"Ein Europa, wo das Nationalistische überwunden wird"

Hanna Schygulla im Gespräch mit Burkhard Birke · 13.11.2012
Die Schauspielerin Hanna Schygulla lebt seit über 20 Jahren in Paris. Den beiden Ländern wünscht sie zum 50-jährigen Freundschaftsjubiläum, "dass aus einer Vernunftehe auch mal eine echte Zuneigung" wird.
Burkhard Birke: Wanderer zwischen den Welten und Genres, Schauspielerin, Sängerin und zuletzt auch Regisseurin, in Deutschland aufgewachsen, an vielen Orten dieser Welt gedreht, gearbeitet, gelebt und das Leben genossen. Seit vielen Jahrzehnten leben Sie jetzt in Paris in Frankreich, Hanna Schygulla. War das Fügung, Zufall oder eine ganz, ganz bewusste Entscheidung damals?

Hanna Schygulla: Also die ganz bewusste Entscheidung, es war ein Impuls mit 19, bevor ich das Studium angefangen habe. Weil ich auch gar nicht so richtig wusste, was ich nun studieren soll, kam erst mal der Ruf der großen Welt, das Naheliegende war Frankreich – Paris hat ja immer schon das Flair gehabt, und dann war natürlich auch Landesflucht im gewissen Sinne mit dabei, weil wir waren die Generation danach. Und wir hatten also wirklich Schwierigkeiten, dieses ganz Natürliche, was sonst so heranwächst, nämlich die Liebe zum Eigenen, zur eigenen Kultur, zum eigenen Land zu entwickeln, weil wir ja natürlich mitbekommen haben, dass bei so viel Kultur, wie aus diesem Land kam, eben auch so viel Unmenschlichkeit dann auf diesem Boden wachsen konnte. Und das war für uns natürlich etwas, was uns dran gehindert hat, in diesem Nest uns wohlzufühlen und das einfach so in uns fraglos aufzunehmen.

Birke: Also es war so ein bisschen damals, als Au-Pair-Mädchen sind Sie das erste Mal nach Frankreich gekommen?

Schygulla: Ja, ich bin als Au-Pair-Mädchen als erstes nach Frankreich gekommen, ich war 19, das war 1962, und das war die erste Begegnung mit dem Französischen. Also da sind zwei große Ereignisse passiert in dem Jahr, erstens die Kuba-Krise, da hat es ja jedem die Härchen aufgestellt, das hat jeder mitbekommen, dass wir am Rande eines Weltkrieges sind, und dann als Zweites, das habe ich damals gar nicht so mitbekommen, eher im Nachhinein, weil für uns eben der de Gaulle, der hatte so ein seltsames Pathos beim Reden, da waren wir ja allergisch auf Pathos. Aber dass der Mann so Großes vollbracht hat im Élysée-Vertrag, dass der plötzlich eben den Erzfeind Deutschland als Freund erklärt hat, als Vorgabe an Vertrauen, als er einfach einen neuen Meilenstein gesetzt hat in einem neuen Verkehr der Länder miteinander, das war damals de Gaulle und Adenauer, das wurde einem überhaupt erst nachher so richtig klar, was das geheißen hat.

Birke: Wann wurde Ihnen das klar, dass das damals so bedeutend war, dass also von den Erbfeinden eine Freundschaft ausging, die ja richtig Motor für Europa wurde?

Schygulla: Ja, das wurde mir eigentlich erst klar, als Europa sich gebildet hat. Vorher ist schon passiert, dass in der Generation danach eben, wie das so oft so ist, diejenigen, die gegeneinander in den Krieg gezogen sind, und es sind ja immer die von oben, die die anderen in den Krieg schicken, nicht, dass die Völker untereinander so verfeindet wären, das wird ihnen dann eingeredet, aber dass diejenigen, dass die Kinder von denen dann eigentlich sehr oft sich ineinander verlieben, das ist so wie ein geschichtlicher Ausgleich auf einer emotionalen Ebene. Also bei mir war das auch so: Ich war dann in Paris in dieser Au-Pair-Zeit verliebt in den Sohn von Exilspaniern, die vor Franco geflohen sind, und die natürlich auch vor den Deutschen geflohen sind, denn – ja, ich sage nur das Stichwort Guernica, und der wiederum war in Frankreich aber dann schon integriert, also war zweisprachig, und das war also das erste Beispiel dafür. Aber ich sehe das immer wieder, dass Liebesgeschichten passieren, auch eben zwischen Deutschen und Juden, es waren ja auch die Juden, die ein besonderes Auge auf mich hatten, auch die vielen französischen Juden, und natürlich war mir schon bewusst, dass ich da so ein nationales Kollektivverbrechen im Rücken hatte. Bei aller Unschuld war das auch mit einem Unbehagen verbunden. Aber die wollten eigentlich hauptsächlich genau hinschauen, was denn mit denen da los ist. Und wir sind ja dann auch zur Generation der Neinsager geworden.

Birke: Ist denn das heute immer noch so, dass Sie das Gefühl haben, wenn Sie in Paris sind und sich dort präsentieren, dass Sie so unter Beobachtung stehen, wie das dann auch mit der Vergangenheit ist, oder hat sich dass normalisiert?

Schygulla: Das kommt drauf an, welche Generation es ist. Also ich zum Beispiel wohne in Marais, das ist ja früher das jüdische Viertel überhaupt gewesen, inzwischen hat sich das sehr vermischt, aber in der kleinen Straße, in der ich wohne, war früher eine Schule, und irgendwann habe ich da mal hingeguckt, warum hängt da so ein vertrockneter Strauß. Und das war dann schon eine Gedenktafel für die Razzien, die da stattgefunden haben – jüdische Kinder. Und es gibt auch in vielen Straßen, so wie es in Berlin die Stolpersteine gibt, gibt es Gedenktafeln, hier hat Samuel Pünktchen Pünktchen gelebt und hat so und so geendet. In gewisser Weise gibt es natürlich noch nicht ganz vernarbte Stellen, und es wird auch immer, wenn Deutschland Großmachtgehabe an den Tag legt, das reißt wieder das Gedächtnis auf, das ist auch da jetzt in den ganzen Konflikten, wo Frau Merkel immer behauptet hat, wir wären die ewigen Zahler und es müsste sich ändern, und dann ganze Länder also den Bann der Armut verhängt, was die Bevölkerung angeht, das wird natürlich schon mit einem wachsamen Auge zur Kenntnis genommen.

Birke: Das heißt, dass momentan, so auch aus Ihrer Perspektive, aus Ihrem Leben in Frankreich, so der Eindruck entsteht, als würde Deutschland Europa wieder sein Diktat aufoktroyieren?

Schygulla: Es wird beobachtet. Das ist nicht so, als ob das jetzt irgendwie ein anderes Land wäre. Aber es spricht sich natürlich herum, dass eigentlich ja sowieso das Übel im ganzen Bankwesen auch liegt. Es geht ja nicht, dass von der Zentralbank für fast null Prozent von den Banken Geld angeliehen wird, und die verleihen das dann an die Staaten für sechs oder sieben Prozent. Also da machen die Banken Kasse auf Kosten der Bevölkerung. Wenn natürlich da Deutschland und Frankreich einmal an dieser Regelung rütteln würden und es dazu käme, dass die Banken direkt an die Regierungen verleihen, dann könnte sozusagen aus dieser Zwangsehe Deutschland Frankreich eine sehr segensvolle Verbindung entstehen.

Birke: Nun sind ja aus dem Erbfeinden Erbfreunde geworden, und wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, Hanna Schygulla, ist ja so der soziale Frieden im Moment in Europa ein bisschen in Gefahr, auch durch diese Politik der Bundesrepublik Deutschland, dass seine Konditionen aufoktroyieren, diktieren will den anderen Staaten. Jetzt hat aber die EU den Friedensnobelpreis bekommen. Zu Recht Ihrer Meinung nach?

Schygulla: Ja, das war so wie mit Obama, das sind Vorschusslorbeeren. Es stimmt schon, es hat ja in Europa noch nie so lange Frieden gegeben wie jetzt. Nur man vergisst, dass es natürlich auch den Balkan gegeben hat. Das wird so etwas in den Schatten gestellt, das war ja ein großes Erschrecken. Kaum war Europa gegründet, sind im Balkan die schlimmsten Hassgefühle aufgekommen und auch nicht eigentlich wirklich besänftigt worden durch Europa. Also ich will das Thema nicht vertiefen, aber da hat die EU zum Teil ja auch Aktionen militärischer Art gestartet, die also wirklich tiefe Wunden gerissen haben, auch ganz konkret gesprochen. Aber trotzdem finde ich, dass das aus so einem Nobelpreis, dass da vielleicht auch etwas Gutes entstehen kann.

Birke: Wie sieht den Ihr Wunscheuropa aus?

Schygulla: Mein Wunscheuropa ist ein Europa, das kulturell natürlich ist, wo es nicht nur um Gewinn geht, sondern wo es auch geht um Verständigung, wo jeder was Eigenes mitbringt, aber auch ein Ohr hat für den anderen, und ein Austausch der Kulturen muss sein, weil wir inzwischen sowieso so vermischt sind, und wo auch in den Schulen wirklich von klein auf dieses Bewusstsein herangebildet wird, dass wir alle aus den verschiedensten Wurzeln stammen – man muss nur weit genug zurückgehen –, also wo das Nationalistische überwunden wird, weil aus dem Nationalistischen ist ja nie was Gutes entstanden.

Birke: Befürchten Sie, Hanna Schygulla, dass jetzt, gerade in diesen Zeiten der Krise, der Nationalismus zum Leben wiedererweckt wird?

Schygulla: Ja, habe ich schon, also nicht nur in Deutschland, sondern in allen Ländern. In Frankreich ist es ja auch so, dass Madame Le Pen ungeheure Zahlen hat, und dass also immer, wenn die Krisen kommen, dann kommt die Reaktion, wir machen zu, wir sind ja allein viel stärker, und wir müssen uns schützen. Aber ich glaube, man kann Geschichte nicht mehr so zurückdrehen. Und es entsteht immer in Krisen zweierlei: Einerseits, dass man sehr egoistisch wird und andererseits, dass man aufmacht, also dass man auch dadurch eben hilfsbereit wird, das kommt jetzt auf das Naturell an und auch, wer die Oberhand kriegt.

Birke: Kommen wir noch mal auf die Person Hanna Schygulla zurück und auf ihr Leben in Paris. Seit über zwei Jahrzehnten, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, wohnen Sie jetzt fest in Paris. Warum nicht in Deutschland?

Schygulla: Ja, weil ich da hängen geblieben bin. Also ich bin da hingekommen, das hatte mit einer Liebesgeschichte zu tun, und die hat auch lange gedauert, und dann bin ich einfach da geblieben. Und es ist ja auch sehr schön, in Paris zu sein, aber ich bin ja mit einem Bein jetzt auch in Berlin, und dann werden wir sehen, wie das alles ausgeht, welches das Spiel- und welches das Standbein wird. Es ist auch Schicksal, so was, warum man woanders hinkommt, bis zu einem Teil ist es immer eine Entscheidung, aber nicht ganz, es führt einen etwas da hin.

Birke: Jetzt feiern Deutschland und Frankreich 50 Jahre Freundschaft. Haben Sie da zu diesem Geburtstag irgendeinen speziellen Wunsch, den Sie den beiden mitgeben möchten?

Schygulla: Ja, dass aus einer Vernunftehe auch mal eine echte Zuneigung kommen könnte. Ich meine, auf der Ebene, dass man wirklich Vertrauen ineinander findet. Es ist ja zum Teil schon so, dass die jungen Franzosen auch nach Berlin kommen, weil Berlin eben so eine Baustelle ist, und Paris ist so ein fertiger Ort, weil der ja nie zerstört wurde, das hat mich auch so fasziniert an Paris, dass das so gewachsen ist. Also da ist in Berlin sehr viel Platz für Neues.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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