Ein Dorf in Thüringen und 100 Flüchtlinge

Auf Worte wie "Willkommenskultur" reagieren sie allergisch

Sportunterricht in Potsdam für Flüchtlingskinder
Sportunterricht für Flüchtlingskinder: Soll sich seine 79-jährige Mutter etwa mit Asylbewerbern in eine Schlange stellen? © picture alliance / dpa / Foto: Ralf Hirschberger
Von Henry Bernhard · 30.03.2015
Im letzten Jahr haben 173.000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt – dieses Jahr werden es wohl noch mehr. 100 Flüchtlinge sollen im thüringischen Dorf Wenigenlupnitz untergebracht werden, wo 600 Einwohner leben. Ängste und Hilfsbereitschaft prallen aufeinander.
"Nazis raus! Nazis raus!"
"Vielen Dank, an alle, die da waren! Wir sagen Nein zum Heim, denn wir sind das Volk und wir kommen wieder. Dankeschön!"
Wer zur Bürgerversammlung will, muss durch ein Spalier: Rechts die Thüringer NPD, links die Gegendemo. Ringsum eine Menge Polizisten. Hunderte Bürger schieben sich in die Mehrzweckhalle von Wenigenlupnitz. Nicht weit von hier, in einem ehemaligen Rittergut, sollen Flüchtlinge untergebracht werden. Schon in drei Wochen. Nun will Landrat Reinhard Krebs informieren. Die Leute sind unruhig. Auf Worte wie "Willkommenskultur" reagieren sie allergisch.
"Vorgesehen ist in der Tat, dass ab Mitte April dort die ersten Flüchtlinge einziehen werden. Und die Frage der Obergrenze, die immer wieder kursiert, benenne ich im Moment mit maximal 100."
Ein junger Mann, der am Rand steht, fällt dem Landrat ins Wort.
"Dass sie sich nicht schämen! Erzählen sie doch den Leuten endlich, wie es läuft! Ich sehe es doch in meiner Stadt! Hören sie auf, hier rumzureisen und in jedem Dorf dieselbe Geschichte zu erzählen!"
Die Wut der über 300 Leute kann sich endlich entladen. Weiter hinten steht ein alter Mann auf und fordert einen Zaun um die Flüchtlingsunterkunft – mit drei Toren!
Jubel, Beifall. Der Landrat erklärt die politische Weltlage, spricht von wachsenden Flüchtlingszahlen und von der Landesregierung, deren Winterabschiebestopp er nicht gut findet. Und davon, dass man Flüchtlinge menschenwürdig unterbringen muss. Es wird noch unruhiger im Saal. Endlich, nach einer halben Stunde, die Fragerunde.
"Sie haben gesprochen von hundert Personen, die hier kommen könnten in nächster Zeit. Ist das ein Maximum oder müssen wir mit mehr rechnen?"
Keine falschen Versprechen
Wer kann uns garantieren, dass es nicht 200 oder 300 Flüchtlinge werden? Der CDU-Landrat will keine falschen Versprechen machen. Er könne nicht in die Zukunft schauen. Unmut ringsum. Der junge Mann fragt weiter.
"Unter anderem stand noch die Frage im Raum, wie es mit der schulischen und kindergartentechnischen Versorgung jetzt aussieht. Also, wie wäre das: Müssten die Leute, die hier wohnen, sich jetzt Gedanken machen, dass sie zurückstecken müssen, dass die Kinder aus dem Asylheim – oder von den Flüchtlingen – bevorzugt werden?"
Deutsche Kinder, so Zwischenrufer, müssten da doch wenigstens bevorzugt werden, wenn die Kindergartenplätze knapp werden. Weiter Fragen zur Versorgung: Wo sollen die Menschen einkaufen? Soll sich seine 79-jährige Mutter etwa mit Asylbewerbern in eine Schlange stellen – fragt ein Mann.
"Mir schwillt so ein bisschen der Kamm, wie vielleicht vielen, die hier so sitzen. Sie gehen da dran wie für Politiker üblich: blauäugig und mit völlig weltfremdem Blick. Die ärztliche Betreuung, erstens, ist nicht gegeben. Die Leute sitzen über drei Stunden beim Arzt und warten, bis sie mal drankommen. Im Moment haben wir noch die Situation, dass hier bei unserer Ärztin die Wartezeiten nicht so groß sind, aber ich denke, das wird sich dann ändern. Der Kindergarten, denke ich mal oder die Schule, ist nicht darauf vorbereitet, wenn hier fremde Kinder plötzlich zur Schule gehen, die eine andere Sprache sprechen. Da drüber denken sie auch nicht nach!"
Als die Leiterin des örtlichen Kindergartens auftritt und sagt, dass ihr alle Kinder gleich seien und dass sie und ihre Kolleginnen extra Weiterbildungen besuchten, die sie auf Kinder aus anderen Kulturen vorbereiten, gibt es wütende Zwischenrufe: Wenn sie auf Weiterbildung waren, hätten sie sich ja nicht um die Kinder hier kümmern können. Bald wird es in der Mehrzweckhalle grundsätzlicher.
"Herr Krebs, jetzt mal gegen sie: Sie haben jetzt immer von einem Miteinander gesprochen. Ich finde, das haben sie ja jetzt schon miteinander gesprochen, damit wir einfach vor vollendete Tatsachen gestellt werden und überhaupt keine Möglichkeiten haben, uns dagegen zu wehren."
Alternativvorschlag – der Nachbarort
Der Landrat Reinhard Krebs erklärt etwas verbrämt, dass es wohl nirgendwo Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland gäbe, wenn man vorher die Nachbarn befragen würde. Alternativvorschläge gibt es viele: Im Nachbarort, da würde es doch viel besser passen.
"Und jetzt habe ich mal eine Frage zu einer Alternativlösung: Gewerbegebiet Großenlupnitz – Riesen-Bürogebäude, steht seit Jahren leer! Und es müsste von den Anwohnern keiner in direkter Nachbarschaft mit diesen wohnen, weil: Sie sind irgendwo, sage ich mal, ´im Gewerbegebiet`. Diverse Sachen und Ängste, die wir auch haben, Kriminalität z.B., würden da ein bisschen wegfallen und entschärft."
Und nach dem Grundsätzlichen kommen die Gerüchte:
"In Großstädten kam es zuletzt vor, dass durch Flüchtlinge, Asylanten angeblich Krankheiten, Masern, Bettwanzen, alles Mögliche, eingeschleppt wurden. Wie sieht das aus mit den Kindern, die quasi dann hier die Schulen besuchen? Werden die geimpft? Ist das eine Pflichtimpfung?"
Ein Landwirt erzählt, dass aus dem Ausland importierte Schafe viele Impfungen bräuchten und in Deutschland erst mal in Quarantäne kämen. Einer fragt, ob die Asylbewerber Beschäftigung hätten, damit sie nicht auf dumme Gedanken kämen. Viele wollen wissen, wer denn zuständig sei, wenn es zu Delikten käme.
"Die Kämpfer oder die Asylbewerber kommen aus Kriegsgebieten, wo sie das Töten gelernt haben. Welche Gefahr besteht für uns, wenn denen mal ein Furz quer hängt – auf Deutsch gesagt? Was passiert da mit uns?"
Überhaupt die Frage: Wo kommen die Flüchtlinge her? Würden sie überprüft, auf Religionszugehörigkeit und extremistischen Ansichten?
Nach knapp zwei Stunden leert sich die Halle schnell. Kaum einer will ins Reporter-Mikrofon sprechen. Bis auf Ingrid und Gerhard Weinstein.
Gerhard Weinstein: "Unsere Mutter ist Flüchtling gewesen. Die kommt aus Pommern. Und wenn sie nicht gewesen wäre und der Vater, der hier aus dem Ort ist, wäre meine Frau nicht da!"
Ingrid Weinstein: "Also haben wir eine ganz eigene Einstellung dazu. Aber die Sorgen, die hier bestehen, die nehme ich schon auch ernst!"
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