"Ein kanonischer Autor unserer Epoche"

Moderation: Ulrike Timm · 06.12.2012
Er ist "ständig ein anderer geworden, um er selbst zu bleiben": Zum 70. Geburtstag von Peter Handke verrät die Kritikerin Sigrid Löffler, worum es dem Schriftsteller in seinem Werk geht - und welche seiner Bücher man unbedingt lesen sollte.
Ulrike Timm: Seine Titel entfalten ihre ganz eigene Kraft - "Publikumsbeschimpfung", "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter", "Das Jahr in der Niemandsbucht" oder aber "Versuch über den geglückten Tag". Heute wird der Dichter, Dramatiker, Erzähler, der Weltreisende und der Wanderer Peter Handke 70 Jahre alt. Übers Schreiben hat er sich einmal so geäußert:

Peter Handke: Das Schreiben ist größenwahnsinnig, ja? Das muss man halt wissen. Ein Schriftsteller, wenn er das ernst nimmt, macht er etwas, auf was eigentlich eine Art Todesstrafe stehen könnte, das ist gefährlich. Die meisten folgen ja nur noch Rezepten vom Schreiben, und das ist natürlich nicht gefährlich. Im Schreiben muss die Suchbewegung drin sein. Es ist eine Einmannexpedition in unbekanntes Land, jedes Mal.

Timm: Peter Handke, heute feiert er seinen 70. Geburtstag, und die Literaturkritikerin Sigrid Löffler ist ins Studio gekommen, um mit uns über Peter Handke, über diesen so solitär in der Literaturszene stehenden Schriftsteller zu sprechen. Frau Löffler, ich grüße Sie!

Sigrid Löffler: Grüß Gott!

Timm: Wenn man sich den Handke mal anschaut, so klein, so schmächtig, Intellektuellenbrille, jemand, der das Alleinsein liebt, dann kann man sich schwer vorstellen, dass diese Karriere ja mal mit einem Knall begann. Was ist das für ein Mensch, der aus der Stelle heraus so viel Wirbel entfachen konnte?

Löffler: Ja, ich glaube, die Urszene war natürlich sein Auftritt in Princeton 1966 bei der Gruppe 47, da ist er einfach aufgestanden, ein völlig Unbekannter, und hat zu stottern begonnen - eigentlich ist nur ein Wort wirklich verständlich gewesen: Beschreibungsimpotenz. Aber das hat genügt, um die Gruppe 47 zusammenzufalten, und sie traf sich danach nie wieder, aber dieser junge Unbekannte war schlagartig berühmt, Peter Handke, einen Senkrechtstart hat er damit hingelegt, Literaturbeatle, Modeautor, dazu kam im selben Jahr die Uraufführung seines Stückes "Die Publikumsbeschimpfung", und damit war er etabliert, hatte das Image weg als Bürgerschreck.

Timm: Das Scheue, das Sprachmächtige, auch das Trotzige, das pflegt er ja auch, sein eigenes Image. Aus welchen biografischen Erfahrungen speist sich das?

Löffler: Ich glaube, dass sein früher Ruhm ein bisschen ein Missverständnis war. Erinnern wir uns an den ständigen Satz in seinem Stück "Kaspar", die Figur Kaspar sagt da immer: "Ich will ein anderer werden." Und Handke selbst ist ständig ein anderer geworden, um er selbst zu bleiben. Und ich denke, die große Krise war 1976, das war eine Gesundheitskrise, eine Herzattacke, und damit leitet er eigentlich auch seine persönliche, ästhetische und literarische Wende ein.

Er hat zum ersten Mal zugegeben, dass er eben nicht dieser hochmütige, antiautoritäre, weltläufige urbane Dandy ist, sondern in Wahrheit ein zergrübelter Kleinhäuslersohn aus dem bäuerlichen Proletariat in Kärnten, unehelicher Sohn einer Kärntner Slowenin, und in dem Augenblick eigentlich ist er auch aus der Mode geraten. Er geriet ins Abseits, aber er hat auch das Abseits als seinen eigentlichen Ort entdeckt, und er hat sich so ab '76 eine neue Schreibregel gegeben, eine neue Poetik für sich entworfen, ein bestimmtes Programm für sein Leben und für sein Schreiben, und bei dem ist er eigentlich geblieben bis heute.

Timm: Er ist ja auch ein Schriftsteller im politischen Spagat, er begann als literarischer Bürgerschreck, wurde dann regelrecht ja auch manchmal zur Hassfigur der Linken. Vor ein paar Jahren erst hatte es auch zwischen wohlmeinenden Freunden und Peter Handke sehr gekracht, als er kurz nach dem Jugoslawienkrieg umfassend für die serbische Seite Partei ergriff, sogar die Grabrede auf Milosevic gehalten hat. Was sagen uns solche Lebenskapitel über Peter Handke?

Löffler: Ja, der Komplex Jugoslawien, man muss das auch von seiner Biografie her sehen: Jugoslawien, das war sein persönliches Paradies, das war sein Modell eines Vielvölkerstaates, auch seine Herkunftswelt Slowenien, sein familiärer Mythos. Er hat sich identifiziert mit den ethnisch und sprachlich gedemütigten Kärntner Slowenen und war natürlich sehr getroffen davon, dass in den Sezessionskriegen dieses Land auseinandergefallen ist. Er hat sich dann natürlich auch dafür verkämpft, das muss man sagen, er ist auch viel missverstanden worden. Die Medienschelte, die er gegen die Gräuelgeilheit der Kriegsreporter angezettelt hat, hat ihm natürlich auch wieder viel Kritik eingetragen. Das hat ihn, glaube ich, zehn Jahre seines Lebens gekostet, diese jugoslawischen Zorngesänge, aber das liegt nun hinter ihm, und man sollte sich eigentlich eher auf sein Werk konzentrieren, das natürlich ganz anders ist, und in dem es auch um ganz andere Dinge geht. Es geht ihm, wenn ich es auf eine Formel bringen sollte, um Selbstbeobachtung und Selbstwahrnehmung, aber gleichzeitig aus der Selbstwahrnehmung heraus die Weltwahrnehmung.

Timm: Aber ist das auch typisch für Handke, dass er sich aus dieser Selbstwahrnehmung, aus dieser Selbstbezogenheit, vielleicht auch Weltferne manchmal auch gegen die ganze Welt in Stellung bringt, politisch?

Löffler: Ja, aber das ist ihm nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist, dass er das Jetzt beschreiben will, das Jetzt soll erzählbar werden, der jetzige Moment. Und der soll übergeführt werden in ein episches Präteritum. Das heißt, es sind lauter Übungen in Gegenwartsmetaphysik, wo es um die aktuelle Politik eigentlich gar nicht geht. Es ist ein sehr ernster Dienst an der Stille hinter dem Weltenlärm und hinter dem Allerweltsradau, mit dem will er ja gar nichts mehr zu tun haben. Es geht ihm um diese Intensitätsmomente, um die Momente der Begeisterung und der Erleuchtung. Man kann sagen, es geht ihm um profane Erleuchtung, und es ist doch ganz klar, dass in den Augen der dickfelligen Großstadtzyniker unter den Kritikern, dass er sich da nur lächerlich macht. Aber wer genauer liest, der erkennt natürlich die Einzigartigkeit dieses Autors und die Singularität dieses Werks. Er ist ein kanonischer Autor unserer Epoche.

Timm: Wir sprechen hier im "Radiofeuilleton" mit Sigrid Löffler über den Dichter Peter Handke, der heute 70 Jahre alt wird. Von Ihnen, Frau Löffler, ist bekannt, dass Sie sein Werk sehr, sehr schätzen. Er gilt vielen als schwierig, kompliziert, stimmt das eigentlich?

Löffler: Nein, ich denke, wenn man mit offenen Augen und Ohren liest, dann ist er ganz leicht zugänglich. Ich würde drei Werke empfehlen: Ich denke, man sollte unbedingt "Wunschloses Unglück" lesen, das ist die Geschichte vom Selbstmord seiner Mutter, aber gleichzeitig auch die exemplarische Geschichte eines Frauenlebens in der österreichischen Provinz. Dann sollte man eines seiner Hauptwerke lesen, "Die Wiederholung", da geht es um eine Fußwanderung, in der sich Handke seine slowenische Heimat erobert hat und zugleich aber auch seine verschollene und verschüttete Familiengeschichte als Slowene. Und dann würde ich unbedingt empfehlen "Die morawische Nacht", das ist Handkes großer Abgesang auf sein Lebensthema, also Traum und Trauma Jugoslawien. Das ist damit abgeschlossen, gleichzeitig ist es ein Resümee seiner Lebensreisen und seines Lebenswerkes und ein großer Befreiungsschlag, eine Neuorientierung ins Offene.

Timm: Er gilt als Sprachkünstler, aber auch als Sprachtüftler, der in den ganz kleinen Dingen oft die große Welt findet. Also es gibt Handtexte, ich habe mal geguckt in sein Gedicht "Gedicht an die Dauer": "Je unscheinbarer, desto ergreifender", heißt es da, und er spricht dann über Teekannen, über Bleistifte, über Blätter, über Nüsse, die er in der Natur findet. Zeigt sich in diesen scheinbaren Kleinigkeiten der ganze Handke-Blick aufs Leben?

Löffler: Ja, es geht ihm um diese unscheinbaren Dinge, und diese unscheinbaren Dinge, die offenbaren sich, in denen sieht er eigentlich das eigentliche Leben und die eigentliche Welt. Wenn man so will, sucht er im Unscheinbaren den Vorschein des Utopischen, er will die Offenbarung der Dinge vorantreiben, das ist ihm wichtig. Und das ist ein ernster Dienst an der Sprachgestalt. Und das Schöne an seinem Werk ist, es ist offen, es ist durchlässig, gleichzeitig aber arbeitet Handke beharrlich an diesem literarischen Kosmos weiter, er verfeinert und variiert und er reichert ihn mit neuen Werken an, erweitert ihn, baut an dieses Werk an und bleibt eigentlich beständig dran. Er lässt nicht nach, und das ist ein großes Exerzitium in Selbstdisziplin und ein sehr ernster Dienst.

Timm: Sie haben uns ein paar Titel eben im Siebenmeilenstiefeltempo durch das Werk von Handke genannt. Er hat unendlich viel geschrieben - in welchen Werken zeigt er sich vor allen Dingen als dieser Sprachtüftler, und in welchen ist er vielleicht auch für jemanden, der ihm spontan begegnen möchte und ihn noch nicht so gut kennt, ganz gut fassbar?

Löffler: Ja, ich denke, diese Sprachtüftelei war natürlich auch in gewisser Weise ein Sprachkrampf, das zeichnet sein Jugendwerk aus, da war er noch ein sehr steriler Formalist, das hat er aber überwunden in dem Maße, in dem er eigentlich auch seine Autobiografie beschreibbar und erzählbar gemacht hat. Und dadurch ist er natürlich auch viel lesbarer geworden.

Das Wichtige ist, dass er ein Fußwanderer ist. Die Wanderung, das ist seine narrative Struktur. Wandererzählungen, das sind aber immer zugleich Lebenserzählungen, säkulare Pilgerfahrten, wenn man so will, der Wanderweg ist immer auch ein Lebensweg und ein Erzählweg. Und das zieht sich durch alle seine Bücher durch, "Mein Jahr in der Niemandsbucht" - "In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus" -, "Bildverlust oder Durch die Sierra de Gredos", die "Morawische Nacht", alle diese Bücher sind eigentlich Lebenswanderungen und große Wandererzählungen.

Timm: Peter Handke wird heute 70, er lebt in einem ganz kleinen Dorf bei Paris. Ist das eigentlich ein Mensch, dem Sie zutrauen, dass er feiert?

Löffler: Ich denke, er wird gefeiert werden von den Leuten, von dem stillen Volk seiner Bewunderer, und er hat eine Gemeinde, die wird ihn feiern, und ich glaube, dem entgeht er nicht.

Timm: Was wünschen Sie ihm?

Löffler: Ich wünsche ihm, dass er bei seiner Sache bleibt, aber das braucht man ihm nicht wünschen, das tut er sowieso.

Timm: Sigrid Löffler, die Literaturkritikerin, zum 70. Geburtstag von Peter Handke. Frau Löffler, ich danke Ihnen für Ihren Besuch hier im Studio!

Löffler: Vielen Dank!

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