Ein blutiges Ritual

16.08.2007
Eine Kulturgeschichte des Stierkampfs, wie es im Untertitel heißt, ist der Band von Rolf Neuhaus nicht geworden. Zwar rezipiert der Autor verschiedene Entstehungstheorien und zitiert zahlreiche literarische Reflexionen, letztendlich aber betreibt Neuhaus Werbung diesen ungleichen Kampf zwischen Mensch und Tier.
Pro oder contra Stierkampf? Das Buch stellt in Aussicht, den Stierkampf neutral und "mit analytischer Strenge" zu betrachten. Nur leider hält der Autor nicht, was er verspricht. Das hier ist keine "Kulturgeschichte des Stierkampfes", sondern ein verkappter Reiseführer zu den spanischen Stierkampfarenen. Und sein Autor entpuppt sich als Fan, der sich nicht traut, dies seinem Leser offen zu gestehen.

Im Buch selbst findet sich kein Wort über den Autor, auch der Verlags-Katalog schweigt sich aus. Im Internet ist zu erfahren: Rolf Neuhaus, Jahrgang 1951, Historiker aus Deutschland, lebt seit 1987 als freier Autor in Andalusien. Schreibt gern für deutsche Reisejournale. Dieses Buch ist offensichtlich nicht von einem Theoretiker verfasst, sondern von einem Sachverständigen, der die spanischen Stierkampfarenen und ihre blutigen Rituale wie seine Westentasche kennt.

Das erste Kapitel trägt den Titel: "Kunst oder Barbarei?" Es kommen Freunde und Feinde des Stierkampfes gleichermaßen zu Wort. Vor allem Literaten. Zuerst die Spanier: Garcia Lorca und Ortega y Gasset, aber auch die Fans aus dem Ausland, allen voran Ernest Hemingway. Hans Christian Andersen hat 1862 eine Corrida in Malaga gesehen. Nach dem ersten toten Stier und drei toten Pferden, denen das blutige Gedärm aus den Bäuchen quoll, ist er beinah in Ohnmacht gefallen: "entsetzlich, peinlich, unerträglich", so sein Kommentar. Rund 30.000 Stiere im Jahr werden in spanischen Arenen zu Tode gebracht. Sagt Rolf Neuhaus. Tierschutz-Vereine sprechen von rund 70.000.

Der Ursprung des blutigen Spektakels ist ungeklärt. Manche Wissenschaftler behaupten, es sei durch kretische Seefahrer nach Spanien gekommen. Die zweite Vermutung, so Neuhaus, besagt, die Römer hätten den Stierkampf nach Spanien gebracht. Die Mehrheit der Forscher ist allerdings der Meinung, die "corrida de toros" sei eine genuin spanische Erfindung. Der Stierkampf wurde schon im Mittelalter von adligen Militärs gepflegt, die auf diese Weise für den Krieg trainierten.

Die starke Seite von Neuhaus’ Buch sind die literarischen Zeugnisse. Jene "Selbstversuche" von Schriftstellern, die sich in die Arena begeben haben und detailliert beschreiben, was die Atmosphäre dort mit einem Menschen macht. Edmondo de Amicis etwa, ein italienischer Reiseschriftsteller, ist 1872 in Spanien gewesen und schreibt: "Der Eindruck, den dieses Schauspiel in der Seele hinterlässt, ist unbeschreiblich. Es gibt schreckliche Augenblicke, in denen man die Arena verlassen möchte und schwört, nie wieder zu kommen. Aber …allmählich ergreift das Fieber, das die Menge aufwühlt, von Euch Besitz, dass ihr Euch nicht wieder erkennt. Wie alle anderen hat man Anfälle von Zorn, Wildheit und Begeisterung. Dieses Getöse, das Brüllen des Stiers, dieses Blut, diese Farben .... alles blendet, betäubt und erregt." Sätze, die Neuhaus nicht kommentiert.

Nach dem ersten Kapitel werden die Stierkampf-Gegner immer stiller und der Autor immer mutiger. Auf Seite 189 wagt er sich dann schon mal vor mit Sätzen wie "Wir wissen nicht, was Hemingway heute empfehlen würde. Wir empfehlen eine Corrida de torros erster oder zweiter Kategorie mit einem sachverständigen Publikum …". Was folgt, ist ein Abschnitt mit markigem Titel: "Seide, Sand und Blut – Arten und Ablauf des Stierkampfes." Auf den nachfolgenden Fotos ist allerdings kein Tropfen Blut zu sehen, da gibt es nur kraftvolle Stiere, stolze Matadores und begeisterte Massen. Kein einziges Bild, wie es die Websites der Tierschutz-Vereine präsentieren. (Verständlich, denn da wird’s einem schlecht.) Statt dessen eine Liste der spanischen Stierkampf–Museen. Samt Adressen und Telefonnummern. Dazu einen Jahreskalender mit den Terminen der einzelnen Arenen. 2000 Stierkämpfe pro Jahr, da werden wir doch was Schönes finden! Fehlt am Ende nur noch der Bon für zwei Eintrittskarten mit zehn Prozent Rabatt ...

Dieses Buch ist ein Werbeprospekt für den Stierkampf, dessen Autor nicht will, dass sein Leser es merkt. Über 300 Seiten stark, listig komponiert und über weite Strecken unerträglich für jeden Menschen, der einen Funken Mitgefühl für Tiere hegt.

Rezensiert von Susanne Mack

Rolf Neuhaus: Der Stierkampf. Eine Kulturgeschichte
Insel Verlag 2007
340 Seiten, 12 Euro