"Ein ganz schlechter Krimi"

Thomas Wörtche im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 20.08.2012
Als "bieder geplottetes Teil" hat der Literaturkritiker Thomas Wörtche den Krimi "Der Sturm" bezeichnet. Der vermeintliche Schlüsselroman von Thomas Steinfeld sei inszeniert wie ein Skript für PR-Kulturmanager.
Klaus Pokatzky: "Der Sturm - The Tempest" gilt als das letzte Theaterstück von William Shakespeare. "Der Sturm" gehört der Gattung Romanze an. Was wir mit dem Kriminalroman gleichen Namens in den letzten Tagen erlebt haben, ist aber eine andere literarische Gattung - irgendwo angesiedelt zwischen Drama und Posse. Unter schwedischem Pseudonym verfasst vom Feuilletonchef der "Süddeutschen Zeitung" Thomas Steinfeld und dem Koautor Martin Winkler. Ermordet wird darin ein deutscher Journalist, der erst der Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen", Frank Schirrmacher, sein sollte, in dem nun aber, wie Thomas Steinfeld letzte Woche schon hier bei uns im Programm erzählt hat und was er nun gegenüber dem Magazin "Focus" wiederholte, weniger Schirrmacher drinsteckt, sondern da stecke ich drin, in hohem Maße. Thomas Wörtche ist unser Kritiker, willkommen im Studio!

Thomas Wörtche: Hallo!

Pokatzky: Thomas Wörtche, ist das denn überhaupt ein Schwedenkrimi, und wenn ja, ist es ein guter Schwedenkrimi?

Wörtche: Also es ist, egal ob es ein Schwedenkrimi ist oder kein Schwedenkrimi, auf jeden Fall gar kein guter Krimi. Nehmen wir mal an, ein Schwedenkrimi ist ein Roman, der so ähnlich tickt wie die Wallander-Romane, spielt also in Schonen, und in Schonen bricht die Welt ein, das ganze Übel der Welt, was da eigentlich nichts zu suchen hat, findet ja auch Herr Wallander bekanntlich, dann ist es ein Schwedenkrimi, denn genauso hat Herr Steinfeld und Herr Winkler das aufgemacht. In Schonen wird die Leiche eines berühmten deutschen Chefredakteurs gefunden, irgendwo totgeschlagen, vom Dachs ein bisschen abgenagt, und die Handlung mäandert aber dann ganz langsam und betulich irgendwo anders hin. Sie mäandert in die USA, wir sind plötzlich mittendrin in einem Krieg, der nicht so ganz verständlich wird, im Krieg zwischen einer Systemsicherheitsfirma für Cybersicherheit und die gegen kämpfen gegen die Attacken einer Art, ja, Assange, WikiLeaks, Occupy, Anonymus, Piraten ...

Pokatzky: Alles drin.

Wörtche: Alles drin ... Das sitzt in Schweden, und die Server stehen da auch in Schweden rum und die bekriegen sich - vielleicht bekriegen sie sich auch nicht. Und wir haben wie bei Wallander melancholische Menschen in Schonen, die Hauptgestalt, Hauptfigur ist da ein Lokaljournalist namens Ronnie Gustafsson. Der hat nicht wie Wallander einen leicht senilen Vater, sondern eine durchaus kregle Mutter im Altersheim, er klärt aber auch nicht so richtig auf, denn die Aufklärung wird so ein bisschen von der Natur übernommen. Fleißige Dachse bringen Beweisstücke ans Licht - das wäre schon beinah komisch, wenn es wirklich komisch wäre, und der Sturm, eben der titelgebende Sturm, der dann fegt, bringt auch irgendwie ein verschwundenes Auto noch vor. Und dann gibt es viele Geständnisse, und das Ganze ist unendlich langweilig und verworren.

Pokatzky: Ist es überhaupt ein Krimi?

Wörtche: Na, es ist ein ganz schlechter Krimi, es könnte auch ein deutscher Regionalkrimi sein. Also er ist ein unheimlich bieder geplottetes Teil, wo man sofort ungefähr weiß, wie der Hase läuft, aber die Details lieber nicht wissen möchte, denn die sind irgendwie auch völlig unplausibel. Also dass der Chef eines milliardenschweren amerikanischen Sicherheitsunternehmens irgendwie mit Outdoor-Outfit dann durch die schwedischen Wälder stapft und dieser Server von diesem Piratenobermacker, der steinreich ist, nur von einem leicht muskulösen, aber sonst ein bisschen retardierten Sohn der Hausangestellten geschützt wird, das sind alles so Sachen, wo man denkt, mein Gott. Dann wird auch noch irgendwie der arme Journalist mit einer Schaufel einfach mal ganz schnell totgeschlagen - das geht nicht so ganz schnell ...

Pokatzky: Der arme Journalist, von dem wir erst dachten, es ist Frank Schirrmacher ...

Wörtche: Ja, genau.

Pokatzky: ... da kommen wir zu der Funktion.

Wörtche: Und dieser arme Journalist ist ja ... kommt eigentlich lustigerweise gar nicht so viel vor in diesem Roman. Dieser arme Journalist, diese Mischung aus Schirrmacher oder inzwischen, wie wir gelernt haben, Stein ...

Pokatzky: Steinfeld.

Wörtche: Steinfeld himself und vielleicht noch ein Schuss Dieckmann und wer weiß, wer noch alles da sein ...

Pokatzky: Als die "Bild"-Zeitung noch dabei.

Wörtche: ... spielt eigentlich wirklich eine sehr marginale Rolle.

Pokatzky: Aber er war ein journalistisches Genie, dieser erschlagene Chefredakteur, einer, der die Stimmung der Zeit in Worte fassen konnte, der ein großes Publikum beschäftigt, im Guten wie im Bösen, und das soll also nun weitgehend Thomas Steinfeld sein. Wäre das überzeugend?

Wörtche: Es ist so überzeugend, wie es auch nicht überzeugend ist. Wenn Herr Steinfeld das so sieht, mag das so sein. Ich finde es nicht überzeugend, könnte irgendwer sein, kann Steinfeld, kann Schirrmacher sein. Es kann sein tatsächlich, dass diese Rivalitäten, die es da anscheinend gibt, da zum Austrag kommen. Aber wenn man den Roman als Roman liest, ist das sicher keine Dominante.

Pokatzky: Also wenn ich Sie recht verstehe, ist diese Person des erschlagenen Chefredakteurs nicht so voller Hass erfüllt beschrieben?

Wörtche: Hasserfüllt kann ich das nicht sehen. Also wenn man so die Texte jetzt außen rum gelesen hat, dann ist man immer ganz erschüttert, dass er so demontiert wird, zerfetzt und so weiter und so fort. Das ist sozusagen im Stande der Darreichungsform von Leichen im zeitgenössischen Kriminalroman jetzt auch nicht so besonders grausam oder gruselig. Und von hasserfüllt muss ich sagen, och nee, das wirkt mir doch ein bisschen…

Pokatzky: Da haben Sie schon anderes in Krimis gelesen?

Wörtche: Da haben wir viel anderes schon gelesen, also da ist das doch relativ milde.

Pokatzky: Das heißt also, das, was da letzte Woche von der "Welt" ja groß aufbereitet wurde, dies sei also nun die Abrechnung zwischen Thomas Steinfeld und Frank Schirrmacher, Thomas Steinfeld, der ja früher bei der "Frankfurter Allgemeinen" der Literaturchef war, das können Sie nicht so rauslesen?

Wörtche: Das kann ich nicht so rauslesen - was ich rauslesen kann natürlich, ist wirklich ein Skript. Also wenn ich Kulturmanager wäre, PR-Kulturmanager, und würde so ein Skript schreiben und würde mal in Georg Francks "Ökonomie der Aufmerksamkeit" schauen, also ein Buch, das erklärt, wie Medien funktionieren, dann würde ich das genauso machen, denn wir haben ja so die ganzen Elemente. Wir haben erst eine Personalisierung davon, zum Beispiel Schirrmacher.

Pokatzky: Genau.

Wörtche: Da haben wir alle Schirrmacher-Bilder. Wenn man guckt, mit was die Artikel illustriert werden: Schirrmacher. Das ist Punkt eins, personalisiert.

Pokatzky: Also da steckt Schirrmacher dahinter?

Wörtche: Nein!

Pokatzky: Machen wir eine Verschwörungstheorie ...

Wörtche: Machen wir keine Verschwörungstheorie, wir machen irgendwie ... Wir machen die Magisterarbeit eines aufstrebenden Pennäler.

Pokatzky: Genau, machen wir die PR-Arbeit des Verlages S. Fischer.

Wörtche: Ja, genau.

Pokatzky: Sie als Krimirezensent, wie haben Sie denn von diesem Krimi erfahren?

Wörtche: Ich als Krimirezensent komischerweise hab gar nicht von dem Krimi erfahren, weil Fischer sagte dann, ja, sie hätten es versucht, als ganz normalen Krimi zu lancieren. Das ist natürlich genau nicht passiert. Denn über die Krimiverteilerschiene ist dieser Krimi nicht lanciert worden. Das heißt also Krimibuchhandlung oder Krimikritiker wie ich, die in ein paar Jurys sitzen und so weiter und so fort, die totgeschüttet worden wären mit Informationen, wenn es sich tatsächlich um einen neuen schwedischen Krimiautor gehandelt hätte, an uns wäre das vorbeigerauscht.

Pokatzky: Warum macht der Verlag so was?

Wörtche: Der Verlag dachte, es gibt einen schönen Medienhype einfach.

Pokatzky: Also das heißt, das würde bedeuten…

Wörtche:

Pokatzky: ... dass das von vornherein so angepeilt hat, wie es jetzt gelaufen ist.

Wörtche: Wenn er das getan hätte, wäre es genial gewesen.

Pokatzky: Wie Sie sagen, wenn, wenn, wenn ... Wenn Sie jetzt den Roman über diesen Roman schreiben würden, wäre es so, dass der Verlag das alles so durchgezogen hat?

Wörtche: Nein, das wäre mir zu klug, vor allem weil es nicht aufgeht.

Pokatzky: Zu klug wäre das?

Wörtche: Ja, das wäre zu klug. Es geht ja nicht auf. Also gucken wir mal in das Buch rein: Diese Schwedenfiktion würde keine zwei Minuten halten, wenn sie das wirklich versucht hätten, als Schwedenroman zu lancieren, weil dieser Roman wimmelt von Reiseführerklugheiten über Schweden, also Schweden erklären Schweden Schweden. Ist kein schwedischer Roman, ist völlig klar. Es ist auch kein wirklich guter Kriminalroman, kein Qualitätskriminalroman, das ist auch klar, deswegen hat man vermutlich die Krimifachkritiker rausgelassen aus dem Verteiler und hat gleich auf die Feuilletondebatte gesetzt. Irgendjemand wird es Herrn Kämmerling gesteckt haben, dass da was Interessantes drin steckt - wer das war, können wir spekulieren.

Pokatzky: Jetzt können wir spekulieren, wir können ja beide noch einen Roman schreiben über diesen Roman hier, aber im Grunde ist es doch so, wenn es eine Strategie des Verlages gegeben hat, dann ist die voll aufgegangen, es wollen doch alle diesen Roman lesen. Natürlich nicht die, die Sie jetzt gehört haben, weil die festgestellt haben, es ist ein langweiliger Roman.

Wörtche: Das glaube ich jetzt nicht, dass die Leute das lesen wollen, ich glaube, da hat sich der Verlag ganz schön verschätzt. Ich hab mal spaßeshalber heute bei Hammet zum Beispiel, in einer Krimibuchhandlung angerufen und hab gefragt, ob dieser Roman irgendwie schon sich rührt. Nein, tut er überhaupt nicht. Ich denke, dass die Leute die Schnauze voll haben, und wenn Sie so mal durchs Netz pflügen, denke ich, dass die Strategie so clever - also wenn es eine Strategie war - so clever, so Schweinchen-schlau-mäßig clever war, dass sie verpufft ist sozusagen, dass die Leute sagen, man möchte uns hier mit Hype irgendwas verkaufen. Wir können da über Zahlen natürlich noch nichts sagen ...

Pokatzky: Das heißt, dass die Leute sich verhohnepiepelt fühlen ...

Wörtche: Ja, die Leute fühlen sich verhohnepiepelt.

Pokatzky: …ein harmloser Ausdruck…

Wörtche: Und wir werden erst sehen, wenn in sechs Wochen die Lastwagen zurückkommen aus den Buchhandlungen, ob das Ding funktioniert hat oder nicht.

Pokatzky: Dann werden sie verramscht?

Wörtche: Dann werden sie verramscht - oder was auch immer mit ihnen geschieht.

Pokatzky: Wen soll das denn nun eigentlich alles interessieren außer uns Feuilletonisten?

Wörtche: Eben, das frage ich mich eben auch. Also es hat keinen wirklich ... Als sagen wir mal Martin Walser noch Reich-Ranicki erschlug, hatte das sozusagen noch eine allgemeine …

Pokatzky: Daraufhin hat Martin Walser jetzt Wert gelegt und am Wochenende hat sich nun auch, wie wir alle, dann ja letztlich auf diesen Hype reingefallen sind, auch Martin Walser hat sich geäußert und ja extra darauf hingewiesen, dass er Reich-Ranicki eben habe nicht erschlagen lassen, weil er so etwas nicht tue.

Wörtche: Aber das waren natürlich auch die Paratexte, das hatte noch ein bisschen mehr noch mit dem Antisemitismusthema noch ein bisschen mehr Brisanz. Das wird eigentlich gesehen als das, was es ist: eine Feuilletonalbernheit im Grunde. Und übrigens ganz lustig sozusagen: Das Feuilleton rächt sich jetzt endlich mal am Krimi. Dieses Buch ist natürlich ein ganz schlechter Krimi, jetzt prügeln alle drauf, auf den Krimi als Genre selbst, was natürlich auch wieder albern ist, weil das Buch hat mit einem guten Kriminalroman so viel zu tun wie die Wanderhure mit Artusepik - also gar nichts.

Pokatzky: Also nicht der Respekt des Hochfeuilletons gegenüber dem Krimi, sondern die Rache des Hochfeuilletons am Krimi.

Wörtche: Ja, deutlich.

Pokatzky: Thomas Wörtche war das zu dem Roman von Thomas Steinfeld und Martin Winkler "Der Sturm", der bei S. Fischer mit 336 Seiten erschienen ist zum Preis von 18,99 Euro, und nachlesen können Sie die Kritik von Thomas Wörtche unter dradio.de.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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