Ein Chor, der Mut machen soll

Von Gerhard Richter · 09.08.2013
Unter der Dusche singen manche Menschen ganz zwanglos vor sich hin - während es ihnen in der Öffentlichkeit die Sprache verschlägt. Der Chorverband Bayerisch-Schwaben betreibt seit einiger Zeit das Projekt "Singen macht Spaß". Hier können Teilnehmer ihre Ängste abbauen.
Jürgen Schwarz: "Einen wunderschönen guten Abend, die Herrschaften, die Sänger sind heut' im ersten Stock oben."

Andrea Krieger: "Lassen wir uns überraschen, was das wird…"

Jürgen Schwarz steht auf den ausgetretenen Steinstufen des Illertisser Gymnasiums und schüttelt allen die Hand, die an diesem Abend zum Singen kommen. Schon Wochen vorher hat der Vorsitzende des Chorverbands Bayerisch-Schwaben die Chöre der Region angeschrieben, und seine Mitglieder darum gebeten, doch Freunde und Bekannte zum Probesingen mitzubringen. Deshalb ist Andrea Krieger hier:

"Na, ich sing noch nicht im Chor, aber ich hab Freude am Singen, vom Beruf her."

Die Erzieherin singt in der Kita viel mit ihren Kindern. Jetzt ist sie neugierig darauf, mal in einem großen Chor zu singen. Was sie erwartet?

"Einfach ein zwangloses Singen, ohne dass man jetzt irgendwelche wahnsinnigen Arien singt, und irgendwie - wie soll ich jetzt sagen? - großes Können, ja. Wir sind so Normalsänger."

Von Anfängern bis erfahrenen Sängern - alle sind dabei
Im ersten Stock des Schulgebäudes drängeln sich die Neugierigen vor dem Eingang des Bachsaales, der Aula der Schule. Hubertus Glanz steht in der Menschentraube vor der Tür. Der Arzt hat heute die Probe seines Kirchenchores sausen lassen, um hier mal etwas anderes zu erleben:

"Ich sing gern, ich sing in zwei Chören. Das heißt nicht, dass ich mit zwei Chören nicht genügend ausgelastet wäre, aber ich such' einfach nach Anregungen, wie man chorisches Arbeiten eventuell auch anders gestalten kann, als ich es bisher kenne."

So wie Hubertus Glanz sind viele der 80 Neugierigen erfahrene Sänger aus den Chören der Dörfer und Städte ringsum. Angelockt hat sie die Ankündigung, die vier Singabende würden von jeweils anderen Dirigenten geleitet. Alles Spitzenkräfte des Chorverbandes. Den ersten Abend heute leitet Karl Zepnik. Der 54-jährige ist künstlerischer Leiter der Musikakademie Marktoberdorf und ein exzellent ausgebildeter Sänger und Dirigent. Jetzt steht er vor einem Zufallsensemble aus Neulingen und erfahrenen Sängern - zur Begrüßung singt er einfach los.

"Griaß di und Servus und habe die Ehr, dass wir uns heut sehen, freut mich sehr…"

Zepniks Gesang und seine gute Laune sind ansteckend und nach zwei Minuten machen alle mit, geben dem fremden Sitznachbarn lachend die Hand und klatschen im Rhythmus des neuen Liedes. Karl Zepnik hat seinen Chor sofort fest im Griff. Der drahtige Gesangsprofi zieht sein Jackett aus und legt richtig los. Schnellkurs Atemtechnik: Alle sollen 15 Sekunden lang eine Kerze ausblasen.

"Hier ist die Kerze, muss ganz gleichmäßig kommen, weil das ist die Basis für unseren Ton. 11, 12, 13, 14..."

"Pfffffffhhh..."

"Und nach vier Wochen, wenn's des jeden Tag trainieren, schaffen sie es bis auf 20."

Das Wichtigste ist die Freude an der Musik
Mit neuer Atemtechnik geht es gleich ans nächste Lied. Inklusive Bewegung. Hände-Klatschen, Hände aneinander reiben, Hände über dem Kopf wackeln. Eine motorische Koordinationsaufgabe. Zum Glück ist der Text nicht so kompliziert.

"Tumbai, tumbai, tumbai..."

Dann lässt Zepnik Männer und Frauen getrennt singen, und daraus macht er dann gleich einen Kanon. Musikalisch zwar etwas chaotisch, aber der versprochene Spaß ist da.

Das Hemd von Dirigent Karl Zepnik ist mittlerweile durchgeschwitzt, die Sänger sind aufgeheizt, Zeit für eine Pause. Andrea Krieger, die Erzieherin, fühlt sich offensichtlich wohl. Hier im Chor kann sie viel tiefer singen als mit ihren sechsjährigen Kita-Kindern. Nur beim Text merken hapert es:

"Ich kann mir so die letzten zwei Zeilen immer dann nicht mehr merken, einfach. Das braucht so eine Zeit bis man das wieder im Kopf drin hat."

Chöre sind auch zum Tratschen da
Den Rest der Pause reden alle wild durcheinander und Jürgen Schwarz, der Präsident des Chorverbandes, erklärt in einer kleinen Rede, dass ein Chor eben auch genau dafür da ist:

"Wir brauchen für unsere Gesellschaft auch Punkte, wo wir uns begegnen, wo eben dieser Punkt: Ratschen ist wichtig, wo man schwätzen kann, miteinand'. Weil das ist doch für uns ein Riesenproblem, dass wir dann – grad jetzt wenn auch die Bevölkerungsgruppe der Älteren auch zunimmt – wir brauchen den Austausch, den Kontakt, die Gemeinschaft miteinander."

Im zweiten Teil des Projektsingens verteilt Karl Zepnik Notenblätter. Ein einfaches Volkslied, dessen Melodie fast alle schon lange kennen. Die meisten sind doch über 50 Jahre alt.

"Guten Abend, gute Nacht..."

Jürgen Schwarz: "Und diese Gruppe der jung gebliebenen aktiven Älteren, die wollen wir eigentlich für's Chorsingen gewinnen, weil die sind eine Bereicherung für jeden älteren Chor eigentlich."

Jürgen Schwarz, der Verbandspräsident legt am Ausgang Listen aus, mit allen Chören der Gegend, inklusive Probezeiten und Ansprechpartner.

Karl Zepnik: "Vielen Dank und schönen Abend!"

Beim Hinausgehen nehmen sich Andrea Krieger und ihre Freundin eine der Listen. Den heutigen Spaß hätte sie gern öfter.

Andrea Krieger: "Also wir müssen bloß mal gucken, in welchem Chor. Ob's der Kirchenchor ist, das wissen wir noch nicht."


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