ging, muss man eigentlich so salopp sagen, gründlich schief. Die Arbeiter, die Schüler, die Studenten, die in diese Ausstellung geschickt wurden, konnten diesen Ansatz nicht nachempfinden, also nichts, was eigentlich dem neuen sozialistischen Bild entsprach."

Felixmüllers Werk erwies sich als untauglich, als zu formalistisch, um die DDR-Linie künstlerisch zu interpretieren. Man wendet sich von ihm ab, Ausstellungen erhielt er, der einstige Kommunist, auch in der DDR fast keine mehr. Felixmüller blieb dennoch bis Mitte der 60er-Jahre, weil er im von der Abstraktion beherrschten Kunstbetriebs Westdeutschland keine Chance sieht, als Künstler Geld zu verdienen. Schließlich stellt er nach seiner Emeritierung als Kunstprofessor doch einen Ausreiseantrag nach West-Berlin, wo er 1977 stirbt, ohne dass sich die Rezeption seiner Arbeit je von jener Festlegung der Nazi-Zeit auf das Frühwerk gelöst hätte.

Das korrigiert diese Ausstellung in Chemnitz so beispielhaft und mustergültig, dass man nun endlich von einer späten Befreiung dieses Künstlers aus den Fängen der Kriegs- und Nachkriegswirren sprechen kann.

Informationen des Museums Gunzenhauser zur Ausstellung "Conrad Felixmüller. Zwischen Kunst und Politik" in Chemnitz
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