"Ein Kilo Mehl braucht 1000 Liter Wasser"

Wolfram Mauser im Gespräch mit Ulrike Timm · 24.11.2009
Nicht nur Afrika, auch Europa wird von schwindenden Wasserressourcen bedroht. Dass das kostbare Nass aus Bayern für den Kartoffelanbau nach Brandenburg exportiert wird, hält der Geograf Wolfram Mauser für ein mögliches Zukunftsszenario, wenn dabei nachhaltig gewirtschaftet wird.
Ulrike Timm: Andalusien hat wunderbar grüne Golfplätze und Tomatenplantagen so weit das Auge reicht. Drumrum findet sich nichts als verbrannte, karstige Erde, und in den Dörfern Südspaniens ist das Wasser zum Teil so knapp, dass es häufig abgestellt wird und ab und zu der Tankwagen vorbeikommen muss. Nur ein Fall von verschwenderischem Umgang mit dem Wasser. Professor Wolfram Mauser ist Geograf an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und sein Hauptthema ist das Wasser. Wie ist es weltweit verteilt, wie wird es genutzt und wie lange reicht die Ressource Wasser noch? Darüber sprechen wir jetzt mit ihm. Schönen guten Tag!

Wolfram Mauser: Guten Tag!

Timm: Herr Mauser, eigentlich denkt man beim Thema Wasserknappheit und Wüstenbildung ja immer erst einmal an Afrika, aber der Gemüseanbau im wüstenähnlichen Andalusien ist wohl kein Einzelfall dafür, wie verschwenderisch wir auch in Europa mit Wasser umgehen, oder?

Mauser: Wir sind in Europa zweigeteilt. Wir haben einen Teil, der im Norden liegt, der sehr viel Wasser hat und wo man Wasser verschwenden kann, weil überflüssig Wasser da ist. Auf der anderen Seite haben wir die Mittelmeerregion, die heute schon unter Wassermangel leidet und wo das Wasser natürlich der Ökonomie folgend genutzt wird, um es in Geld umzuwandeln. Und die Tomaten, die Sie erwähnt haben, sind ein gutes Beispiel dafür. Es gibt Konkurrenz in der Nutzung des Wassers, und diese Konkurrenz drückt sich darin aus, dass dorthin, wo die Märkte das Wasser dirigieren, das Wasser geleitet wird, und dorthin, wo die Menschen es eigentlich bräuchten, es eben nicht mehr in dem Umfang geleitet wird, wie es früher war. Auch die Natur wird dabei vernachlässigt, weil die Natur natürlich auch Wasser braucht, um ihre Funktionsfähigkeit zu erhalten.

Timm: Wenn der Tomatenanbau in Andalusien so unvernünftig ist, ist er vielleicht auch endlich, weil die Ressource irgendwann, auch die knappe Ressource irgendwann einfach nicht mehr da ist?

Mauser: Die Klimaforschung sagt uns, dass Andalusien zusammen mit dem ganzen Mittelmeerraum in der Zukunft trockener wird, als es heute ist. Und deshalb werden wir Probleme bekommen in der Zukunft, diese Wassernutzung, Wasserverschwendung aufrechtzuerhalten über das hinaus, was wir heute schon an Problemen haben. Wir werden also in Zukunft die Aquifere, die Grundwasserspeicher, die wir nutzen, um das Wasser für die Bewässerung zu bekommen, leer pumpen und sie werden nicht mehr nachgefüllt.

Timm: Auch wenn wir mal kleinräumiger denken und nach Deutschland gehen, ist Wasser ja sehr ungleich verteilt, schon innerhalb Deutschlands. Das trockene Brandenburg, die wasserreichen bayrischen Berge – kann man sich da irgendwie wappnen und von Bayern aus vielleicht zukünftig die Steppen Brandenburgs mit bewässern?

Mauser: Na ja, die Steppen Brandenburgs – also Brandenburg ist kein Steppenland. Brandenburg hat immer noch relativ viel Wasser, wird auch in Zukunft relativ viel Niederschläge haben, aber es ist richtig, in dieser Region ist das Wasser knapper als im Süden Deutschlands. Wir profitieren hier von den Alpen – die Alpen sind unser Wasserschloss – und wir profitieren auch von den Stauniederschlägen, die an den Alpen an schlechten Tagen tagelang hintereinander abregnen. Wenn die Alpen nicht da wären, hätten wir auch nicht so viel Wasser. Die Frage danach, wie weit wir die Naturressourcen – und da ist ja Wasser eine innerhalb der Europäischen Union und innerhalb Europas – gerecht gemeinsam nutzen, ist allerdings eine sehr interessante Frage, vor allen Dingen in Zukunft, wenn das Klima, der Klimawandel uns dazu zwingen wird, darüber noch mal nachzudenken und wir vor allen Dingen versuchen wollen, nachhaltig mit der Natur umzugehen, das heißt, in den Regionen, wo Wasser fehlen wird, darüber nachdenken muss, ob man nicht aus den Regionen, wo viel Wasser da ist, Wasser exportiert.

Timm: Wie könnte denn das gehen?

Mauser: Das machen uns andere Länder schon vor, allerdings nicht besonders nachhaltig. Es gibt sehr große Wasserumleitungsprojekte in USA, wo der Colorado nach Kalifornien umgeleitet wird und über eine ganze Bergkette hinweg transportiert wird. Das wird dort dazu benutzt, um genauso wie in Spanien letzten Endes nicht nachhaltige Naturnutzung zu betreiben, indem man dort Intensivlandwirtschaft betreibt mit diesem Wasser. Wir werden also die technischen Möglichkeiten, die wir haben, über Rohrleitungen das Wasser über Berge zu transportieren, zum Beispiel über den Bayrischen Wald, diese Möglichkeiten werden wir nutzen können. Ob wir sie nutzen wollen, um das zu tun, ist eine Frage, die wir alle uns stellen müssen und wo wir gemeinsam als Zivilgesellschaft, aber auch als Politik und Verwaltung darüber nachdenken müssen.

Timm: Sie klingen ein bisschen skeptisch, aber wäre denn das die Idee der Zukunft, Allgäuer Wasser für Brandenburger Kartoffeln?

Mauser: Wenn Sie die Brandenburger fragen, werden die sagen, ja. Wenn Sie die Allgäuer fragen, werden die sagen, nein. Weil natürlich jeder zunächst mal in seiner Region darauf dringt, dass er die Naturressource, die ihm zur Verfügung steht, dementsprechend nutzen kann. Solange wir einer Region nichts wegnehmen an ihrem Nachhaltigkeitspotenzial, also an dem Potenzial, in Zukunft nachhaltig wirtschaften zu können, sehe ich kein Problem darin, das Wasser zum Beispiel in andere Regionen zu transportieren. Aber wir brauchen ein gemeinsames Konzept, wie wir in der Zukunft zum Beispiel in Europa, aber eigentlich global mit der Erhaltung der Natur umgehen, weil letzten Endes die Natur unsere gemeinsame Lebensgrundlage ist.

Timm: Was wären denn Ihre Vorschläge für so ein gemeinsames Konzept?

Mauser: Wir müssen, glaube ich, Standards setzen weltweit, und diese Standards sind Umweltstandards. Wir haben die Welthandelsorganisation – die Welthandelsorganisation sagt etwas über die Qualität der Güter, die zwischen den Ländern ausgetauscht wird, sie sagt aber nichts darüber, wie diese Güter entstanden sind. Wir müssten letzten Endes in diesen Welthandelsorganisationsgremien darauf dringen, dass ein Mindeststandard an ökologisch verträglicher Produktion eingehalten wird. Und dazu gehört Wasser sparen, keine Aquifere übernutzen, nur das Wasser benutzen, das man hat, und zu einem gerechteren Austausch von Waren zu kommen. Das wäre eine der wichtigsten Sachen, die wir brauchen, um die Naturressourcen weltweit zu schonen, nicht nur in Europa.

Timm: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit Wolfram Mauser über den Umgang mit einer lebenswichtigen Ressource, über den Umgang mit sauberem Süßwasser. Herr Mauser, der Vizepräsident der Weltbank, Ismail Serageldin, prophezeite schon 1999, dass zukünftige Kriege nicht ums Öl, sondern ums Wasser geführt würden. Dann wäre also ein nachhaltiger Umgang mit dem Wasser also zugleich lebensrettend und friedensstiftend, in jedem Fall eine globale Aufgabe – Sie haben es angerissen. Aber wie könnte denn das konkret aussehen? Sie sprachen von Abmachungen, von Standards, dann wäre das Wasser doch irgendwann so etwas wie eine Währung, mit der man handelt?

Mauser: Ich glaube, das beginnt schon. Zum einen muss ich sagen, es wird immer sehr viel über Wasserkriege gesprochen und es gibt sehr wenig Beispiele, dass Kriege tatsächlich wegen Wassermangels oder Ungleichverteilung von Wasser entstanden sind oder geführt worden sind. Vielmehr ist es eigentlich oft der Fall, dass das Wasser eine Gemeinsamkeit ist, die Leute verbindet, über die alle sprechen können miteinander und die auch im Rahmen von Flusseinzugsgebietskonferenzen – zum Beispiel Mekong, zum Beispiel Nil, zum Beispiel Donau, zum Beispiel andere Flüsse – dazu führt, dass eigentlich mehr Dialog als Krieg geführt wird. Also ich bin nicht ganz pessimistisch, dass wir in ein Zeitalter der Kriege hineinrutschen, die ums Wasser geführt werden. Das zum Ersten. Zum Zweiten, die Währung Wasser findet ja schon statt. Mit allem, was wir an Lebensmitteln exportieren und importieren, importieren wir und exportieren wir Wasser, das in diesen Lebensmitteln drin steckt.

Timm: Inwiefern?

Mauser: Dieses virtuelle Wasser – nennen wir es aus der Wissenschaft – wird dazu benutzt, um diese Güter zu produzieren. Zum Beispiel ein paar Schuhe braucht 8000 Liter Wasser zur Produktion. Ein Kilo Mehl braucht 1000 Liter Wasser. Und wenn ich dieses Kilo Mehl von einem Land zum anderen transportiere, dann transportiere ich virtuell auch das Wasser mit, das an bestimmten Stellen der Erde dazu benutzt worden ist, um diese Lebensmittel zu produzieren.

Timm: Trotzdem ist die Erde ja bei allen Problemen immer noch der blaue Planet, der zu 70 Prozent von Wasser bedeckt ist, auch wenn es als Salzwasser nicht direkt nutzbar ist. Ist das nicht auch eine riesige Aufgabe für die Ingenieurwissenschaften?

Mauser: Es wird auch in Zukunft eine sehr energieintensive Sache bleiben, Wasser zu entsalzen. Das ist ein technologischer Vorgang, dazu sind die Ingenieure aufgerufen, diese Energiemenge zu minimieren. Wir stecken aber im Wesentlichen die nächsten 50 Jahre in einer Energiekrise. Das heißt also, wir müssen dafür sorgen, dass wir zunächst mal, bevor wir die Energie, die wir im Moment nicht haben und für die nächsten 50 Jahre vielleicht nicht haben, dazu benutzen, Wasser zu entsalzen, wir müssen dafür sorgen, dass Wasser gespart wird, dass man effizienter mit Wasser umgeht, effizienter mit dem natürlichen Niederschlag. Das ist immer noch die billigste und effizienteste Methode, Wasser zu nutzen, den natürlichen Niederschlag zu nutzen, dass wir mit diesem natürlichen Niederschlag sehr viel effizienter umgehen, und aus den landwirtschaftlichen Produktionsbereichen sich rauszuziehen und andere Produktionsbereiche oder andere Wertschöpfungsbereiche aufzubauen.

Timm: Also die Tomaten dann doch wieder besser vielleicht später mal in Norwegen produzieren und nicht mehr in Andalusien?

Mauser: So ist es. Wir können nicht ewig gegen die Natur spielen. Wenn die Natur sich verändert, wie sie es jetzt tut durch den Klimawandel, dann werden wir uns daran anpassen müssen. Und die Anpassung kann nicht sein, endlose Mengen Energie dazu zu benutzen, Wasser zu entsalzen, das wir in einem Ausmaß brauchen zur landwirtschaftlichen Produktion, die gegenüber dem Trinkwasser, das wir alle benutzen, unvorstellbar ist. Wir müssen also in den Bereichen, wo wir nicht genügend Niederschlag haben werden in Zukunft – und das sind alle Bereiche, die heute schon dazu tendieren, trocken zu sein – im Interesse der Natur auf die Intensivlandwirtschaft verzichten und sie dafür in anderen Bereichen, wo das möglich ist auf der Erde, zum Beispiel in Mitteleuropa oder in der Ukraine oder in Brasilien, intensiver Landwirtschaft betreiben und den Handel von Energie und Landwirtschaft gegenseitig so ausbauen, dass alle was davon haben.

Timm: Ein Gespräch im "Radiofeuilleton" mit Professor Wolfram Mauser, dem Geografen, der sich vor allem mit dem Wasser beschäftigt.