Ein Junge aus der anatolischen Provinz

Von Susanne Güsten · 13.10.2008
"Dunkle Geschäfte am Bosporus" heißt das neueste Abenteuer des türkischen Privatdetektivs Remzi Ünal, der in Istanbul auf Ganovenjagd geht. Es ist der vierte ins Deutsche übersetzte Krimi aus der Feder von Celil Oker. Bereits als Student hatte sich Oker durch die gesamte türkische Literatur gelesen und hegte eigene literarische Ambitionen.
Ein Kaffeehaus im Istanbuler Stadtteil Bebek, fernab der historischen Altstadt am europäischen Ufer des Bosporus. Die Kellner scheinen die meisten der Gäste zu kennen, die bei einem Glas Tee in der Zeitung blättern oder über ihren Backgammon-Brettern brüten.

Besonders herzlich begrüßt wird ein bärtiger Mittfünfziger, der mit der Zeitung unter dem Arm hereinkommt. Seit mehr als 35 Jahren ist Oker schon Stammgast in dem kleinen Kaffeehaus neben der Moscheee von Bebek. Entdeckt hat er es 1971, als er aus seiner zentralanatolischen Heimatstadt Kayseri zum Studium an der Bosporus-Universität nach Istanbul kam:

"Ich kannte Istanbul damals nur aus Romanen, Erzählungen und Gedichten. Um die Stadt besser kennenzulernen, wie es sich für einen zukünftigen Schriftsteller gehört, bin ich ständig durch die Straßen gelaufen, angefangen hier in Bebek, wo die Uni liegt.

Dabei habe ich dieses Kaffeehaus entdeckt, das 1971 schon hier war und wahrscheinlich auch schon lange davor - ein kleines, für Istanbul ganz typisches Nachbarschaftskaffeehaus, in dem die Händler, Fischer und Taxifahrer von Bebek zusammensaßen."

Schüchtern setzte sich der Student damals dazu und hoffte, dass ihn niemand fragen würde, was er dort zu suchen habe.

Wie aus einer Kurzgeschichte des großen türkischen Schriftstellers Said Faik mutete das Kaffeehaus den jungen Celil Oker an, der sich schon damals durch die gesamte türkische Literatur gelesen hatte und eigene literarische Ambitionen hegte. Wie kommt ein Junge aus der anatolischen Provinz zu solchen Ambitionen? Oker reagiert empfindlich auf die Frage:

"Aus Kayseri kommen etliche Schriftsteller und Maler. Mahmut Toprak etwa, einer der bekanntesten Maler unserer Zeit - er war einer meiner Kindheitsfreunde aus der Nachbarschaft, wir haben zusammen Fußball gespielt. So verwunderlich ist das also gar nicht. Aber ich muss auch dazu sagen, dass meine Familie eine große Bibliothek hatte und dass bei uns zuhause viel gelesen wurde."

Verwirklichen konnte Oker seine literarischen Ambitionen mit einer Literaturzeitschrift, die er 1980 zusammen mit Gleichgesinnten in der Hauptstadt Ankara gründete, unmittelbar nach dem Militärputsch vom 12. September 1980:

"Es war deshalb nur zur Hälfte ein Literaturmagazin und zur anderen Hälfte eine Oppositionszeitschrift, doch von da an habe ich an mein Talent als Schriftsteller geglaubt. Als junger Autor, dessen Geschichten nun veröffentlicht wurden, bin ich 1983 schließlich nach Istanbul zurückgekehrt und habe dort festgestellt, dass sich das Leben durch die Veröffentlichung meiner Geschichten auch nicht großartig geändert hatte."

Dafür veränderte eine Begegnung im Kaffeehaus von Bebek, in dem Oker nun wieder verkehren konnte, sein Leben um so mehr:

"Da war eine junge Frau, die auch gerne in diesem Café saß und über die Welt nachdachte. Ich habe sie mit einer dieser typischen Kaffeehausnummern kennengelernt. Wie das geht? Erstmal bittet man natürlich um Feuer. Und dann hatte die junge Frau ein Buch vor sich auf dem Tisch liegen. Als ich Feuer bekommen hatte, habe ich Sie also gefragt, was sie da liest, und so kamen wir ins Gespräch."

Dem Gespräch folgten eine Hochzeit, zwei Kinder und damit auch die Notwendigkeit, Geld zu verdienen. Von Kurzgeschichten und Romanen stieg Oker auf Werbetexte um - damals eine neue Branche in der Türkei, die ihren Markt gerade für das Ausland öffnete und erste Privatsender zuließ. So erfolgreich war Oker als Werbetexter, dass er das Handwerk heute an der Universität lehrt, was ihn selbst amüsiert:

"In meinen Vorlesungen zum Thema Werbegeschichte erzähle ich den Studenten meine eigenen Erfahrungen als wären sie historische Ereignisse. Für die jungen Leute ist es schwer, sich eine Welt vorzustellen, in der es nur das Staatsfernsehen gab und keine Privatsender, kein Internet und keine großen Werbeplakate. Aber so war das damals eben."

Erst nach dem Wechsel von der Werbeagentur an die Hochschule fand Oker wieder Zeit zum Schreiben. Zufällig lobte ein Verlag damals gerade einen Preis für den originellsten neuen Kriminalroman aus.

Mit "Schnee am Bosporus" gewann Oker 1999 auf Anhieb den ersten Preis, seither hat er seinen Privatdetektiv Remzi Ünal in fünf weiteren Krimis kreuz und quer durch Istanbul gehetzt.