Ein Extra-Bus für Patienten

Von Anna Corves · 08.02.2013
Weite Anfahrtswege bis zur nächsten Praxis stellen alte oder gehbehinderte Menschen vor große Probleme. Im Landkreis Märkisch-Oderland testen Krankenkassen, Ärzteschaft und Kommunalverwaltung nun ein Lösungsmodell - einen Patientenbus, der jeden Dienstag Patienten aus dem Umland zum nächsten Arzt befördert.
Irgendwo zwischen Berlin und der polnischen Grenze steuert Manfred Kühn seinen Bus über eine baumgesäumte Landstraße, in die der Frost Schlaglöcher gesprengt hat. Rechts und links: weite Felder. Ein paar Häuser kommen in Sicht: Obersdorf. An der einzigen Haltestelle gucken zwei ältere Damen dem weißen Kleintransporter mit der blauen Aufschrift "Patientenbus" erwartungsvoll entgegen. Manfred Kühn springt aus dem Bus, reicht der 70-jährigen Barbara Nowak helfend die Hand. Sie braucht ein Rezept, muss dafür zum Arzt - und das heißt: ins 6 Kilometer entfernte Müncheberg. Ohne den Patientenbus hätte Frau Nowak da ein Problem:

"Das ist sogar ganz toll, dass es den Bus gibt. Denn sonst muss man ja mit der Bahn fahren. Das ist ja dann schon was, wenn man nicht mehr so richtig kann, dass man bis zum Bahnhof laufen muss. Und umsteigen. Und so fährt man gleich durch, das ist doch ganz prima. "

Seit 8 Uhr morgens ist Kühn mit dem Patientenbus unterwegs. Im Auftrag der regionalen Busgesellschaft sammelt der 37-Jährige, der sonst einen privaten Fahrdienst betreibt, jeden Dienstag Patienten aus 13 Orten rund um Müncheberg und Buckow ein. Trebnitz, Hermersdorf, Pritzhagen - so heißen die Dörfer, die fünf bis zehn Kilometer entfernt sind von der Arztpraxis im nächsten Ort, sagt Manfred Kühn:

"Grundsätzlich ist es schon so, dass die Ärzte in den größeren Ortschaften sitzen - nur waren früher einfach die Busverbindungen wesentlich besser. Das hat sich halt im Laufe der Zeit verschlechtert. Dass einfach geguckt wird, wo steigen wie viele Kunden ein und dann wird geguckt: Lohnt sich die Strecke oder lohnt sie sich nicht."

Und oft lohnt sie nicht mehr. Dann werden auch wenige Kilometer zum Problem. Fünf Patienten hat Kühn in den letzten zwei Stunden eingesammelt - acht passen in den behindertengerechten Bus. Er passiert das gelbe Ortseingangsschild von Müncheberg. Ein gepflegtes kleines Städtchen, 780 Jahre alt. Busfahrer Kühn steuert über das Kopfsteinpflaster die Haltestelle an. Die Fahrgäste schwärmen aus, einer will zum Zahnarzt, die andere zum Hausarzt. Vera Bornstein läuft zu Allgemeinmediziner Guido Koster.

Die 49-Jährige ist in Münchehof zugestiegen, einem 80-Seelen Ort. Sie ist alleinerziehende Mutter von fünf Kindern, gelernte Schäferin - und arbeitslos. Da sie Probleme mit dem Blutdruck hat, muss sie öfter mal zum Arzt. Ein Auto hat sie nicht.

"Sehr schwierig. Wir haben weder Bahn noch Bus. Nur Schulbus eigentlich. Wie gesagt, in den Ferien fährt gar nichts. Einwohner sind auch nicht mehr viele, alle sind alt, kaum einer hat ein Auto...."

In der kleinen Praxis stehen die Patienten vor der Anmeldung Schlange. Vera Bornstein guckt besorgt: Sie hat keinen Termin - aber Glück. Die Ärzte in Müncheberg und Buckow haben das Projekt Patientenbus mitentwickelt, planen dienstags Zeitpuffer für die Mitfahrer ein.

Der Allgemeinmediziner Guido Koster guckt sich Vera Bornsteins rechten Arm an, der bereitet ihr gerade Schmerzen. Er führt die Praxis gemeinsam mit seinen Eltern, beide schon über 70. Außer ihnen gibt es noch zwei weitere Hausärzte in Müncheberg. "Zusammen kann man die Nachfrage aus der Umgebung noch stemmen", sagt er. Aber damit das so bleibt, ist der Patientenbus sehr wichtig

"Gestern waren Akut-Hausbesuche erst in Hoppegarten, dann in Hermersdorf, dann in Buckow... Da fährt man dann auch leicht in der Mittagspause mal 40, 50 Kilometer durch die Gegend, das lässt sich nicht vermeiden. Aber ich sag mal, was so Routinesachen sind, kann ja dann wieder in die Praxis kommen, das finde ich ganz gut."

Eigentlich ist es naheliegend und einfach: Ein Bus bringt Patienten in ländlichen Regionen zum nächsten Arzt. Und doch haben die Planungen für den Patientenbus zwei Jahre gedauert. Hausarzt Koster zieht beide Augenbrauen amüsiert nach oben:

"Es sind viele Leute in einem Boot, die, sag ich mal, sonst erfahrungsgemäß nicht so miteinander können. Und dadurch hat das wahrscheinlich ein bißchen länger gedauert. Und wir sind eigentlich ganz froh, dass es doch letztendlich geklappt hat und dass es ja das erste Projekt in ganz Deutschland ist. Dass unser Müncheberg mal was auf die Reihe gekriegt hat, was einmalig ist."

Der Landkreis, die Gemeinden, die Krankenkassen Barmer und AOK, die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg und regionale Busunternehmen mussten sich zusammenraufen und Fragen klären: Wer zahlt die 36.000 Euro für den einjährigen Modellversuch? Dürfen auch Versicherte anderer Kassen mitfahren? Letztlich teilen sich Landkreis und Gemeinden die Kosten und die Patienten zahlen ein normales Busticket. Dafür dürfen alle mit.

Vera Bornstein verlässt die Praxis mit einem Rezept in der Hand, macht sich auf den Weg zur Apotheke - in ihrem Dorf gibt es keine, auch keine Bank:

Busfahrer Manfred Kühn startet inzwischen zur zweiten Überlandtour. Er guckt ständig auf die Uhr - der Fahrplan ist eng getaktet. Je dreimal fährt er alle Ortschaften an - schließlich sollen die Patienten nicht nur zum Arzt kommen, sondern auch wieder zurück aufs Dorf.
Die Ergebnisse einer Blutuntersuchung können die Diagnose erleichtern.
Für viele Untersuchungen können die Patienten dank des Sonderbusses wieder in die Praxis kommen.© Stock.XCHNG - Wojciech Wolak
Das rote Apothekenschild klebt auf der Glastür, aufgenommen in der "Apotheke im Gusanum" in Schwerin.
In manchen Dörfern gibt es auch keine Apotheken mehr.© picture alliance / dpa