"Ein entschiedener Linker"

Matthias Rüb im Gespräch mit Joachim Scholl · 01.10.2010
Eine Hassliebe verbindet ihn mit Amerikas Politik und Populärkultur: Der Romancier und Essayist Gore Vidal feiert seinen 85. Geburtstag. Den Präsidenten Barack Obama hat er bisher schonend behandelt.
Joachim Scholl: Gore Vidal - am kommenden Sonntag wird der amerikanische Schriftsteller 85 Jahre alt. Und ich begrüße nun in Washington Matthias Rüb. Er ist dort der Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Guten Tag, Herr Rüb!

Matthias Rüb: Hallo, grüße Sie!

Scholl: Wird denn die amerikanische Öffentlichkeit am Sonntag auch gratulieren - diesem Mann, der so hart mit dem Land und der Politik ins Gericht geht?

Rüb: Ja, natürlich. In den einschlägigen Feuilletons, vielleicht auch in manchen politischen Teilen, in manchen politischen Feuilletons wird ihm gratuliert. Denn genauso wie Gore Vidal eigentlich mit seinem geliebten und zugleich gehassten Amerika seinen Frieden gemacht hat - er ist ja zurückgekehrt 2003, nachdem sein Lebensgefährte von mehr als 50 Jahren gestorben war -, so hat auch Amerika seinen Frieden gemacht mit Gore Vidal. Also es wird die üblichen Glückwunschtelegramme, die üblichen Glückwunschartikel geben in den einschlägigen Zeitungen und anderen Medien.

Scholl: Gore Vidal hat keine amerikanische Regierung der letzten 50 Jahre verschont mit seiner Kritik, kann man sagen. Wie nimmt man diesen Mann eigentlich wahr, so als ewigen Querulanten und Miesmacher oder eher als wachen politischen Kopf, der sagt und deutlich sagt, wo es brennt?

Rüb: Also er ist beides. Er wird geehrt angesichts dieses gewaltigen Werks von Büchern, Drehbüchern, Romanen, historischen Romanen, auch Theaterstücken und natürlich den vielen politischen Essays als eminenter Homme de lettres und als ewiges Enfant terrible. In dieser Doppelrolle hat er sich gefallen, und in dieser Doppelrolle wird er auch akzeptiert. Man kann nicht sagen, dass er eine laute Stimme ist in den aktuellen Debatten, dass er eine eminent wichtige Stimme ist, wenn es um gegenwärtige politische Entwicklung geht, etwa in den Schwierigkeiten, die Präsident Obama jetzt hat, die Menschen weiter von seinem Weg zu überzeugen, aber er gilt als Rufer, der aber auch in der amerikanischen Wüstenei der Demokratie wahrgenommen wird.

Scholl: Welchen Rang hat eigentlich der Romancier, der Erzähler Vidal in den USA - Sie haben schon gesprochen, also das gewaltige Werk wird schon registriert und rezipiert -, trennt man hier überhaupt zwischen dem Schriftsteller der Fiktionen und dem politischen Kommentator und Publizisten?

Rüb: Das tut man schon. Er wird eigentlich immer in einem Atemzug mit den wirklich Großen der amerikanischen Nachkriegsliteratur genannt, wie Truman Capote, der gewissermaßen vielleicht der begabtere literarische Bruder von ihm war, mit John Updike und so weiter. Ich denke, in der Nachwelt wird sein literarisches Werk als das eigentliche Werk betrachtet werden, während sein essayistisch-querulantisches Werk eher eine Fußnote der Geschichte bleiben wird. Aber diese Wirkung hat er jetzt schon erzielt: Er gilt als einer der ganz großen Schriftsteller und vor allem literarischen Schriftsteller, Romanciers des 20. Jahrhunderts in der amerikanischen Gegenwartsliteratur.

Scholl: Er leidet ja permanent an Amerika, und ihn interessiert nach eigenem Bekenntnis auch nichts anderes als die USA, ihre Geschichte und Politik. Leidet Gore Vidal eigentlich auch darunter, dass er es nie in die Politik geschafft hat?

Rüb: Schauen Sie, das ist ein bisschen küchenpsychologisch, aber ich glaube schon. Er stammt ja aus einer eminent politischen Familie. Der Großvater, den er sehr geliebt hat und dem er dessen Nachnamen Gore zu seinem eigenen Vornamen gemacht hat. Dieser Großvater war der erste Senator aus Oklahoma, war blind und hat sich aber durch diese körperliche Behinderung nicht davon abhalten lassen, seine politische Karriere in Washington zu verfolgen. Und Gore Vidal, der junge Gore Vidal, ist bei diesem geliebten Großvater und Senator in Washington, D.C. aufgewachsen. Der Vater selbst hat in der Roosevelt-Administration/-Regierung gearbeitet, und er hat selbst zugegeben, dass er eine politische Karriere eigentlich angestrebt hat, er ist aber zwei Mal mit seinen Versuchen ziemlich kläglich gescheitert, selbst in die Politik einzutreten. Er hat später dann auch zugegeben, weil es eben nicht geklappt hat mit der politischen Laufbahn, ist er Schriftsteller geworden.

Scholl: Laut dem Familienplan der Vidals - das lässt sich in seiner Autobiografie lesen - war ja vorgesehen, dass er Präsident wird. Ich meine, er ist vielfach verwandt mit der politischen Klasse in Amerika, Al Gore ist sein Cousin, er nennt ihn zärtlich Little Al, ein bisschen abfällig vielleicht. Gore Vidal hat den Vetter unterstützt, als dieser gegen George W. Bush angetreten ist. Was weiß man über diese Beziehung zwischen Al und Gore?

Rüb: Sie ist nicht wirklich existent. Es ist kein Geheimnis, dass Gore Vidal natürlich ein energischer Vertreter der demokratischen Partei ist. Er ist ein Anhänger des linken Flügels der demokratischen Partei, er ist kein Pragmatiker, sondern ein entschiedener Linker. Aber dieses Verhältnis ist eigentlich ein Nichtverhältnis, genauso wie das Verhältnis des gescheiterten, frühzeitig gescheiterten Politikers Gore Vidal zu der politischen Klasse ein Nichtverhältnis ist. Es gibt keine enge Beziehung, die er gepflegt hat mit Politikern seiner Generation, er hat sie eigentlich alle, auf deutsch gesagt, gehasst und tief verabscheut, und dieser Abscheu hat vor allem natürlich republikanische Präsidenten getroffen, aber auch demokratische Präsidenten.

Scholl: Gore Vidal bezeichnete George W. Bush einmal als Volltrottel, der beschäftigt ist, Geld für seine Kumpels zu verdienen. Bush ist nun Geschichte, wie ist denn Gore Vidals Haltung zum ersten schwarzen Präsidenten der USA, Barack Obama?

Rüb: Er hat sich in Kritik zumal, aber auch überhaupt im Urteilen über Barack Obama erstaunlich zurückgehalten. Ich glaube, Gore Vidal gibt Obama, anders wahrscheinlich als die Mehrheit der Wähler, bei den Kongresswahlen am 2. November immer noch den "benefit of the doubt". Also er hat noch nicht dieses Projekt aufgegeben, dieses Hoffnungsprojekt eines schwarzen Präsidenten, der die Rassenschranken endlich überwindet und der ein geeintes Amerika schaffen kann, das endlich die ganzen Gräben zuschütten kann, die die amerikanische Gesellschaft durchziehen und die ja kaum einer so kunstvoll dargestellt hat wie Gore Vidal. Also man hat bisher wenig bis nichts Kritisches von Gore Vidal über den gegenwärtigen Präsidenten Obama gehört.

Scholl: Über 30 Jahre hat Vidal in Italien gelebt, in einer prachtvollen Villa bei Ravello. Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte mal das Haus mieten, um dort Urlaub zu machen. Gore Vidal sagte: Kommt nicht in Frage, da müsste ich ja aufräumen. Es gibt inzwischen ganze Sammlungen legendärer Sprüche von ihm, der Mann ist ungeheuer unterhaltsam, er müsste eigentlich ein Liebling der amerikanischen Medien sein.

Rüb: Es ist sagen wir eine kritische Distanz, es ist genauso wie Gore Vidal Amerika und dessen Kultur mit Hassliebe begegnet, ist es eine Hassliebe der amerikanischen Kultur und zumal der Alltagskultur gegenüber Gore Vidal. Wie gesagt, er gilt trotzdem, trotz dieser Hassliebe und trotz dieser gepflegten, von beiden Seiten gepflegten Distanz als eminenter Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und als eminenter Romancier des 20. Jahrhunderts. Und seine Art, in seinen autobiografischen Werken "Palimpsest" und "Point to Point Navigation" Tratsch und Klatsch mit hoher Literatur zu verbinden, hat ihn natürlich in den Elfenbeintürmen der Literaturkritik nicht gerade beliebt gemacht, aber sein Publikum ist ihm immer treu geblieben - auch wenn er nicht wie gesagt der Liebling der Literaturkritik ist.

Scholl: Gore Vidal - am Sonntag feiert der amerikanische Schriftsteller seinen 85. Geburtstag, und wir haben schon mal gratuliert. Aus Washington war das Matthias Rüb, Korrespondent der "FAZ". Danke schön für das Gespräch, Herr Rüb!

Rüb: Danke Ihnen!
Friedensnobelpreisträger Al Gore
Al Gore© AP
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