"Ein bisschen Partystimmung" in Ramallah

Jörg Schumacher im Gespräch mit Susanne Führer · 23.09.2011
Im Westjordanland und im Gazastreifen bereiten sich die Menschen auf die UNO-Entscheidung zur Anerkennung Palästinas vor. Es gebe eine "Mischung aus Hoffnung und Resignation", sagt Jörg Schumacher, Leiter des Goethe-Instituts Ramallah.
Susanne Führer: Ein eigener Staat: Viele Palästinenser träumen davon, und er wurde ihnen in den vergangenen Jahren ja auch immer wieder in Aussicht gestellt – ohne Ergebnis allerdings. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas will es jetzt wissen: Aller Voraussicht nach wird er heute in New York einen Antrag auf Vollmitgliedschaft in der UNO stellen, und das heißt, auf Anerkennung Palästinas als unabhängiger Staat. Und dann?

Verschiedene Szenarien sind ja denkbar, aber eines ist wohl ziemlich sicher: Einen Staat Palästina wird es in ganz naher Zukunft nicht geben. Welche Erwartungen die Palästinenser an den Antrag und an einen möglichen Staat haben, das ist jetzt mein Thema mit Jörg Schumacher, dem Leiter des Goethe-Instituts im Ramallah. Guten Morgen, Herr Schumacher!

Jörg Schumacher: Guten Morgen, Frau Führer!

Führer: Wie ist denn das da bei Ihnen, gehe ich recht in der Annahme, dass dieser Antrag das Thema zurzeit ist?

Schumacher: Ja, da gehen Sie vollkommen zu recht von aus, genau so ist es. Hier ist heute Freitag, also der erste Tag des Wochenendes, aber Sie sehen in der Stadt schon ganz viel Aufbauarbeiten für Bühnen, zwei große Bühnen sind hier an den beiden großen Plätzen in Ramallah vorbereitet, das ist ein bisschen Partystimmung, kann man sagen, also es werden Bühnen mit Public Viewing stattfinden.

Führer: Also da wird dann die Rede von Abbas vor der UNO-Vollversammlung gezeigt?

Schumacher: Da werden die Reden heute aus der UNO übertragen, und die Palästinenser bereiten sich mit vielen Fahnen und mit Autocorsos darauf vor, was heute Abend eben passiert.

Führer: Vorgestern sind ja Tausende Palästinenser auf die Straße gegangen – in Ramallah, in Bethlehem und in Hebron –, um Mahmud Abbas den Rücken zu stärken, das sah so nach Aufbruchsstimmung aus, aber dann kam die Rede Obamas und dann war die Enttäuschung wieder groß. Wie schätzen Sie jetzt so die Stimmung, die Atmosphäre ein, Herr Schumacher?

Schumacher: Also ich kann für den engeren Bereich sprechen, der wieder mit Kunst und Kultur zu tun hat, weil das die Partner des Goethe-Instituts natürlich hier vor Ort sind, die aber glaube ich ein repräsentatives Bild für die Gesellschaft hier auch abgeben: Es ist eine Mischung aus Hoffnung und Resignation, was dieser Abend heute bringt und was die Bemühungen bringen, es hat aber auch was mit Stolz und mit Selbstbewusstsein der Palästinenser zu tun, dass sie diesen Schritt vor die UNO eben jetzt machen und den so durchziehen, wie sie den seit Monaten angekündigt haben. Ernsthaft daran glauben, dass heute Abend ein Staat ausgerufen werden kann, tut hier, glaube ich, niemand, aber es werden trotzdem viele Hoffnungen damit verbunden, und heute auf den Plätzen rechne ich damit, dass das gefeiert wird oder dass die Leute auf der Straße auf jeden Fall sind, um mit einer positiven Stimmung die Bemühungen zu begleiten, Palästina als 194. Staat aufzunehmen.

Führer: Sie haben gerade gesagt, Sie haben ja hauptsächlich Kontakt zu den palästinensischen Künstlern und Intellektuellen in Ramallah, im Westjordanland. Haben Sie auch Kontakte nach Gaza, wie es da aussieht?

Schumacher: Selbstverständlich. Ich bin vor zwei Tagen aus Gaza zurückgekommen und habe unseren Bibliotheksbus, das ist eine mobile Bibliothek, aus dem Gazastreifen überführt, wo der jetzt zwei Monate unterwegs gewesen ist, und da merkt man jetzt auch schon ganz konkret die Auswirkungen der aktuellen Situation, die eben auch an den neuralgischen Punkten noch etwas schwieriger ist als sie das ohnehin ist: Also die Ausreise aus dem Gazastreifen dauert dann eben fünf Stunden statt zwei Stunden, und sie hängen an verschiedenen Stellen fest, es waren bewaffnete Auseinandersetzungen am Checkpoint Calandia, als ich drübergefahren bin, mit Steinen von der einen Seite, mit scharfen Geschossen auf der anderen Seite.

Also es ist deutlich merkbar, dass im Moment was passiert. Es ist relativ ruhig – hier in Ramallah wie gesagt eher Partystimmung, in Gaza sieht das Bild noch ein bisschen anders aus –, aber es hat ganz konkret Auswirkungen auf die Arbeit des Goethe-Instituts hier vor Ort, weil wir natürlich wie alle anderen auch von den Einschränkungen der Reisefreiheit hier betroffen sind, wenn unsere Kollegen zum Beispiel nicht ins Institut kommen können oder nicht zur Arbeit kommen können. Ein Kollege hat in Bethlehem festgesessen, ist gar nicht erst hier hergekommen, ein anderer ist nachts oder am Abend nicht zurückgekommen nach Jerusalem, hat dann hier im Institut geschlafen, unsere Kursteilnehmer, also Sprachschüler, vor allem aus der nördlichen Westbank haben es nicht zu den Kursen geschafft diese Woche zu einem großen Teil, also wir sind da genauso Teil wie jede andere Einrichtung auch und kriegen das natürlich dementsprechend hautnah mit.

Führer: Der Leiter des Goethe-Instituts in Ramallah, Jörg Schumacher, ist live im Gespräch im Deutschlandradio Kultur. Herr Schumacher, habe ich das jetzt richtig verstanden, dass jetzt aufgrund dieses Antrags sozusagen die Sicherheitsvorkehrungen jetzt noch mal ganz besonders verschärft worden sind? Und dahinter steckt ja auch die Sorge, dass es eben bei einer Ablehnung – also die USA haben ihr Veto ja schon angekündigt, falls es so weit kommen muss, dass sie ihr Veto einlegen müssen, wir wissen ja noch nicht so richtig, was da im Sicherheitsrat dann passieren wird – befürchten ja viele eine Eskalation der Gewalt, also Gewaltausbrüche. Nun sind die Künstler und Intellektuellen, mit denen Sie Umgang haben, nicht wahrscheinlich die ersten, die auf die Straße gehen und Steine werfen würden, aber die haben ja nun wiederum Kontakt also auch zu ihren Kindern und den jungen Männern. Wie schätzen Sie das ein?

Schumacher: Na, wir haben eine ganz unterschiedliche Gewaltsituation hier. Wir haben jetzt ... Diese Woche vor allem waren wir besorgt, was Gewalt der Siedler angeht: Nördlich von Ramallah haben verschiedene extremistische Siedlungen die Verkehrsstraße zwischen Ramallah und Nablus weitgehend lahmgelegt, das ist eben die Route, wo auch unsere Sprachkursteilnehmer zum großen Teil benutzen. Das ist die eine Seite. Das andere ist, was ich meinte, mit unserem fröhlich bemalten Bibliotheksbus über die Checkpoints fahren, wenn da Steine fliegen von der einen Seite und Maschinengewehrsalven von der nächsten Seite, dann ist man in dem Fall dann vielleicht glücklicher gewesen, wenn man irgendwie zwei Stunden später gefahren wäre oder gar nicht.

Führer: Aber ich komme noch mal zurück auf den Gazastreifen. Worauf ich zielte mit der Frage war auch so ein bisschen: Die Hamas lehnt diesen Antrag ja ab, also es scheint ja keine einheitliche Haltung unter den Palästinensern zu geben. Und so auch noch mal die Frage: Wird das eigentlich dann auch diskutiert von den Intellektuellen – ist das nicht überflüssig, sollten wir das bleiben lassen –, oder stehen die wirklich in großer Mehrheit hinter diesem Antrag, was meinen Sie?

Schumacher: Meine Einschätzung ist, dass palästinensische Intellektuelle, Künstler und Akademiker den Antrag weitgehend unterstützen. Das gilt uneingeschränkt für die Situation hier in der Westbank meiner Einschätzung nach, bei meinem Besuch jetzt im Gazastreifen hatte ich aber den Eindruck, dass trotz der offiziellen Politik der Hamas wie in vielen Bereichen eben die Zivilgesellschaft da anderer Meinung ist.

Also es hat meiner Einschätzung nach viel mit palästinensischem Selbstbewusstsein, mit einem Verständnis von Würde und Stolz zu tun, dass man eben diesen legalen Weg eines versprochenen zweiten Staates vor der UNO jetzt ausprobiert und den für sich reklamiert, unabhängig davon, wie die Chancen für dessen Verwirkung heute Abend in New York dann tatsächlich sind.

Führer: Sie sprechen immer so selbstverständlich hier von den Künstlern und Intellektuellen. Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt im Westjordanland für Kultur, mal abgesehen jetzt vom Goethe-Institut?

Schumacher: Das ist ganz unterschiedlich. Das Westjordanland ist extrem fragmentiert, und wir haben auf der einen Seite in einer Stadt wie Ramallah, also der heimlichen Hauptstadt oder faktischen Hauptstadt der palästinensischen Gebiete, nahezu ein Überangebot an Kultur, Angeboten an kulturellen Aktivitäten, seien die vom Ausland her organisiert, finanziert, aber auch eine sehr starke, lebendige und dynamische kulturelle Szene, die Palästinenser hier ohne ausländischen Einfluss oder ausländische Unterstützung auf die Beine stellen. Das Problem ist, dass sich diese Aktivitäten eben sehr, sehr konzentrieren auf die Stadt Ramallah, dass in Städten wie Nablus oder in Dschenin oder in Hebron oder in Ostjerusalem so gut wie nichts stattfindet, und dadurch, dass die Leute eben die Checkpoints nicht ohne Weiteres überqueren können oder nach Gaza und nach Jerusalem eben gar nicht kommt, dass dieses Kulturangebot nur für eine sehr begrenzte Gruppe überhaupt erreichbar ist. Das heißt, wir haben eine Konzentration, aber nicht die Möglichkeit einer Teilhabe aller Leute, sodass weite Strecken der palästinensischen Gebiete kulturell absolut unterversorgt sind.

Führer: Und warum konzentriert sich das auf Ramallah?

Schumacher: Das hat was mit der ausländischen Präsenz mit Sicherheit zu tun, das hat was mit einer Urbanisierung, einer zunehmenden, von Ramallah zu tun, mit der nahegelegenen Birzeit-University, die ein Anziehungspunkt für Intellektuelle – wie an jedem Ort wahrscheinlich – ist. Um dieses Unileben konzentriert sich ein akademischer und ein intellektueller Diskurs, hier gibt es Galerien in Ramallah, mehrere, viele, hier gibt es interessante Ausstellungen, hier gibt es Konzerte, hier gibt es Theater. In Ramallah findet das alles statt, aber es findet eben nicht statt in Nablus, und der oder die Kulturinteressierte ...

Führer: ... aus Nablus kann nicht mal eben ...

Schumacher: Nablus kann nicht kommen.

Führer: ... kann nicht kommen. Herr Schumacher, fantasieren wir mal ein bisschen herum. Also mal angenommen, der Antrag würde angenommen, also mal angenommen, Palästina wäre ein eigener Staat – was würde das dann ändern, für Sie, für Ihre Arbeit, für die Kulturarbeit überhaupt?

Schumacher: Ich glaube, das würde unsere Arbeit hier hätte grundsätzlichen Einfluss auf unsere Arbeit, und ich würde annehmen, im eher positiven Sinne. Wenn wir hier einen palästinensischen Staat auch als Ansprechpartner haben, der dann eben unter anderem auch für Themen wie Kulturfinanzierung und Kulturförderung zuständig wäre, wäre das eine ganz klare Verbesserung gegenüber der Situation jetzt, die durch einen permanenten Ausnahmezustand gekennzeichnet ist.

Führer: Weil Sie auch keine Ansprechpartner haben?

Schumacher: Wir haben Ansprechpartner, klar, aber wir haben eine zum Teil hilflose Infrastruktur – quasi-staatlich oder halb-staatlich oder nicht staatlich, wie immer man das nennen möchte – bei der Autonomiebehörde, die in den Bereichen Kultur so gut wie nicht aktiv ist oder sehr, sehr wenig und wenn, dann sehr symbolisch aktiv ist.

Und das wäre ganz klar eine Sache, die ich mit einer palästinensischen Staatlichkeit verbinden und mir davon erhoffen würde, dass im Rahmen eines Staates eben auch Themen wie Kultur und Kulturförderung und kulturelle Infrastruktur auf die Agenda gesetzt werden – bei denen wir anknüpfen und in denen wir jetzt auch aktiv sind als Goethe-Institut, das ist ganz klar unsere Arbeit, dass wir probieren, diese kulturelle Infrastruktur mit aufzubauen, mit Qualifizierungsmaßnahmen aber auch mit Veranstaltungen bei uns im Hause oder in der Stadt, mit Akteuren aus den ganzen palästinensischen Gebieten, aber ein Ansprechpartner mit gesicherteren Strukturen, als das jetzt wäre, mit einer Bewegungsfreiheit, einer garantierten Bewegungsfreiheit in einem zusammenhängenden Gebiet, das würde unsere Arbeit enorm erleichtern, auch was allein Transporte angeht von Ausstellungen: Wenn wir in Hebron was zeigen oder eine Theatergruppe nach Hebron bringen, ist das im Moment einfach wahnsinnig unklar, ob die, wenn sie um drei Uhr losfahren und sich auf die Reise die 60 Kilometer nach Hebron machen, ob die innerhalb einer Stunde oder innerhalb fünf Stunden ankommen. Also ich würde mir davon eher Verbesserungen versprechen.

Führer: Dankeschön, das war Jörg Schumacher, der Leiter des Goethe-Instituts in Ramallah. Danke für das Gespräch, Herr Schumacher!

Schumacher: Vielen Dank Ihnen!

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