Ein bisschen wie Helden

Von Dirk Fuhrig · 28.04.2008
Die Frankfurter Schule, Daniel Cohn-Bendit oder Joschka Fischer: Frankfurt/M. war eine Hochburg der Studentenbewegung. Zum 40. Jahrestag der Revolte hat das Historische Museum der Stadt die Ausstellung "Die 68er - Kurzer Sommer - lange Wirkung" zusammengestellt, die das Lebensgefühl dieser Zeit beleuchten will.
Reden konnten sie schon immer gut. Studenten von "damals" wie Daniel Cohn-Bendit oder der Stroemfeld/Roter Stern-Verleger K.D. Wolff, Gretchen Dutschke, die Germanistin Silvia Bovenschen oder der Sexualforscher Martin Dannecker. Alt-68er erinnern sich. Von überlebensgroßen Bildschirmen sprechen sie zu uns.

Eine Talk-Show-Runde ist das, aber die großen Köpfe auf den Leinwänden wirken auch ein bisschen wie Helden-Porträts, wie sie in sozialistischen Systemen gerne durch die Straßen getragen wurden. An einer Seitenwand in diesem ersten Ausstellungsraum denn auch die Genealogie: Auf rotem Grund posieren Hegel und Marx, Lenin und Mao, Brecht und Che Guevara – und ganz am Rande Rudi Dutschke. "Die Heilige Familie", Revoluzzer und Vordenker, von einer Bielefelder Künstlergruppe im Jahre 1972 auf LKW-Plane gebracht.

Andreas Schwab: " Ein Versuch einer neuen Sichtweise. Weil wir eben nicht, wie etwa Götz Aly, auf die Vergangenheit aufmerksam machen wollten. Sondern weil wir zeigen wollten die ganze umfassende Änderung, die aus 68 hervorgegangen ist . Das ist von uns aus gesehen eine Historisierung, die nur eine nachgeborene Generation leisten kann."

Ausstellungskurator Andreas Schwab ist nicht nur Jahrgang 1971, sondern auch noch Schweizer – besitzt also einen doppelt distanzierten Blick auf das Phänomen Studentenrevolte in Deutschland. Und kann also leichter Hand den Ausstellungstitel formulieren: "Die 68er ins Museum?" – immerhin mit einem Fragezeichen.

Schwab und seine Kollegen von der Berner Agentur "palma 3" haben sich die politischen Debatten der alten Recken erspart, es geht ihnen auch kein bisschen um eine Verteidigung oder Entlarvung der Bewegung. Vielmehr sind sie mit kulturgeschichtlicher Neugier vorgegangen. Sie arbeiten mit klug ausgewählten Exponaten, die die verschiedenen Aspekte des Universums "68" anklingen lassen. Schwerpunkt auf Alltagskultur und den sich verändernden Lebensweisen.

" Die Ausstellung versucht nicht nur, die Demonstrationen auf der Straße zu zeigen, sondern das umfassende Leben, also vom Wohnen, die Sexualität, wie man sich gekleidet hat, aufzunehmen und abzubilden."

Und so sind im Kontrast zu Heile-Welt-Szenarien aus dem Muff der 50er Jahre die Aufklärungsaktionen eines Oswalt Kolle zu sehen. Die Schwulenbewegung kommt vor, der Film "Hair" wird zitiert – und mit echten Flower-Power-Indien-Kleidern und einem Sortiment Hasch-Pfeifen illustriert. Platten-Cover von Cat Stevens bis "Ton, Steine, Scherben" evozieren den Sound der Zeit und machen Kommentare überflüssig.

Dazu prägnante Fotos von Demonstrationen und Teach-Ins, vom Häuserkampf im Frankfurter Westend und von der spontimäßigen Umbenennung der Universität von Goethe in "Karl-Marx-Universität". Zahlreiche dieser Aufnahmen stammen von Barbara Klemm. Die "FAZ"-Fotografin hat auch das berühmte Bild vom verzweifelten Professor Wiesengrund Adorno gemacht, der die Polizei rief, um die Besetzung seines Instituts für Sozialforschung zu beenden.

Barbara Klemm: " Adorno hat doch die Studenten sehr unterstützt und war dafür, dass diese Verkrustung aufbricht. Ich habe immer gedacht, er war der Vater der Studentenbewegung. Und dadurch, dass das Bild etwas sehr Eindringliches hatte, der Polizist im Hintergrund, er hatte Ringe unter den Augen, all das spielte eine Rolle. Und es ist ein Stück Zeitgeschichte geworden, was man in dem Moment, wo man es fotografiert, gar nicht weiß."

Was heute häufig vergessen wird: Frankfurt am Main war DIE 68er-Stadt. Dort war nicht nur die Frankfurter Schule beheimatet mit Marcuse, Adorno, Horxheimer, dem jungen Habermas. Dort saßen auch damals schon die angefeindeten Banken, und dort tobte der Kampf gegen die Stadtzerstörung durch Immobilien-Spekulation.

Norbert Walter: " Frankfurt ist sehr symbolisch für die deutsche 68er-Bewegung, sicherlich der wichtigste Platz. Meine Großmutter hat gesagt: Bub, warum um Gottes Willen musst du in diesem Chaos studieren. "

Norbert Walter, heute Chefvolkswirt der Deutschen Bank, war vom "Lärm" und den "Brüllereien", wie er sagt, der 68er zwar abgestoßen, kann dem Chaos im Rückblick aber auch ein paar gute Seiten abgewinnen:

" Kritik an hierarchischen Strukturen, Offenheit, dem Argument zum Durchbruch verhelfen. Das ist für mich das Positive. (...) Das Aufbrechen von Verkrustungen, das war für uns alle, für die Wirtschaft, für ihre Kreativität, nützlich."

"Die 68er ins Museum" ist eine vielschichtige und ironische und jedenfalls auch höchst anschauliche Ausstellung. Sie ist kein bisschen Theorie-lastig- oder –geschwängert und wirkt mit leichter Hand entworfen.

Die Rolle der Stadt Frankfurt für die Studentenbewegung ist weitgehend Geschichte. Zwar existieren noch einige Orte - etwa der legendäre Debattier-Keller "Club Voltaire". Manche ehemalige Protagonisten der Frankfurter Bewegungsschule sind jedoch schneller als woanders den Weg der so genannten Verbürgerlichung gegangen: Da wurden "Revoluzzer" zu Edelgastronomen,Varieté-Betreibern - oder Außenministern. Apropos Außenminister: Ausgerechnet Frankfurts prominentester Protagonist dieser Jahre ließ sich nicht bewegen, für die Ausstellung als Interviewpartner zur Verfügung zu stehen.

Jan Gerchow: " Joschka Fischer, haben wir uns vergeblich drum bemüht, er hat uns nur immer über seine Consulting-GmbH absagen lassen. Hat offenbar kein Interesse mehr an dem Thema. "

"Die 68er ins Museum?" - Für Joschka Fischer scheint das Fragezeichen überflüssig.

Service:
Die Ausstellung "Die 68er - Kurzer Sommer - lange Wirkung" ist vom 1. Mai bis 31. August 2008 im Historischen Museum in Frankfurt/M. zu sehen.