Ein Fisch fällt vom Himmel

Von Ulrich Fischer · 10.12.2010
Der bekannteste australische Dramatiker hat ein komplexes Rätselstück konstruiert, das einen Mord zum Ausgangspunkt einer Reise durch Raum und Zeit nimmt. Die deutschsprachige Erstaufführung wurde von der Sorge um den Bestand des Bonner Theaters überschattet.
"Dem Theater Bonn droht ein irreparabler Schaden!" warnt die Theatergemeinde Bonn, weil die Stadt Bonn es für "denkbar hält, ihr Schauspiel und ihre Oper gänzlich preiszugeben." Die Bühnenangehörigen protestieren: "Jetzt ist Schluss! In den letzten zehn Jahren hat das Theater der Stadt Bonn 14 Millionen Euro eingespart. Heute arbeiten 230 Menschen weniger am Theater als im Jahr 2000. Bitte unterstützen Sie uns mit ihrer Unterschrift, um weitere Kürzungen zu verhindern."
Im Foyer der Halle Beuel liegen die Listen aus. Die Sorge um den Bestand des Theaters ist unübersehbar. Bevor die deutschsprachige Erstaufführung von Andrew Bovells "Das Ende des Regens" beginnt, hat jeder Zeit, die Resolution der Bühnenangehörigen gegen weitere Einsparungen zu lesen und sich ihr mit der Unterschrift anzuschließen.

Bovell, derzeit der im Ausland wohl bekannteste australische Dramatiker, ist im Grunde ein Vertreter des absurden Dramas. Schon mit "Lantana" drückte er seine Skepsis gegen das menschliche Erkenntnisvermögens aus. Im Mittelpunkt vom "Ende des Regens" steht ein Verbrechen: Ein siebenjähriger Junge ist an einem einsamen Strand in Australien missbraucht und ermordet worden. Im Stück wird eine Spur gelegt, wer und wie es gewesen sein könnte – doch Gewissheiten vermeidet Bovell systematisch.

Er springt in der Zeit und im Raum hin und her, zwischen Australien und England, zwischen 1959 und 2039. Zwei Figuren werden von je zwei Schauspielerinnen verkörpert, einmal als junge, einmal als alte Frau. Zwei andere Figuren haben fast gleichlautende Namen. Das Stück ähnelt einem Vexierbild. Der Stückaufbau ist so komplex, dass dem Text ein Schema vorangestellt wird, um den Überblick zu ermöglichen. Diese Komplexität ist gewollt, künstlerische Absicht: Bovell will zeigen, wie schwer, wenn nicht unmöglich es ist, sich in Raum und Zeit zu orientieren. In seinem Stück bekommt der Zuschauer den Eindruck, dass die Zeit nicht kontinuierlich verläuft – durch die absichtliche Konstruktion scheint sie zu springen: vor und zurück.

Das Stück wirkt bei der Lektüre überkonstruiert, aber Dorothea Wimmer hat ein Bühnenbild entworfen, dass die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen anschaulich macht, eine Art Raum-Zeit-Kontinuum: Sie stellt fünf Zimmer, modern, gleich eingerichtet, nebeneinander, wie Waben. Die Wände, die sie trennen, bezeichnen Jahrzehnte und tausende von Kilometern. Die Zimmer können zum Zuschauerraum hin mit einem Lamellenvorhang verschlossen werden, sie bilden dann Projektionsflächen. Wenn Videoschleifen Regen, das Meer oder Schnee projizieren, entsteht eine enigmatisch-melancholische Stimmung.

Es ist, als frage die Inszenierung, ob unter der Oberfläche ein Sinn liege, den Menschen nicht zu erfassen, wohl aber erfühlen vermögen. Klaus Weise betont bei seiner Uraufführungsinszenierung das Rätselhafte und umgeht so Klippen der Sentimentalität, die im Text liegen. Die Atmosphäre erinnert an Aufführungen von Botho-Strauß-Stücken.
Das Ensemble spielt einheitlich auf hohem Niveau, Raphael Rubino gelingt eine sehenswerte Studie von Henry, dem Kinderschänder. Rubino, ein schwerer Männerspieler, zeigt, wie Henry anfangs nichts von seiner Pädophilie ahnt. Erst im Lauf der Zeit muss er davon Kenntnis nehmen. Er wird sich selbst immer fremder. Als er von seiner Frau gestellt wird, wirft ihn die Demütigung zu Boden. Eine hochdramatische und - gemeisterte Szene.
Das Schauspiel hält mit Qualität und interessanten, über Nordrhein-Westfalens Landesgrenzen hinaus strahlenden Aktualitäten gegen die andauernde Theaterkrise. Eine Sprecherin unterbrach den Schlussapplaus und verlas eine Resolution aller Bühnenangehörigen. Sie fordern ein Ende der Sparmaßnahmen und bitten die Zuschauer um Unterstützung. Auf diesen Rückhalt können die Theaterleute offenbar setzen – der Beifall war einhellig, die Zustimmung unmissverständlich.