Ein erfolgreicher Unternehmer

Rezensiert von Jan Schleusener · 16.11.2008
Der Ruhrindustrielle August Thyssen gehörte zu den erfolgreichsten Wirtschaftslenkern im Kaiserreich. Er war einer der kreativsten Eigentümer-Unternehmer im Lande und besaß bis ins hohe Alter die alleinige Verfügungsgewalt über seine Unternehmungen. Der Historiker Jörg Lesczenski hat nun die erste umfassende Biografie August Thyssens veröffentlicht. Damit liegt ein ausführliches Porträt des Industriemagnaten vor, das höchsten Ansprüchen genügt.
August Thyssen erinnerte sich stolz an seine Anfänge:

"Ich baute fast jedes Jahr eine neue Walzenstraße oder eine neue Abteilung, ich kam als ganz selbständiger Mann auch mit Hochofenwerken, mit Zechen, mit dem Bergbau in Berührung, wodurch ich mir die Bedürfnisse vor Augen führte, die für ein großes Hüttenwerk, später für einen großen gemischten Betrieb erforderlich waren."
Die deutsche Wirtschaft entwickelte sich rasch infolge der von Otto von Bismarck herbei geführten Reichsgründung. Thyssen expandierte, die Firma erweiterte ständig ihre Kapazitäten und brachte neue Produkte auf den Markt. Thyssens Industrieimperium zählte am Vorabend des Ersten Weltkriegs zu den bedeutendsten Großunternehmen im Deutschen Reich.

In der Liste der reichsten Deutschen landete Thyssen im Jahr 1912 auf Platz 8. Neben seinen Aufgaben im expandierenden Konzern nahm August Thyssen zahlreiche Aufsichtsratsmandate wahr, etwa beim Mülheimer Bergwerksverein, dem Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk in Essen oder der Krefelder Stahlwerk AG. Für seinen Biografen Jörg Lesczenski steckte dahinter eine kluge Strategie.

"Die Kumulation von Aufsichtsratsposten machte aus Thyssen nicht nur einen "Multiaufsichtsrat", sondern einen "big linker", einen "Informationshändler". Die zahlreichen Mandate stellten den Zugriff auf die begehrte Ressource "Information" sicher und garantierten ihm einen Wissensvorsprung gegenüber potenziellen Marktkonkurrenten, der sich in Wettbewerbsvorteile ummünzen ließ."

Lesczenski beschreibt anschaulich, wie sich Thyssen zu einem frühen Jetsetmanager entwickelte, der fest davon überzeugt war, erst durch rastloses Engagement, Fleiß und strikte Sparsamkeit zum Menschen zu werden. Dieses strenge Leistungsethos, das ihm sein Vater vermittelt hatte, gehörte zu den wichtigsten Leitbildern seines Lebens.

So sehr sich Thyssen bürgerliche Arbeits- und Leistungsmaximen zu Eigen machte, so wenig entsprach sein Leben einem anderen bürgerlichen Ideal, nämlich durch ein harmonisches Familienleben auch zu privatem Glück zu finden.

Seine Ehe zerbrach, weil seine junge Frau Hedwig ihre Bedürfnisse nicht dem Primat der Firma unterordnen mochte, wie es Thyssen ganz selbstverständlich voraussetzte. Sie fühlte sich zu einem mondänen Leben hingezogen - zu Vergnügen und Unterhaltung. Nachdem sie eine Affäre eingegangen und eine Fehlgeburt erlitten hatte, reichte Thyssen 1885 die Scheidung ein. Für Lesczenski markiert diese Trennung die große biografische Zäsur im Leben des Wirtschaftsführers. Denn Thyssen ordnete nun seine Privat- und Intimsphäre, wie der Autor trocken anmerkt, "in Form nichtehelicher Beziehungen".

Nach der Scheidung lebte er mit allen seinen vier Kindern, die bei ihm aufwuchsen, im Clinch. Schwere Konflikte entzündeten sich stets an der Partnerwahl der Kinder. Mit schärfsten Mitteln versuchte Thyssen gegen die Auserwählten zu Felde zu ziehen. So auch im Falle von August junior, der aufgrund seines hedonistischen Lebensstils das Sorgenkind des Vaters war. Thyssen stellte 1904 beim Königlichen Amtsgericht in Berlin den Antrag, August junior wegen Schwachsinnigkeit entmündigen zu lassen, um ihn "unschädlich" zu machen. Das Gericht verwarf den Antrag. Die Konflikte hielten jedoch an. 1913 schrieb ihm ein "tief unglücklicher Vater":

"Wenn ich Briefe von Dir erhalte, so weiß ich stets, dass mir neuer Kummer bevorsteht. Stunden- und tagelang wage ich die Briefe nicht zu öffnen, denn ich fühle, wie Deine kalte Hand mich kränkt. Du trägst leider meinen Namen, den Du überall beflecktest und entehrtest. Ich weiß, dass Du den gefährlichsten Charakter hast, den ich kenne. Ich weiß, dass Du Deinen Vater mit kaltem Blut in den Tod treiben wirst."

Dabei hätte August junior, so Biograf Lesczenski,

"bei allen Protesten nur zu gerne zumindest an Bausteinen des väterlichen Lebensmodells partizipiert, stand doch der Wunsch nach einer angemessenen Position im Konzern und die Forderung nach einer Gleichstellung mit seinem älteren Bruder Fritz ganz oben auf der persönlichen Agenda."

Doch auch späte Versöhnungsversuche schlugen fehl. Thyssens jüngste Tochter Hedwig, die ebenfalls in heftige Fehden mit ihrem Vater verstrickt war, beklagte:

"Es ist ein großes Unglück, dass unser Vater so gar nicht versteht, mit uns umzugehen."

Einen engen Draht hatte Thyssen zu Matthias Erzberger, dem Zentrumspolitiker und späteren Finanzminister. Er verhalf August Thyssen zu Kontakten ins Berliner Machtzentrum. Im Gegenzug berief ihn Thyssen in verschiedene Aufsichtsräte. Über Erzberger lancierte Thyssen, der ebenfalls Mitglied der Zentrumspartei war, im Ersten Weltkrieg mehrere Denkschriften, die sich an Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg richteten. Thyssen glaubte fest an einen militärischen Erfolg des Deutschen Reiches und hoffte auf territoriale Gewinne, um sein Unternehmen auf Expansionskurs halten zu können.

In den turbulenten Jahren nach Kriegsende verdüsterten sich die Wolken über Thyssens wirtschaftlichem Horizont. Lesczenski zeigt überzeugend, dass sich Thyssen, ein Mann des 19. Jahrhunderts, mit der Welt von Revolution, sozialen Unruhen und politischen Wirrnissen nicht arrangieren mochte. Der Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrat nahm den Konzernlenker in Haft, Streikwellen erschütterten den Produktionsablauf in seinen Grundfesten. Auch die Ruhrbesetzung traf Thyssen mit voller Wucht. Am Ende, Mitte der 1920er Jahre, sah er sich als "alter, verschlissener" Mann, auch aufgrund der weiterhin mit unverminderter Härte geführten innerfamiliären Konflikte.

Jörg Lesczenski hat seine Biografie des Leistungsbürgers August Thyssen sorgfältig recherchiert und ist um gerechte Urteile bemüht. Zwar liegen gerade für die Erschließung von Thyssens privater Lebenswelt nur spärliche Quellenüberlieferungen vor, doch dieses Manko kompensiert der Autor, indem er Thyssens Verhalten und Entscheidungen in größere sozialhistorische Zusammenhänge einordnet. Dies macht das Buch zugleich zu einer lesenswerten Geschichte des deutschen Wirtschaftsbürgertums im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.

Jörg Lesczenski:
August Thyssen 1842-1926 - Lebenswelt eines Wirtschaftsbürgers.

Klartext Verlag, Essen 2008
Cover: "August Thyssen 1842-1926: Lebenswelt eines Wirtschaftsbürgers"
Cover: "August Thyssen 1842-1926: Lebenswelt eines Wirtschaftsbürgers"© Klartext Verlag