Ein Kesseltreiben veranstalten …

Von Rolf-Bernhard Essig · 31.10.2008
Diesmal geht es um die Redensarten: Ein Kesseltreiben veranstalten, Ein Brett vor dem Kopf haben, Mit allen Wassern gewaschen sein, Mit jemandem etwas am Hut haben, Da hast du mit Zitronen gehandelt u.a.
Ein Kesseltreiben veranstalten

Ältere Semester erinnern sich noch an die großen Kesselschlachten des Zweiten Weltkriegs. Das führt zur Bedeutung des Begriffes, denn wie damals die Soldaten, so hatte man viel früher schon bei Treibjagden Wild in die Enge getrieben, indem die Treiber sich in einem möglichst großen Kreis aufstellten, um von dort aus das Wild zum Zentrum zu treiben. Es war gefangen wie in einem Kessel. Und der wurde immer kleiner.
Beim "Kesseltreiben" gegen einen Menschen wird er in die Enge getrieben, von allen Seiten angegriffen, es wird so umfassend gegen ihn gehetzt, dass es kaum ein Entkommen mehr gibt.

Ein Brett vor dem Kopf haben

Die Wendung erklärt sich aus der heimischen Landwirtschaft, denn man legte Ochsen nicht nur ein Joch über den Nacken, um sie als Zugtiere zu verwenden, sondern brachte auch noch hölzerne Blendklappen an, um die Tiere handzahm zu halten. Wie bei den Scheuklappen der Pferde konnten die Ochsen dann auch nicht durch etwas vor ihnen erschreckt werden. Das Brett vor dem Kopf beleidigt deshalb doppelt. Man hält jemanden für blind, geblendet, kurzsichtig – bis zum Brett eben – und für einen Ochsen.

Mit allen Wassern gewaschen sein

Seeleute, die über alle sieben Weltmeere gefahren waren, hatten so manchen Schwall Wasser abbekommen. Diese Fahrensleute waren buchstäblich "mit allen Wassern gewaschen", deshalb sehr erfahren und ließen sich nicht leicht übers Ohr hauen. An Land freilich sah man das misstrauisch, weshalb sich auch die Bedeutung "verschlagen" und "durchtrieben" herausbilden konnte. Einen gewissen Zusammenhang gibt es mit der Qualitätsbezeichnung "die sich gewaschen hat". So spricht man von einer "Ohrfeige, die sich gewaschen hat" und meint damit eine besonders kräftige, wohlgesetzte Ohrfeige. Diese Begrifflichkeit verdankt sich der älteren Redensart vom Kerl, "der sich nicht gewaschen hat". Damit bezeichnete man ungepflegte und unkultivierte Menschen. Das Gegenteil konnte in diesem Zusammenhang dann als positive Bewertung gelten und sich verbreiten.

Mit jemandem etwas am Hut haben

Der Hut gilt in vielen Redensarten als Symbol für die ganze Person. Wenn man mit jemandem etwas oder nichts am Hut hat, dann möchte man mit ihm also gerne und viel oder nichts zu tun haben. Man steht ihm nah oder ist ihm fern.

Da hast du mit Zitronen gehandelt

Im Bergischen Land bekamen Sargträger bis ins vorletzte Jahrhundert als Dankeszeichen eine Zitrone. Hat es damit zu tun?
Weitere Ideen ranken sich natürlich um den lange Zeit hohen Preis, die Verderblichkeit, vor allem aber um die saure Qualität der Früchte. Das überzeugt mich am meisten, denn Süßes gilt seit alter Zeit als beliebt, Saures dagegen als unerwünscht. Ich tendiere also eher zur Erklärung, dass man es hier mit der sprichwörtlichen Sauerkeit der Südfrüchte zu tun hat. Man denke nur an die Parallelredensart "etwas wie sauer Bier anpreisen". Wer mit so etwas wie sauren Zitronen handelt, der verkauft also wenig, weshalb sich die redensartlich übertragene Bedeutung "etwas vergeblich tun" herausbilden konnte.

Ein linkischer Mensch / Etwas Rechtes können

Ganz grundsätzlich gilt die linke Seite im Volksaberglauben seit antiker Zeit als problematische, ja Unglück bringende, weshalb der große Petronius im alten Rom vorschlug und durchsetzen konnte, vor öffentlichen Gebäuden Wächter aufzustellen, die nur darauf zu achten hatten, dass niemand mit dem linken Fuß zuerst über die Türschwelle trat. Weil man sie so schlecht ansah, entstanden viele Redensarten, in denen die negative Bedeutung der Linken deutlich wird. So "lässt man jemanden links liegen", "linkt ihn" oder "steht mit dem linken Fuß zuerst auf". Das Linkische hingegen hat damit zu tun, dass die meisten Menschen als Rechtshänder mit der linken Hand ungeschickter sind. Ein linkischer Mensch stellt sich dementsprechend grundsätzlich ungeschickt an.

Die rechte Seite war genau das Gegenteil, positiv angesehen, erwünscht und schlicht die richtige. Von einer indogermanischen Wurzel aus ist "rechts" mit dem "Recht" und dem Richtigen verbunden, hieß die ursprüngliche Bedeutung doch soviel wie "gerade richten", "ausrichten", dann auch "herrschen" und "führen". Im Hohen Mittelalter kommt die Bedeutung "rechts" dazu, die bis dahin durch ein anderes, aus dem Lateinischen stammendes Wort gedeckt war.

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen

Man könnte auch sagen "Übung macht den Meister", denn das Sprichwort soll denjenigen trösten, der beim ersten Mal etwas noch nicht gut hinbekommt.
Mit dem Meister des Sprichworts ist der Handwerksmeister gemeint, der mit seinem Titel allgemein redensartlich wurde. Auch er war es aber nicht plötzlich, als wäre er im Himmel vollkommen und fertig erschaffen worden und dann auf die Erde gefallen. Stattdessen hatte er lange Lehr- und Wanderjahre hinter sich zu bringen, sein Meisterstück, also ein besonders qualitätvolles Handwerksprodukt, zu präsentieren, bis er endlich Meister war und sich so nennen konnte.
Also nach einem Fehlschlag am besten den schönen Fred-Astaire-Song beherzigen: "Pick myself up, dust myself off, start all over again."

Aus dem Nähkästchen plaudern / Aus der Schule plaudern

Wissen kann etwas Kostbares sein, das man nicht jedem anvertraut, sondern nur innerhalb einer Fachgruppe weitergibt. Das war schon so in der Antike, wo man das esoterische Wissen, das nur für den internen Gebrauch bestimmt war, und das exoterische, das allgemein verbreitet werden durfte, unterschied. Die Lehrgruppen eines berühmten Weisen nannte man auch "Schulen", wie es heute noch im Begriff der "Denkschule" zu finden ist. Deswegen konnte sich die Redensart "aus der Schule plaudern" entwickeln, die bedeutete, das jemand an sich geheimes Wissen bzw. Fachwissen preisgibt.

Vielleicht erst vor 150 Jahren entstand daran angelehnt "aus dem Nähkästchen plaudern", weil Frauen früher in Nähzirkeln, nicht in Lernzirkeln beieinander saßen und sich nicht selten Geheimnisse anvertrauten. Scherzhaft übertrug man es dann auch auf Männer, die intime Dinge erzählten oder Interna offenlegten.

Etepetete sein

Ich möchte ja nicht als etepetete gelten, aber ich muss mich mit einer eindeutigen Erklärung doch ein wenig zieren, denn zwei stehen sich scheinbar unversöhnlich gegenüber. Die eine leitet das Wort aus dem Französischen ab, und zwar aus "être, peut-être", also "(kann) sein, vielleicht". Es sei das Wort durch die Hugenotten im Preußisch-Berlinischen aufgekommen und im Volksmund zu "etepetete" abgeschliffen worden. Man kann sich vorstellen, dass jemand, der oder die immer wieder nur "vielleicht" antwortet, als geziert gelten kann.

Die andere Erklärung hingegen geht auf das Niederdeutsche zurück, wo das Wort "öte" oder "öde" soviel wie "überfein" oder "geziert" hieß. Ähnlich wie im Fall von "eiapopeia" sei das Wort durch Reimspielerei und Verdoppelung erweitert worden zu "ötepötöte" oder eben "etepetete".
Es kann – und das scheint mir recht wahrscheinlich – aber auch beides zusammen die Lösung bieten: Das "öde" oder "ete" wurde wohl unter den Einfluss des berlinischen Französisch, in dem man statt "peut-être" "petete" sagte, lustig und sinnvoll ergänzt zu einem französisch klingenden Wort. Das Französische und die französische Kultur galten dem einfachen Volk, aber auch den Bürgern ja sowieso als übertrieben höflich, geziert etc.

Ach du grüne Neune!

Der Ausruf der Überraschung ertönt meist in wenig angenehmer Situation, kann aber ironisch gefärbt auch bei positiv Unerwartetem geäußert werden. Über den Ursprung herrscht Uneinigkeit. Die grüne Neun als Spielkarte des Deutschen Blatts hat offenbar nichts damit zu tun, da sie auch keinen Wert hat.

Die Neun gehört aber zu den magischen und symbolischen Zahlen, ähnlich wie die Drei oder die Sieben. Man denke an die neun Kegel, die Chanukkia, den neunarmigen Kerzenleuchter der Juden, oder an das Neunerleikraut zu Mariä Himmelfahrt. Grün ist in ebenfalls in allerlei Redensarten belegt, so "ich bin dir grün" oder "Komm an meine grüne Seite". Es könnte hier als Verstärkung dienen. Beides zusammen wäre vielleicht als Ersatz für die Anrufung des Gottesnamen, den man nicht unnütz gebrauchen solle, zu interpretieren. Man sagt ja auch entsprechend "Ach du liebes bisschen!" oder "Ach du meine Güte!"

Nicht auszuschließen ist, dass es sich um einen Berolinismus handelt und sich im Zusammenhang mit dem beliebten Lokal "Conventgarten" gebildet hat. Das lag in der Berliner Blumenstraße 9, wohingegen der eigentliche Eingang sich am Grünweg befand. Der umständliche, fremdsprachige Name hätte sich dann in volkstümlicher und humorvoller Weise auf "die grüne Neune" verkürzt. Da es in dem Lokal munter und recht häufig handfest zuging, hätte sich der Ausdruck des Erstaunens und der negativen Überraschung entwickelt.