Ein Kampf auf verlorenem Posten

Von Christoph Leibold · 28.07.2013
Michael Thalheimer präsentiert bei den Salzburger Festspielen Friedrich Schillers "Die Jungfrau von Orleans". Es ist ein bewusst actionarmes Theater, das sich auf das innere Drama der Titelheldin konzentriert.
Sie trägt Unschuldsweiß, schulterlanges Haar rahmt ihr Madonnengesicht. Den linken Arm hält sie leicht vom Körper gespreizt, die Handfläche nach vorne gekehrt, als verkünde sie eine Prophezeiung. In der rechten hält sie ein Schwert: Johanna, halb Unschulds-, halb Rachengel, so spielt Kathleen Morgeneyer diese Jungfrau von Orleans auf der Bühne des Salzburger Landestheaters, erfüllt von ihrer Mission, zwischen Inbrunst und Ingrimm.

Michael Thalheimer hat Kathleen Morgeneyer als Johanna von Orleans ins absolute Zentrum seiner Inszenierung gerückt, wo sie nun ebenso entrückt wie unverrückbar Stellung hält - und das ist durchaus wortwörtlich zu verstehen: Fast die komplette Aufführungsdauer von über zwei pausenlosen Stunden steht Morgeneyer auf einem Fleck, halbmittig, nahe der Rampe, auf der leeren Bühne, die eine schwarze Kuppel wie von einer Kathedrale überwölbt. Ein sakraler, leerer Raum, der die Herzen und Hirne verdunkelt, denn er bleibt finster.

Licht dringt nur durch ein tellergroßes, kreisrundes Loch links oben, es fällt gleißend hell auf Johanna allein, die sich mit schwarzer Farbe Streifen ins Gesicht schmiert: eine kriegsbemalte Lichtgestalt, die alle überstrahlt. Indem Michael Thalheimer seine Inszenierung derart auf die Titelheldin fokussiert, verdammt er den Rest seines Ensembles, das im Halbdunkel nur mühsam fürs Zuschauerauge erkennbar agiert, zu einem Schattendasein. Konturen gewinnt allenfalls noch Christoph Frankens korpulenter König Karl, ein verschwitzter Dekadenzling im schweren Pelzmantel, und als solcher verzagter Gegenentwurf zur entschlossenen Johanna.

Wenige, ausdrucksstarke Handlungsmomente
Die übrigen Figuren sind eher Erfüllungsgehilfen eines Regieplans als von Eigenleben erfüllt. Zu erleben ist also einmal mehr eine jener so Thalheimer-typischen Setzungen, die manchmal starke, manchmal aber auch nur statische Ergebnisse zeitigen. Letzteres ist an diesem Abend leider das Fall.

Thalheimer baut auf wenige, dafür ausdrucksstarke Handlungsmomente. Wenn sich die Gegner in der Schlacht nähern, die Johanna niedermetzelt, schwere Eisenschwerter hinter sich her schleifend, Kettenhauben auf den Köpfen, die Arme nackt und blutverschmiert, nehmen sie erst Mal einen große Schlucke aus der Bühnenblutpulle, um den Inhalt sodann auf Johannas weißes Kleid zu spucken, ehe sie zu ihren finalen Sätzen anheben und das Zeitliche segnen. Sie bleibt dabei regungslos, schwingt ihr Schwert nicht. Dazu tönt unheilvoll dräuend die Musik von Bert Wrede, die manchmal so klingt, als müsse sie für Spannung bei der Eine-Million-Euro-Frage in "Wer wird Millionär?" sorgen.

Michael Thalheimers bewusst actionarmes Theater ist seiner Inszenierung durchaus angemessen, konzentriert sie sich doch auf das innere Drama der Titelheldin. Nicht vom Unheil, das eine Gotteskriegerin über die Welt bringt, wird hier erzählt. Sondern von der heillosen Verwirrung, in die sie stürzt, als ein in ihrem religiösen Wahn nicht vorhergesehenes Gefühl sie aus dem Tritt bringt: als ihr der englische Heerführer Lionel auf dem Schlachtfeld begegnet, verliebt sich Johanna - und stürzt in eine schwere Identitätskrise.

Doch für die Verzweiflung ihrer Figur findet Kathleen Morgeneyer – bebend und am Fleck klebend - kaum anderen Ausdruck als für die Mischung aus finsterer Entschlossenheit und Feierlichkeit zuvor. Letztlich kämpft auch sie, wie der Rest des Ensembles, dessen pulsierendes Herz sie doch hätte sein sollen, gegen eine Konzept an, in das die Regie sie gezwängt hat. Es bleibt ein Kampf auf verlorenem Posten.
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