Ein "europäischer Schriftsteller" in Cismar

Von Gerd Brendel · 18.08.2009
Das ehemalige Kloster Cismar in Schleswig-Holstein bietet Stipendiaten seit vier Jahren eine Bleibe. Zur Zeit lebt der aus Rumänien stammende Schriftsteller Catalin Dorian Florescu dort.
Die literarische Tradition des ehemaligen Klosters Cismar in Schleswig-Holstein begann mit dem ersten evangelischen Pfarrer vor Ort Johannes Striker:

"Dieser Johannes Stricker , der schrieb dann später … ein mittelniederdeutsches Jedermanns-Spiel."

Strickers Amtsnachfolger Pfarrer Schönle zitiert in seinen Predigten gern mal aus dem Moral-Stück:

"Zum Beispiel das Grundmotiv: Wenn schult nicht das Harte springen, wenn man hort die dalers klingen."

Dass Herzen springen, wenn Taler klingen, werden auch die Stipendiaten bestätigen, die seit vier Jahren im ehemaligen Kloster für jeweils drei Monate leben und arbeiten. Zur Zeit wohnt der aus Rumänien stammende Catalin Dorian Florescu in Cismar.

Von sich spricht Florescu gern als "europäischem Schriftsteller", der an vielen Orten zu Hause ist: Florescu wächst in Temeswar auf. Seine Familie gehört zur deutschsprachigen Minderheit, die unter Ceausescus Politik besonders zu leiden hat. Trotzdem schafft es Dorians Vater, ein Visum für den Westen zu bekommen: Der Teenager soll in Italien und den USA wegen einer seltenen Muskel-Erkrankung behandelt werden. Nach acht Monaten kehrt der Jugendliche zurück, gesund, aber infiziert mit dem Wunsch, Rumänien für immer zu verlassen. 1982 ist es soweit: Florescus Familie flieht nach West-Europa und landet in der Schweiz.

In Zürich lebt Florescu bis heute, wenn er nicht gerade als Stipendiat durch den deutschsprachigen Kulturraum vagabundiert: Florescu war Gast in Worpswede, Stadtschreiber von Dresden und literarischer Bahnwärter in Esslingen, bevor er in diesem Sommer das Amt des Klosterschreibers von Cismar übernahm. Die ehemalige Klosteranlage ist vermutlich der frommste und abgelegenste Ort, an dem Catalin Florescu jemals wohnte.

"Man ist ein bisschen abgeschieden dort, mit Gott und der Welt alleine."

Ein Gefühl, das dem gegenwärtigen Klosterschreiber vertraut ist: Wie es ist, allein und unbehaust durch eine fremde Welt zu ziehen, beschreibt Catalin Florescu immer wieder in seinen Romanen. So trostlos die Geschichten auch sein mögen, die Florescu erzählt, den Glauben an den Trost der Literatur verrät der Schriftsteller nie. In der Kurzgeschichte "Der Geruch der Welt" helfen die Bücher einer Bosnierin in der Fremde mit ihrer traumatischen Geschichte fertig zu werden:

"Weil sie die Bücher beruhigten, weil die einzige Nähe, die sie ertrug, jene zu den Stimmen aus dem Büchern war, las sie immer weiter. Wenn ich meinte, sagte sie zum Schluss, dass zwischen Glück und Tod kein Platz zum Leben sei, da müsse sie staunen. Denn gestorben wäre sie beinahe und glücklich würde sie nicht mehr werden. Aber dazwischen gäbe es genug Zeit, um alle Bücher der Welt zu lesen."
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