Ein Apfel für Aphrodite

06.09.2012
Michael Findlay, Kunsthändler und langjähriger Mitarbeiter des Auktionshauses Christie's in New York, unterscheidet drei Beweggründe für das Sammeln von Kunst: die Hoffnung auf eine rentable Kapitalanlage, die Steigerung des gesellschaftlichen Status und die Freude am Betrachten von Kunstwerken.
In seinem jüngst auf Deutsch erschienenen Erfahrungsbericht "Vom Wert der Kunst. Ein Insider erzählt" resümiert Michael Findlay die Entwicklung des Kunstmarktes und die Veränderungen des Käuferverhaltens seit den 1960er-Jahren. Es ist der mit zahlreichen Anekdoten gespickte Versuch, den Wert der Kunst nachvollziehbar zu machen. Das Scheitern dieses Anliegens ist nicht dem Buch zu Last zu legen; es ist eher Zeichen seines Gelingens.

Zwar geht es dem Insider nicht um die Bemessung des ideellen, sondern des materiellen Wertes von Kunst, doch auch dieser stellt sich im Verlauf der 200 Buchseiten als wenig handfest heraus. Findlay, Auktionsspezialist für impressionistische und moderne Kunst, konzentriert sich auf den sogenannten zweiten Markt, also auf die Verkäufe von Kunstwerken nicht durch den Künstler oder dessen Galerie, sondern durch Erst-, Zweit-, und Drittbesitzer, beziehungsweise die beauftragten Auktionshäuser.

Für die Struktur seines eingängigen Buches bedient sich Findlay der drei Grazien der griechischen Mythologie: Thalia, Euphrosyne und Aglaia. Alle drei sind Göttinnen der Anmut, doch steht Thalia darüber hinaus für Üppigkeit und Wachstum, Euphrosyne für Freude und Geselligkeit und Aglaia für Schönheit. Mit diesen Funktionen dienen sie als Stellvertreterinnen für jene drei Motivationen, die Menschen zum Kauf von Kunst bewegen: Reichtum und dessen Erweiterung, die Freude an gesellschaftlichem Ansehen und der Genuss von Schönem. Der Erfolg von Sammlern wird gemeinhin anhand des ersten Kriteriums gemessen, also daran, ob qualitativ hochwertige Werke günstig erworben werden und anschließend im Wert steigen.

Doch sind für Findlay die Begeisterung für ein Kunstwerk und der Genuss seiner Betrachtung der eigentlich entscheidende Erwerbsgrund. Sein wenig überraschendes Votum für diese "wahre", von kommerziellen Überlegungen zunächst freie Motivation, lässt ihn sein Buch nicht an ein Fachpublikum richten, sondern an Amateure, die er als Liebhaber, nicht Laien verstanden wissen möchte. Allerdings ist gerade jenes Kapitel, das dem "eigentlichen Wert von Kunst" gewidmete ist, nicht nur das kürzeste, sondern auch inhaltlich wenig ergiebig. So driftet der informative Erfahrungsbericht zuweilen in einfache Geschmacksurteile und persönliche Vorlieben ab, die hier und da einen gewissen Konservatismus durchscheinen lassen.

Die Stärke des Autors liegt fraglos im Erfahrungsschatz eines begeisterten und versierten Kunstmarkt-Profis, der dessen Gesetzmäßigkeiten – und Ungesetzmäßigkeiten – in zahlreichen Beispielen darlegt. Kurzweilig gibt er Einblick in die vielen Facetten dessen, wovon wir in der Regel nur in Form von Schlagzeilen Kenntnis nehmen, wenn wieder einmal überraschend eine Rekordsumme erzielt wurde. Er verdeutlicht Hintergründe für Preisentwicklungen, zeigt die Problematik von Kunstfonds, die Unmöglichkeit von Kunstindizes, die Schwierigkeit von Marktprognosen und die Unwägbarkeiten, die es selbst erfahrenen Auktionatoren unmöglich machen, den Erfolg von Käufen und deren richtigen Zeitpunkt verlässlich abzusehen.

Es mag auch dieser Einsicht geschuldet sein, dass Findlay mit der Empfehlung schließt, sich im Sammeln von Kunst dem Urteil des Paris anzuschließen und Aphrodite den goldenen Apfel zuzusprechen. Also: Man möge sich von Liebe und Leidenschaft leiten lassen und nicht von Macht oder Weisheit, jenen Gütern, die Hera und Athene dem Juror in Aussicht stellten.

Besprochen von Dorothée Brill

Michael Findlay: Vom Wert der Kunst. Ein Insider erzählt
Aus dem Englischen von Mechthild Barth
Prestel Verlag, München 2012
208 Seiten, broschiert, 19,95 Euro
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