Ein Fall für die Germanistentagung

Von Uwe Friedrich · 28.04.2012
200 Jahre lang blieb E.T.A. Hoffmanns Oper "Der Trank der Unsterblichkeit" unveröffentlicht. Dann entdeckte Regisseur Peter P. Pachl die Partitur in der Berliner Staatsbibliothek - nahm sie mit nach Erfurt und inszenierte sie dort - jetzt gab es gab es die Uraufführung.
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann ist der wichtigstes deutsche Schriftsteller des frühen 19. Jahrhunderts, auch international deutlich stärker rezipiert als der alte Goethe, seine phantastischen Erzählungen faszinieren noch heute und inspirierten beispielsweise Jacques Offenbach zu seiner Oper "Hoffmanns Erzählungen". Doch E.T.A. Hoffmann sah sich selber auch als Musiker, hat mehrere Opern komponiert. Am bekanntesten ist seine "Undine" die immer mal wieder vor allem auf kleineren Bühnen auftaucht.

Nun wurde in Erfurt "Der Trank der Unsterblichkeit" mehr als 200 Jahre nach der Komposition uraufgeführt. Das Werk nach einem Libretto Julius von Sodens war eine Art Bewerbungsschreiben für die Kapellmeisterstelle in Bamberg, an jenem Theater, das von Soden gegründet hatte und dessen Intendant er war (und das heute nach E.T.A. Hoffmann benannt ist). Soden war vom Inhalt dieser Bewerbungsmappe offenbar so begeistert, dass er Hoffmann die Stelle gab.

Zur Uraufführung kam es jedoch nicht, denn von Soden war bereits nach Würzburg weiter gezogen, um auch dort ein Theater zu gründen, das heutige Mainfranken Theater. Die Partitur blieb zunächst in der Schublade und landete schließlich in der Berliner Staatsbibliothek. Völlig vergessen war die Oper nie, schließlich hat sie die Nummer 34 im Werkverzeichnisnummer erhalten und wird in der entsprechenden Fachliteratur erwähnt, ediert und aufgeführt wurde sie jedoch nicht. Beides hat nun Peter P. Pachl übernommen und den "Trank der Unsterblichkeit" am Erfurter Theater inszeniert. Im Laufe der langen Aufführung wird allerdings vor allem deutlich, warum Julius von Soden und anscheinend auch E.T.A. Hoffmann schließlich das Interesse an dem Werk verloren.

Eine gute Stunde mit umständlichen Dialogen und eher mäßig inspirierter Musik liegt bereits hinter dem Theaterpublikum, wenn Namarand endlich den vermeintlichen Trank der Unsterblichkeit durch einen Strohhalm schlürft. Der Schah von Persien hat nämlich einen hohen Posten neu zu besetzen und will den Kandidaten prüfen, der aber, kein anderer als Namarand, strebt, vor allem die Unsterblichkeit an und vernachlässigt daher Frau und Nebenfrau im Serail, treibt sich lieber bei merkwürdigen Propheten in der Wüste rum oder schaut Bauchtänzerinnen auf den nackten Busen.

Wir befinden uns also im Fantasie-Orient, wie er seit dem späten 18. Jahrhundert in Europa schwer in Mode war. Allerdings wussten E.T.A. Hoffmann und sein Librettist Julius von Soden offenbar nicht so genau, was sie mit ihrer Geschichte aus Land der Karawansereien erzählen wollen. Charakterporträt eines eitlen Wüsten-Machos? Politische Kritik an der Willkürherrschaft des Schahs? Philosophische Erörterungen in erotischer Serailatmosphäre? Wahrscheinlich von allem ein bisschen, und dann ging dann mehr als nur ein bisschen schief. Zum Schluss ist Namarand dann geläutert und sieht ein, dass die Unsterblichkeit keine gute Idee ist.

Mit ihrer richtungslosen Erzählweise, der schieren Länge der Dialoge und der mangelnden literarischen Qualität sind die deutschen Opern des frühen 19. Jahrhunderts ohnehin eine Herausforderung für jeden Regisseur. Die Werke von Louis Spohr und Friedrich Heinrich Himmel, von Heinrich Marschner und eben auch E.T.A. Hoffmann schauen uns durch die zwei Jahrhundert recht unverwandt an und wir schauen ebenso unverwandt zurück, weil uns diese Erzählweise extrem fern gerückt ist. Der "Trank der Unsterblichkeit" ist gewiss keine Ausnahme und bräuchte einen zupackenden Regisseur, der sich auf bestimmte Aspekte konzentriert, dem griffige Bilder gelingen, um die zeitlosen Themen zu betonen und das Fremde als anregend kenntlich zu machen. Stattdessen setzt Regisseur Pachl auf platte Aktualisierung.

Die Suleikas und Fatimas zeigen erst viel Busen, tragen kaum einen Hauch von einem Schleier, dann wieder blinkende Sprengstoffgürtel. Weil der Computerdaddelspielklassiker "Prince of Persia" angeblich Parallelen zum "Trank der Unsterblichkeit" aufweist, darf Namarand mit dem charakteristischen Krummsäbel auf dem Weg zum nächsten Level mit zwei Mangakatzen kämpfen, der Oberpriester der Wüstensekte fistelt wie weiland der Säulenheilige im "Leben des Brian" der Monty Pythons. Das tut politisch und aktuell, ist aber in Wahrheit der fantasielose und denkfaule Griff in die Regiemottenkiste. Da bleibt nur zu hoffen, dass die Ausstattung von Robert Pflanz mit ihren klischeehaften Zitaten von Zwiebeltürmen und Haremsphantasien wenigstens so billig war wie sie aussieht.

Wolfgang Amadeus (Mozart) schaute Ernst Theodor Amadeus (Hoffmann), der ja eigentlich Ernst Theodor Wilhelm hieß, sozusagen beim Komponieren dieser Orientoper andauernd über die Schulter. Ob Janitscharenklänge aus der "Entführung aus dem Serail", Arienstrukturen und Tonfall aus der "Zauberflöte", hier ist wirklich alles schon Mal da gewesen. Das muss kein Vorwurf sein, auch Donizetti beispielsweise hat das Publikum in seinen zahlreichen Opern nicht in erster Linie durch Originalität bezaubert.

Aber hier kommt jede harmonische Wendung, jeder Trugschluss und jede Koloratur so überdeutlich angekündigt um die Ecke, dass der Dirigent Samuel Bächli durchaus Schwierigkeiten hat, dem Ganzen einigermaßen Schwung zu verleihen. Der lyrische Tenor Uwe Stickert muss den zweiten Teil der Oper beinahe alleine tragen und macht seine Sache exzellent. Die unangestrengte Höhe, sicher-geschmackvollen Gesangslinien und souverän gestaltete Koloraturen machen seine Arien zum Genuss.

Die beiden Sopranistinnen Marisca Mulder und Julia Neumann singen mit Charme, wenn auch nicht immer intonationssicher, das übrige Ensemble mehr als ordentlich, der Chor exzellent. Aber sie alle können das Werk nicht für die Bühne retten. Diese Oper wird ziemlich sicher ein Fall für E.T.A.-Hoffmann-Kongresse oder das Kulturprogramm einer Germanistentagung bleiben.
Mehr zum Thema