"Ein Auto ist gefährlicher als ein Mann mit Bart"

Von Tobias Wenzel · 13.03.2007
Der zweite Roman des englisch-pakistanischen Autors Mohsin Hamid erzählt in der Form eines Monologs die Geschichte eines Pakistani. Er verlässt seine Heimat, studiert in den USA und wird ein erfolgreicher Unternehmensberater mit amerikanischer Freundin. Aber mit dem 11. September 2001 ändert sich alles in seinem Leben. Der Roman erscheint am 14. März auf Deutsch, zugleich im englischen Original und in vielen weiteren Sprachen.
Das Erste, was an Mohsin Hamid ins Auge sticht, ist sein kurzer schwarzer Bart, danach die warmen braunen Augen unter den breiten Augenbrauen, die Halbglatze und zuletzt das winzige weiße Haarbüschel, das sich vom anrasierten Haar über dem rechten Ohr abhebt. Es ist, als ob sich Mohsin Hamid schon darauf gefreut hätte zu beobachten, was an ihm sein Gegenüber zuerst betrachtet. Der pakistanisch-englische Schriftsteller weiß genau um die Wirkung seines Barts und des Barts im Allgemeinen:

"Man hat mit dem Bart verbunden, dass er warm hält, dass er von einer Glatze ablenkt, man hat mit ihm den Hippie verbunden, den Wikinger und den muslimischen Fundamentalisten. (Wenn jemand mit brauner Haut einen Bart trägt, wirkt der Bart unglaublich gefährlich.) Wenn ich mit einem Bart reise, werde ich besonders streng von Sicherheitsleuten kontrolliert. Und in der U-Bahn sehen mich die Leute nervös an. Aber ehrlich gesagt, wenn ich selbst in der U-Bahn jemanden sehe, der so aussieht wie ich und einen Bart trägt und in eine große Tasche greift, dann werde auch ich nervös."

"Sie brauchen keine Angst vor meinem Bart zu haben: Ich liebe Amerika." So lässt Mohsin Hamid seinen zweiten Roman "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" beginnen. 1971 wurde der Autor in Lahore in Pakistan geboren und wuchs dort auch auf. Hamid hat sein gefeiertes Debüt "Nachtschmetterlinge" ebenso in Lahore angesiedelt wie seinen neuen Roman. In einem Café der Altstadt begegnen sich ein Pakistani und ein Amerikaner:

"Der Pakistani ist sehr misstrauisch dem Amerikaner gegenüber: ‚Hat der Amerikaner gute Absichten? Ist er hier, um mich zu töten? Wer weiß?’ Und der Amerikaner misstraut dem Pakistani: ‚Hat der Pakistani gute Absichten? Ist er hier, um mich zu töten? Wer weiß?’ Dieses Klima ist für mich das Klima unserer jetzigen Welt. Wenn der Westen auf den Osten blickt und der Muslim auf Amerika, dann stellt sich jeweils die Frage: Sind die eine Bedrohung für uns oder sind die wie wir? Wir wissen es nicht."

Der Roman ist aus der Sicht des Pakistani Changez geschrieben, in Form eines Monologs. Changez erzählt seine Geschichte: wie er Pakistan verließ, in den USA an der Elite-Universität Princeton studierte und ein erfolgreicher, perfekt integrierter Unternehmensberater mit amerikanischer Freundin wurde. Aber mit dem 11. September 2001 ändert sich alles in seinem Leben.

Als Mohsin Hamid nach dem 11. September von London nach New York einreist, wird er stundenlang durchsucht und festgehalten, genauso wie seine Romanfigur. Und auch in vielen anderen Punkten gleichen sich Changez und Hamid. Aber der englisch schreibende Autor will dann doch die Grenze zwischen Leben und Literatur wahren:

"Ich habe nicht versucht, meine eigene Geschichte zu erzählen. Es stimmt, ich war in Princeton und kenne es also, ich habe für einen Unternehmensberatung gearbeitet und kenne sie, ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man zwischen Amerika und Pakistan hin- und hergerissen ist. Meine Romane handeln von Welten, die ich selbst bewohnt habe, und von Leben, die ich hätte leben können, die ich aber nicht gelebt habe. Ich wollte mir eine Geschichte ausdenken, die sich ein wenig von meiner unterscheidet, und mich fragen: Wie würde es sich wohl anfühlen, so zu leben?"

Mohsin Hamid beendete seine Arbeit bei der Unternehmensberatung McKinsey, lebte als freier Journalist in Pakistan, bis er schließlich seinen Debütroman "Nachtschmetterlinge" schrieb, die Geschichte eines Pakistani, der seinen Job verliert und auf die schiefe Bahn gerät. Changez, die Hauptfigur in Hamids neuem Roman, kann es moralisch nicht mehr vertreten, als Unternehmensberater indirekt verantwortlich für die Kündigung von Mitarbeitern zu sein. Zuvor hatte sich Changez schon einen Bart wachsen lassen und war damit unangenehm in seiner Firma aufgefallen. Der Bart als Symbol der Angst. Obwohl Mohsin Hamid selbst manchmal nervös wird beim Anblick eines Mannes mit Bart, hält er diese Panik für vollkommen irrational:

"Einen Fundamentalisten zu suchen, ist wie eine Nadel im Heuhafen zu suchen. Wenn wir nicht andauernd in die Luft gejagt werden, dann liegt das nicht daran, dass die Sicherheitsleute und George Bush so gut sind, sondern dass die Anzahl der Mörder so gering ist. 42.000 US-Bürger sterben jährlich bei Autounfällen. Und 3000 sind im letzten halben Jahrhundert bei Anschlägen ums Leben gekommen. Wenn wir ein Auto sehen, schreien wir ja auch nicht und sagen: ‚O mein Gott, es wird mich töten!’ Aber es ist wahrscheinlicher, dass es mich töten wird als der Mann mit dem Bart."

Im Roman gibt es nur eine Person, die den Bart der Hauptfigur mag. Changez’ Freundin Erika. Mohsin Hamid grinst, als er darauf angesprochen wird. Denn ihm ist dazu eine Geschichte eingefallen:

" "Ich hatte um 2001 herum eine italienische Freundin. Sie sagte mir einmal: ‚Osama Bin Laden sieht aus wie Jesus Christus!’ Ich war schockiert. Aber sie sagte: ‘Der Bart verleiht Osama etwas tief Bewegendes.’ Ich will jetzt nicht Osama mit Jesus vergleichen, aber der Bart steht auch für Charisma und für Spiritualität. Nicht umsonst tragen ihn viele Rockstars und politische Führer wie Fidel Castro. Ja, ein Bart kann attraktiv und sogar sexy sein!” "

Als er das sagt, hebt Mohsin Hamid grinsend das Kinn, damit sein Bart besser zu sehen ist. Geradeso, als wollte er sagen: "Ist doch faszinierend, dass so ein Bart zugleich sexy und gefährlich wirkt!"


Service:

Mohsin Hamid liest aus seinem Roman "Der Fundamentalist, der keiner sein wollte" (aus dem Englischen von Eike Schönfeld, erschienen bei Hoffmann und Campe) am 13. März 2007 auf der lit.COLOGNE und am 14. März um 20 Uhr in Bad Homburg im Gotischen Haus.

Der Fundamentalist der keiner sein wollte
Mohsin Hamid (Autor)


Lesung mit Mohsin Hamid

13.03.07 18:30 Uhr ( Eine Veranstaltung der lit.COLOGNE, Köln, Arkadas Theater )
14.03.07 20:00 Uhr ( Gotisches Haus, Bad Homburg )