Ein Käfig voller "Wilder"

Von Martina Zimmermann · 28.11.2011
"Menschenzoos" waren in der Kolonialzeit der Renner in Europa. Bei diesen sogenannten Völkerschauen wurden Angehörige fremder Kulturen ausgestellt. In Paris widmet sich die Ausstellung "Die Entdeckung des Wilden" im Musée du Quai Branly Paris dem Topos in seiner internationalen Dimension.
Dunkelhäutige Krieger hauen auf Trommeln, ein europäischer Marktschreier feuert sie an: Die Filmaufnahme zeigt eine von den Shows, die sich ab dem 19. Jahrhundert immer größerer Beliebtheit erfreuten. Einen Schwarzen im Tigerfellröckchen zeigt ein Gemälde des deutschen Malers Paul Friedrich Mayerheim: Er steht vor einem faszinierten Publikum auf der Bühne und hält ein Krokodil auf seinen Schultern. Gemälde, Plakate, Fotos und Skulpturen sind Beispiele dafür, wie das Bild vom "Wilden" geschaffen wurde. Fußballweltmeister Lilian Thuram, der 2008 die Stiftung zur Erziehung gegen Rassismus gegründet hat, ist Hauptkommissar der Ausstellung:

"Die Idee ist, die Klischees zu erklären, die bis heute in unserer Gesellschaft andauern. Diese Klischees haben eine Geschichte. Mit den "Menschenzoos" sind die rassistischen Theorien der Wissenschaftler in die Gesellschaft eingedrungen: Die Leute gingen am Sonntag picknicken und schauten sich Menschen an, die eingeschlossen waren und die als Wilde präsentiert wurden. Wenn man Ihnen die als Wilde darstellt, gehen Sie nach Hause und erzählen, Sie haben Wilde gesehen!"

Afrikaner, Indianer, Asiaten werden zuerst einzeln vorgeführt, auf der Kirmes oder im Menschenzoo. Später feiern "Zulus" und "Buffalo Bills Wildwestshows" Erfolge in Cabarets und Theatern. Die Pariser Weltausstellungen ziehen Millionen Besucher an. In Hamburg kommen an manchen Wochenenden 80.000 zu den Shows von Carl Hagenbeck: Der Tierhändler zeigt auf seinen Völkerschauen "Lippennegerinnen aus Afrika" und wird zu einem bedeutenden Impressario dieser Shows. Der Historiker Pascal Blanchard, der vor zehn Jahren in Frankreich das erste Werk über die "Menschenzoos" veröffentlichte, gilt auch als Spezialist für Kolonialgeschichte und Sklaverei:

"Man muss verstehen, dass es da um Macht geht. Wer den anderen ausstellen kann und auf einer Bühne vorführen und einsperren, kann ihn dominieren. Diese rassistische Kultur mit ihrem Blick auf den anderen funktioniert in Moskau, in Tokio, in Hamburg, Mailand, Paris oder New York."

Ein altertümliches aber präzises Messgerät zeigt, wie Wissenschaftler die Theorie von verschiedenen Rassen erfanden: Sie vermaßen die Wilden, machten Abdrücke von ihren Gesichtern. Aber erst mit den Shows vor Millionenpublikum hielt die Ideologie vom Wilden Einzug in die Köpfe der Menschen. Versklavung, Missionierung und Kolonialherrschaft fanden somit eine Rechtfertigung. Der Historiker Pascal Blanchard:

"Wir haben alle dieses Erbe in unseren Köpfen. Wir wissen alle, wie ein Wilder aussieht: er ist nackt, hat lange Haare, Ketten und Federn, er tanzt möglichst um ein Feuer, und klar sind dann da noch die Kannibalen. Unsere Kultur hat das Bild vom Wilden völlig verinnerlicht."

Anfang der 1930er-Jahre verlor das Publikum das Interesse an den Shows. Aus dem Wilden war – dank Kolonialherrschaft - der Eingeborene geworden. Exotik gab es nun im Kino, zum Beispiel dank Tarzanfilmen. Der Ausstellungskatalog schließt mit Berichten über Exotik von heute, in China, wo ein Dorf von Zwergen jedes Jahr von drei Millionen Touristen besucht wird. In Belgien, wo vor zwei Jahren Massai ausgestellt wurden, in Augsburg, wo ein afrikanisches Dorf aufgebaut wurde, wie auch in einem Safaripark in der Nähe von Nantes. Pascal Blanchard:

"Die Leute zahlen viel Geld dafür, um Wilde zu sehen, die ihrer Vorstellung entsprechen. Und dann gibt es das Fernsehen, das ferne Länder so zeigt, wie es die Leute bereits im Kopf haben. Wenn Sie mit einer Kamera einen Wilden finden, der in Turnschuhen und Baseballmütze Fernsehen guckt wie Sie und ich, dann interessiert das niemand. Dafür zahlt kein Fernsehsender ein Team und schickt es 15.000 Kilometer weit weg. Das Bild vom Wilden ist nicht verschwunden, es hat sich nur neuen Formen angepasst. "

Die Ausstellung endet mit einer Videomontage von Vincent Elka, der Homosexuellen, Muslimen und anderen potenziell diskriminierten Menschen das Wort gibt. Klischees und Vorurteile haben ein langes Leben, das weiß auch Fußballerweltmeister Lilian Thuram aus Guadeloupe, der heute Bücher schreibt und Ausstellungen konzipiert. Schuldzuweisungen lehnt er ab, Thuram setzt auf Pädagogik:

"Ich war Fußballspieler. Angeblich soll ein guter Sportler kein Hirn haben! So will es die Gesellschaft. Man muss sehr aufpassen und diese Vorurteile bekämpfen!"

Musée du Quai Branly: Ausstellung "L'invention du sauvage"

Links bei dradio.de:

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