"Ein idealer Stoff, einen Kinderfilm zu machen"

Moderation: Joachim Scholl · 16.12.2012
Nach "Tom Sawyer" nun "Huck Finn": Für Regissseurin Hermine Huntgeburth geht es im zweiten und ernsteren Teil ihrer Mark-Twain-Verfilmung um die Auseinandersetzung mit Ausgrenzung, Rassismus und Vorurteilen. Aber auch das Abenteuer soll nicht zu kurz kommen.
Joachim Scholl: Für unsere Generation, Frau Huntgeburth – Sie sind Jahrgang 1957 –, ist dieser Romanstoff gewissermaßen kanonisch: Jeder kennt diese Romane von Mark Twain, Sie haben sie bestimmt auch als Kind gelesen, oder?

Hermine Huntgeburth: Ja, ich habe sie als Kind gelesen, also eigentlich "Tom Sawyer" nur, und den zweiten Roman "Die Abenteuer des Huck Finn" habe ich dann viel später gelesen, also nicht im jugendlichen Alter gelesen, sondern viel später. Er ist auch schwieriger zu lesen als der "Tom Sawyer".

Scholl: Für die heutigen Jugendlichen ist es gar nicht mehr so ausgemacht. Das Lesen nimmt ja leider stetig ab, im letzten Jahr war Ihr Film "Tom Sawyer" erfolgreich. Waren das eher die Eltern, die ihre Kinder mitgeschleift haben und sagten, da gehen wir jetzt mal hin, das gucken wir mal, das ist mal was?

Huntgeburth: Ich denke, "Tom Sawyer und Huckleberry Finn" ist schon bekannt, also es gibt halt eben viele – ich glaube, es gab auch eine Zeichentrickserie im Fernsehen, "Tom und Huck", und ich weiß nicht was alles. Ich denke, dass das schon auch ein Begriff ist und war, aber wir haben natürlich auch darauf spekuliert, dass die Eltern aus Sentimentalität oder aus Neugierde auch die Kinder mitnehmen, und dass man dann eben, dass beide – sowohl die Eltern als auch die Kinder – sehr viel mit dem Film anfangen können und gut unterhalten werden und auch Gesprächsstoff haben, danach über Dinge zu sprechen.

Scholl: Auf die ernste Sache kommen wir gleich zu sprechen, Frau Huntgeburth, aber weil Sie gerade Verfilmungen ansprechen, die Abenteuer von Tom und Huck, ich habe gerade geschaut, 1917 war, glaube ich, die erste Verfilmung – es gibt ganz viele. Ich kann mich noch gut an den ZDF-Vierteiler Ende der 60er-Jahre erinnern, ich habe das geliebt als Kind. 1995 hat Hollywood auch noch mal eine Adaption für die große Leinwand gemacht, fürs Kino. Was hatten Sie denn, als Sie drüber nachdachten, im Sinn? Wie wollten Sie da rangehen an den Stoff?

Huntgeburth: Auch ein bisschen angeregt von diesem Vierteiler, der ja auch eine deutsch-französische und, glaube ich, rumänische Produktion war damals, das hat Herr Liebeneiner gemacht. Und damals war ich schon sehr begeistert, oder wir alle waren begeistert von diesen Vierteilern, und es war jetzt nicht explizit meine Idee, das noch mal zu verfilmen, sondern von Boris Schönfelder, der sich gerade unabhängig gemacht hat, der jetzt auch eine eigene Produktion hatte, die neue schönhauser filmproduktion, es war seine Idee, das zu machen.

Und ich denke, auch erst mal mit dem Hintergrund, dass es eben auch Weltliteratur ist, gleichzeitig natürlich auch viel mit Freiheit, mit Opulenz, mit Natur, mit Unabhängigkeit, mit Abenteuer, mit Bewegung, mit Spaß – und ich denke, das ist ein idealer Stoff, halt eben einen Kinderfilm zu machen. Und für mich war es persönlich auch interessant, wirklich auch einen großen Kinofilm zu machen. Und bei "Die Abenteuer des Huck Finn" haben wir versucht, es noch größer zu machen, noch spaßiger und noch opulenter. Und ich glaube, das ist uns auch gelungen.

Scholl: Einen Tom Sawyer zu verfilmen – Sie haben es schon angesprochen –, das ist noch so der reine Spaß vom Thema her, schöne Jugendstreiche, Tante Polly ärgern, auf die Jackson-Insel ausbüxen, Feuerchen machen, Pfeifchen schmauchen – "Huckleberry Finn" ist ein anderes Kaliber als Roman, da geht es um was richtig Ernstes, wir haben schon die Ausschnitte gehört, die Sklavenhaltung in den Südstaaten jener Zeit. Der Roman spielt noch vor dem Sezessionskrieg, im Städtchen Sankt Petersburg ist die Rassistenwelt sozusagen noch in Ordnung. Und schon die erste Szene in Ihrem Film, die intoniert dieses Thema, da sind Jim und Huck zusammen, und den Ton, den wollten Sie anscheinend gleich zu Beginn setzen.

Huntgeburth: Ja, darum geht es im Prinzip. Es geht um die Auseinandersetzung mit Ausgrenzung, mit Rassismus, nicht nur natürlich, aber auch, und es geht auch darum, Vorurteile … Menschen kennenzulernen und so weiter, was ein aktuelles Thema ist. Man denkt immer, das gibt es nicht, witzigerweise haben wir nach den Testvorführungen festgestellt, dass dieses Wort Sklaverei bei den Kindern teilweise nicht mehr so präsent ist, und das fand ich dann ganz interessant, obwohl es ja heutzutage auch Sklaverei gibt, jetzt nicht im direkten Umfeld, aber wir haben eben auch viel damit zu tun, dass man halt eben Menschen an den Rand der Gesellschaft drängt, ohne überhaupt sie kennenzulernen, sondern aus reinem Vorurteil. Und das war uns schon sehr wichtig, und deswegen gehen wir gleich ins Thema rein.

Scholl: Nun zeichnen Sie die Jagd auf den entlaufenen Jim mit sehr komödiantischem Einschlag. Also die Sklavenjäger, die sind eigentlich völlig stulle, ja? Herrlich, wie Henry Hübchen, Milan Pechel und Andreas Schmidt das spielen – im wahren Leben war so was äußerst brutal, da wurde eingefangenen Sklaven die Achillessehne durchtrennt. Sie machen da eher einen Slapstick draus – mit Absicht, ne?

Huntgeburth: Ja, die sind einerseits natürlich Slapstick, andererseits schon sehr ernst zu nehmen. Sie fangen ja auch den Jim und quälen ihn. Aber ich denke, wir machen ja einen Kinderfilm, und ich denke, man muss auch immer drauf achten, und es ist auch ganz, ganz wichtig, dass man eine Balance findet zwischen ernsthaft oder auch grausam und gruselig und Spaß – und Abenteuer. Und ich denke, wir nehmen die Figur des alten Finn sehr ernst, und da gibt es nichts, worüber man sich lustig machen sollte und darf und kann, und ich denke, das muss man auch bei Kinderfilmen, wirklich auch das Gute und Böse klar zeichnen, dass es wirklich auch um eine Figur geht, an der man sich abarbeiten kann. Und die drei Sklavenjäger haben sich schon ein wenig angeboten, da Slapstick draus zu machen. Ja, und die drei sind halt eben auch ein tolles Trio.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Hermine Huntgeburth. So stulle, wie die Sklavenjäger sind, so straight ist auch die Sprache im Film. "Ich bin eine arme schwarze Sau, du bist eine arme weiße Sau", sagt Jim, "Wir sind am Arsch", ruft an anderer Stelle mal Henry Hübchen aus – da wollten Sie also auch jetzt bloß keine aseptische, politisch korrekte Sprache für den braven Nachwuchs haben, ne?

Huntgeburth: Nein – ja, ich meine, das muss man … es gab ja diese Bewegung jetzt auch in den USA, wo jetzt auch das Wort Nigger rausgeschrieben werden sollte aus dem Roman, also wo sie es angesetzt haben, was natürlich historisch furchtbar ist und überhaupt, dass man versucht, alles glattzubügeln. Ich denke, man muss auch klare Worte finden, um klare Themen anzusprechen oder auch um Themen eben anzusprechen. Und ich denke, wir haben nicht versucht, jetzt durch eine besonders saloppe, zeitgemäße Sprache halt eben sich da so hineinzumogeln in die heutige Welt, sondern es ist eine … Sascha Rang hat das eben sehr schön gemacht, so eine Mischung aus klarer Sprache und aber auch Zugänglichkeit, also ich habe ja schon mehrere historische Filme gemacht, und ich finde, das ist ja auch ein deutscher Western geworden, also ganz großer Film. Man braucht auch immer Dinge oder auch Lücken, in denen man andocken kann, und das ist zum Beispiel, das hat viel mit Kostüm, mit Maske und auch mit der Sprache zu tun, ohne sich anzubiedern.

Scholl: Es ist ja auch ein Film gemäß des Buches über das Aussteigen, über das Neinsagen, über das Sich-Verweigern. Im Grunde ist Huck ja der reine Anarchist, er hat keine Lust, sich "zivilisisieren" zu lassen, wie es im Roman Mark Twain formuliert, er pfeift auf das Geld aus dem Schatz des Indianer-Joes. Mit Huck habe ich mich später eigentlich immer mehr identifiziert als mit Tom Sawyer, den man ja eigentlich so ein bisschen als den geschäftstüchtigen kleinen cleveren, ja, so eine Art Mitt Romney bezeichnen kann. Wie geht es Ihnen da, ist Ihnen Huck nicht auch sympathischer?

Huntgeburth: Ja, im zweiten Teil auf jeden Fall.

Scholl: Der Film hat tolle Bilder, so auch als romantische Welt, mit dem Mississippi, die Fahrt den Fluss hinunter, die Aussteiger-Romantik – wo haben Sie eigentlich gedreht?

Huntgeburth: Ganz, ganz unterschiedlich. Wir haben viel um Berlin herum, in Brandenburg gedreht, dann haben wir aber auch in Sachsen an der Molde, und überall … wir haben viel gesucht und gefunden, und Jackson Island ist zum Beispiel auch hier in der Nähe von Berlin. Man findet hier ganz tolle Gegenden noch, und dann haben wir natürlich auch in Rumänien gedreht, am Donau-Delta, da, wo auch dieser Vierteiler, ZDF-Vierteiler teilweise gedreht wurde, und da gab es eben auch diese Stadt, Sankt Petersburg, die ist da aufgebaut, also als Westernstadt, die wir dann umgebaut haben. Kairo haben wir auch unten in Rumänien gedreht, also es ist eine Mischung aus Deutschland und Rumänien.

Scholl: Was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht an diesem Film?

Huntgeburth: Eigentlich macht mir alles Spaß, ehrlich gesagt. Weil jede Phase des Films hat eine neue Herausforderung, aber ich bin ja schon auch so eine Schauspielerregisseurin, muss ich sagen, dass, wenn ich dann richtig vor Ort am Set bin und loslegen kann, das ist für mich eigentlich schon der Traum, und dann auch sehe, was für tolle Sachen man auch ausstattungsmäßig und mit der Kamera und auch, was für tolle Kostüme das sind und wie das alles entsteht. Das ist ja so ein – Film ist ja nicht, entsteht einmal im Kopf, und dann zieht man das durch, sondern der hat ja ganz viele Windungen und neue Wege, die man einschlägt, wo dann auch wieder die Fantasie aufgeht, und für mich ist ja Regie der Traumberuf.

Scholl: Von Henry Hübchen ist bekannt, dass er ziemlich viel improvisiert, auch am Drehbuch. Ich habe, als ich diesen Film sah, zwischendurch daran gedacht – er bekommt nämlich irgendwann, er ist ja der Sklavenjäger, eigentlich ein ganz fieser Typ, er bekommt irgendwann einen Schlag auf den Kopf und ist dann so wie der Druide Miraculix im Heft eigentlich nicht mehr zurechnungsfähig und sagt nur noch "Guten Abend", wie so ein Mainzelmännchen. Ich habe nur gedacht: War das sein Einfall?

Huntgeburth: Mit dem "Guten Abend" das stand im Drehbuch, aber er hatte trotzdem einen sehr genialen Einfall, er hat gesagt, ist doch blöd, wenn er dann da einfach aus dem Film verschwindet, der müsste doch hinterher wieder auftauchen. Und das, muss ich sagen, war eine …

Scholl: Eine prima Idee, ne?

Huntgeburth: Das war eine super Idee, weil erstens mal lockert das auf und macht dann das Showdown nach hinten auch noch spannender, und das haben wir dann auch gerne aufgenommen, und so taucht halt unser Henry Hübchen am Schluss wieder auf.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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