Ein Feuerwerk an Sprachwitz

25.05.2011
Eine chaotische, surreale und höchst unterhaltsame Suche nach Mutter und Vater mit Verwicklungen bis in japanische Mafia-Kreise. Mitchells Genre, der Cyber-Punk-Roman, wird verglichen mit Kino-Filmen wie "Matrix" oder "Blade Runner".
Man ehrt sie, aber man liest sie selten: Die großen Monumente der intelligenten Schwatzhaftigkeit wie James Joyces "Ulysses" oder "Finnegans Wake". Jeder Dialog ein Feuerwerk an Sprachwitz und versteckten Bedeutungen, Prunk-Zitate an allen Ecken und bizarre Handlungsmuster.

In dieser Tradition steht der 1969 geborene Engländer David Michell, von dem bereits eine beachtliche Anzahl an Romanen auf Deutsch erschienen ist. Oft stand er auf den Finalisten-Listen der großen angelsächsischen Literaturpreise, aber bislang konnte er sich mit keinem Ölzweig krönen.

Der Roman "Number 9 Dream" ist sein zweiter aus dem Jahre 2001, und es zeugt für das kontinuierliche Engagement des Rowohlt Verlags, dass es diese Lücke über ein Jahrzehnt später schließt.

Mitchell ist berühmt für seine authentische Vielstimmigkeit. Er beherrscht Idiome von Jugendsprache bis Mafia-Jargon, von Irrenhaus bis Universität. Wiederum zielt er auf ein Genre, das – zu Unrecht – heute weniger mit James Joyce als mit Kinofilmen wie Matrix oder Blade Runner verglichen wird: den Cyber-Punk-Roman.

Eiji Miyake ist fast zwanzig und macht sich aus der japanischen Provinz auf in die Riesenstadt Tokyo, um seinen Vater zu suchen. Sein Vater zahlte zwar für Eiji, seine Zwillingsschwester und seine Mutter, verbat sich aber jeden Kontakt. Die Mutter wird Alkoholikerin und gibt die Kinder zur Großmutter. Auch zur Mutter gab es lange Jahre keinen Kontakt. "Number 9 Dream" ist nun die chaotische, surreale und höchst unterhaltsame Suche nach Mutter und Vater. Verwicklungen bis in die japanische Mafia, ausgreifende Fantasien mit späten Beatles- und John-Lennon-Zitaten jagen einander über 544 Seiten.

Allerdings gerät der Joyce’sche Geist doch etwas verloren mit den immer abstruseren Ereignissen: In den Vordergrund tritt der Verdacht einer etwas unangenehmen Angeberei. Mitchell zeigt immer von neuem, was er alles kann an Verwicklungstechnik, Doppelbödigkeit, und Sprachimitationen. Auf die Dauer wirkt das trotz der Schnelligkeit der Handlung ermüdend.

Bemerkenswert ist die Perspektive des Romans: Der Autor versetzt sich überzeugend (so weit man das beurteilen kann) in einen japanischen Twen. Mitchell ist mit einer Japanerin verheiratet und war lange in Japan, so dass ihm Land und Leute geläufig sind. Aber allein schon die Einblicke in die verrückte japanische Technowelt der Jahrtausendwenden rechtfertigen die Lektüre dieses streckenweise sehr komischen Wälzers.

Von Marius Meller

David Mitchell: Number 9 Dream
Aus dem Englischen von Volker Oldenburg
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
544 Seiten, 24,95 Euro