"Ein Faible für das schräge Leben"

Ottfried Dascher im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 09.03.2012
Er gehörte zu den schillernsten Persönlichkeiten der Weimarer Republik: Der Kunsthändler Alfred Flechtheim. Für die erste umfassende Biografie hat der Historiker Ottfried Dascher bisher nie aufbereitetes Archivmaterial gesichtet und mit Zeitzeugen gesprochen.
Liane von Billerbeck: Wenn es einen Mann gab, der die Goldenen 20er-Jahre verkörperte, dann war es der Kunsthändler und Sammler Alfred Flechtheim. Er hat Picasso, Braque und Matisse in Deutschland bekannt gemacht und Malern seiner Generation zu Berühmtheit verholfen: George Grosz, Max Beckmann, Paul Klee. Zu seinem 50. Geburtstag am 1. April 1928 im Berliner Hotel Kaiserhof kam alles, was Rang und Namen hatte: Bankiers und Boxer, Schauspieler, Maler und Hochstapler. Das "Kunstblatt" schrieb später, man wisse nicht, ob man in Flechtheim den Napoleon oder den Stresemann des Kunsthandels gesehen habe. Doch der Jude Flechtheim war auch das Feindbild für die Nazis. Er wurde vertrieben und beraubt und starb verarmt in London. Seinem Leben und der von ihm geförderten und gesammelten Kunst war Ottfried Dascher in achtjähriger Recherche auf der Spur. Der Historiker leitete bis 2001 das nordrhein-westfälische Hauptarchiv und hat dann Ende 2011 seine Flechtheim-Biografie herausgebracht. "Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst" heißt sie. Ottfried Dascher, Sie haben das getan, wovon mancher träumt: den Ruhestand genutzt. Wie kamen Sie auf Alfred Flechtheim?

Ottfried Dascher: Nun, Sie deuteten schon an, ich habe das Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf geleitet, das eben eine ganz bedeutende Sammlung an Wiedergutmachungsvorgängen besitzt, eine der größten Sammlungen auch zur Geschichte der Gestapo, und hier kamen natürlich immer wieder Emigranten, alte Damen und Herren auf der Suche nach ihrer Geschichte, ihrer Identität. Und so kam ich eben auch in Berührung mit Angehörigen der Familie Flechtheim.

Billerbeck: Flechtheim kam ja aus einer Familie jüdischer Getreidehändler und war das wider Willen anfangs auch – wie kam er denn auf die Kunst?

Dascher: Na ja, das war so die übliche Geschichte von Enkeln bei Unternehmerfamilien, die eben nicht mehr so bei der Stange zu halten sind, die plötzlich andere Interessen bei sich entdecken. Und wenn er eben nach Paris fuhr und mit der berühmten Getreidefirma Dreyfus verhandeln sollte, hielt er sich natürlich lieber bei den Bouquinisten an der Seine und in den Galerien und bei den Ateliers der Maler auf – für die Familie eine Katastrophe.

Billerbeck: Ich wollte gerade danach fragen: Was hat denn seine Familie dazu gesagt?

Dascher: Man hatte ihm die beste Erziehung mit auf den Weg gegeben und setzte große Hoffnungen auf ihn. Und als man jetzt sieht, dass er aus dem Ruder läuft, dann gibt es nur eine Möglichkeit: Man muss ihn verheiraten, eine tüchtige Frau finden, die eben Geld mitbringt, dieselbe Konfession, aus einer guten Familie kommt und die in der Lage ist, ihn zu domestizieren.

Billerbeck: So ganz gelungen ist das nicht, habe ich bei Ihnen gelesen, denn schon auf der Hochzeitsreise nach Paris hat er einen Teil der Mitgift dazu verwandt, um Bilder zu kaufen. Was hat er da gekauft?

Dascher: Na ja, sie brachte eine bare Mitgift von 140.000 Mark mit – das Jahreseinkommen der bestbezahlten Arbeiter lag bei 1200 Mark –, also das war schon etwas Besonderes. Und die Kunst war billig, kein Picasso kostete mehr als 1000 Mark. Er hat später berichtet, dass er vor 1912 bei keinem van Gogh mehr als 8000 Mark bezahlt hat. Also mit 140.000 Mark konnte man eine Menge anfangen. Man hätte ganz Paris leer kaufen können, das hat er auch nicht getan, aber er entdeckt für sich die Kubisten und kommt nach Hause und versucht seiner entsetzten Verwandtschaft zu vermitteln, dass diese Bilder nicht nur schön, sondern auch teuer sein sollen. Beides wird bestritten.

Billerbeck: Und die Familie von Betti, seiner Frau, hat dann erst mal nach dieser Hochzeitsreise die Gütertrennung durchgesetzt – das muss man auch erzählen. Wie hat er es denn nun geschafft, nachdem er Bilder gekauft hatte, sich als Kunsthändler zu etablieren, das klappt ja nun auch nicht einfach so?

Dascher: Nein, das klappt nicht einfach so, und er ist ja zunächst engagiert beim Sonderbund, einer Organisation in Westdeutschland, die durch ihre Ausstellungen in den Jahren 1909 bis 1912 bekannt geworden ist. Er ist einer der großen Promotoren dieser Ausstellungsserie, die ja bis zur documenta nach dem Kriege die größte Veranstaltung ihrer Art gewesen ist.

Billerbeck: Und wenn man dann liest, was er so für Bilder entdeckt hat, welche Künstler er gefunden hat und bekannt gemacht hat, dann sind das alle Namen, die heute berühmt sind: Picasso, Braque, Matisse, Klee, viele Werke, die in großen Museen hängen, und auch die Maler seiner Generation. Schon zu seiner Zeit haben die renommiertesten Sammlungen und Museen bei Alfred Flechtheim gekauft. Welche Bedeutung hat er bekommen für die Kunst seiner Zeit?

Dascher: Na ja, er war natürlich zunächst eben auch ein bedeutender Sammler. Inzwischen besaß er bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges drei Gemälde von van Gogh, acht von Cézanne, zwei von Monk, drei von Henri Rousseau, zwei von Gauguin, zwei von Matisse, sechs von Braque, drei von Gris und über 30 Gemälde und Grafiken von Picasso. Es gibt keine einzige deutsche Sammlung der Gegenwart, die auch nur annähernd diese Bedeutung besäße. Wir haben heute vielleicht noch ein Dutzend van Goghs in Deutschland, und die sind in öffentlichen Museen. Also diese Begabung, die lebte er auch privat aus, und gleichzeitig ist seine Galerie eben auch die französische Galerie, die in erster Linie die Kubisten, die von Ihnen genannten Kubisten – Picasso, Braque, Gris und Léger – präsentiert und damit ein ganz junges Feld offeriert. Und er ist ganz sicherlich auch der bedeutendste Händler für Picasso vor 1914 in Deutschland.

Billerbeck: Der Erste Weltkrieg war sicher ein Bruch auch in seinem Leben, aber danach zieht es Alfred Flechtheim an die Stadt, die immer verbunden wird mit Aktivität, Kunst, Hypernervosität muss man fast sagen, nämlich an die Spree nach Berlin, und man kann den Eindruck gewinnen, dass ein Mann wie Alfred Flechtheim genau der richtige Typ in der richtigen Stadt ist, als hätte Berlin sich so einen geradezu ausgesucht. War das so?

Dascher: Ja, das kann man sagen. Das war natürlich auch ein Faible für das schräge Leben, nicht wahr, das muss man sehen. Ob es seine Galeriefeste sind, ob es sein Faible für das Boxen ist – er war ja der große Förderer von Max Schmeling, wie der mir selbst noch bestätigt hat kurz vor seinem Tode –, und er ist auf jedem bedeutenden Sportereignis in Berlin zu finden. Er stellt auf einmal die jungen Frauen aus, die in Berlin eher sich für die Fotografie einsetzen, die Frieda Riess, und er ist ein Man about Town. Er ist überall präsent, er merkt, dass er in Berlin nur ankommen kann, wenn er jetzt nicht irgendwo eine kleine Galerie unterhält, sondern sich ins Gespräch bringt.

Billerbeck: Ottfried Dascher ist mein Gesprächspartner. Er hat eine Biografie über den Kunsthändler und Sammler Alfred Flechtheim geschrieben. "Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst" heißt sie. Flechtheim war Jude, einer, der damit nicht verdruckst, sondern ganz offen umging, das wusste jeder, auch die Nationalsozialisten. Er war für sie schon vor deren Machtergreifung das Feindbild schlechthin, antisemitischen Angriffe gab es, aber als die Nazis an die Macht kamen, musste Flechtheim fliehen – zuerst nach Paris, dann nach London.

Dascher: Ja, der Sturz war tief. Er ist jetzt Repräsentant von ??? Galerie in Paris. Er soll den Engländern den Kubismus nahebringen, was ein fast aussichtsloses Unterfangen in diesen Jahren ist. Er ist gezwungen, jetzt die in die Schweiz gerettete Sammlung zu verkaufen – das geht 34 im Februar los –, und er stellt selber fest, ich bin allmählich arm wie eine Kirchenmaus. 36 lässt sich das Ehepaar scheiden, um sie, die Frau, zu schützen, die immer noch in Deutschland ausharrt. Im Grunde ist er inzwischen ein gebrochener Mann.

Billerbeck: Durch einen Unfall und durch eine Infektion im Krankenhaus wird er schwer krank und stirbt 1937. Wenn wir uns erinnern an diese große Sammlung, an dieses große Leben, das Sie da auch geschildert haben, dann wundert man sich, dass man so lange von Alfred Flechtheim jahrzehntelang nur in verstreuten Aufsätzen etwas gehört hatte. Sie haben lange recherchiert über ihn. Dann tauchte der Name Flechtheim für eine größere Öffentlichkeit im vorigen Jahr ausgerechnet im Zusammenhang mit einem Skandal wieder auf, nämlich der Kunstfälscher Beltracchi hatte auf einige Bilder ein vermeintlich altes Schild geklebt mit dem Namen Flechtheim. Wie haben Sie das empfunden?

Dascher: Na ja, das war natürlich eine ganz schändliche Methode, denn es stellte sich heraus, dass überall dort, wo dieses gefälschte Label auf der Rückseite zu sehen war, auch das Bild gefälscht war. Also man hätte den sogenannten Experten gewünscht, dass sie das Bild ab und zu einmal rumgedreht und auf die Rückseite geschaut hätten.

Billerbeck: Die Sammlung Flechtheim, die dürfte, könnte man vielleicht auch sagen, der größte Restitutionsfall in der bundesrepublikanischen Geschichte sein. "Es wäre schön", schreiben Sie in Ihrem Buch, "wenn einige Museen neben die Bilder ein Schild hängen würden, mit dem sie auf die Herkunft der Bilder hinweisen: ehemalige Sammlung Alfred Flechtheim." Nun sind Flechtheim-Erben 2008 mit Rückgabeforderungen gekommen, für etwa 60 Bilder aus deutschen Museen – was ist da inzwischen geschehen?

Dascher: Ja, da möchte ich mich zu einem laufenden Verfahren nicht äußern, aber wohl darauf hinweisen, dass die bedeutenden Kunstwerke Flechtheims sich heute fast ausnahmslos im Ausland befinden.

Billerbeck: Sie wollten, so war es auch zu lesen, mit Ihrer Biografie auch die Forschung zu den Bildern, die im Besitz Flechtheims waren, unterstützen. Hat sich da etwas getan, werden wir vielleicht in absehbarer Zeit mal eine große Ausstellung erleben mit den Bildern aus der Sammlung Alfred Flechtheim?

Dascher: Das wäre ja mein großer Wunsch an die Berliner Museen, diese Bilder, die heute über die Welt verstreut sind, zusammenzuführen in einer großen Retrospektive, so nach dem Motto, dass eben Becker, der preußische Kultusminister, Mitte der 20er-Jahre bei einer Liebermann-Ausstellung gesagt hatte: Was vom Leben übrig bleibt, sind Bilder und Geschichten. Und eine Verwandte, Thea Klestadt, die eben Flechtheim am nächsten stand, hat noch 2005 zu mir gesagt: Wir wollten die Bilder gar nicht zurück, wir wollten, dass man in den großen Museen dieser Welt ein kleines Schild aufhängt: ehemals Sammlung Flechtheim.

Billerbeck: Ottfried Dascher war das. Er hatte eine umfangreiche Biografie über Alfred Flechtheim geschrieben, "Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst – Alfred Flechtheim. Sammler, Kunsthändler, Verleger". Das über 500 Seiten dicke Buch ist bei Nimbus erschienen, mit einer DVD, auf der Sie sich auch die Ausstellungskataloge und die von Flechtheim herausgegebene Zeitschrift "Querschnitt" ansehen können. Herr Dascher, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Dascher: Vielen Dank, Frau von Billerbeck!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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Wie Kunsthändler von der Judenverfolgung profitiert haben - Ausstellung über "Gute Geschäfte" unter den Nazis

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