Ein amerikanischer Albtraum

Von Heike Wipperfürth · 02.06.2010
Droh- und Schmähbriefe von Anhängern rechtsextremer Gruppen, die einen farbigen Präsidenten an der Spitze der USA nicht akzeptieren können, sind keine Seltenheit, ebenso wenig Angriffe rechtsextremer Gruppen auf Homosexuelle, Farbige, religiöse Minderheiten und Einwanderer. Nicht nur im Süden der USA haben rechte Gruppierungen Zulauf.
In ihrer gemäßigten Variante drücken sie ihren Protest auf Versammlungen der sogenannten Teapartys aus. Der harte Kern der Rechtsextremen demonstriert inzwischen auch in amerikanischen Großstädten wie Washington und New York, vor Synagogen in Brooklyn, Manhattan und New Jersey. Dort formiert sich aber auch eine Gegenbewegung.

Eine Konferenz der American Free Press, eine rechte Szene Zeitung in Washington. "First Amendment Festival” heißt der Titel der Konferenz. Eine Anspielung auf den ersten Zusatz der US Verfassung, der die Rede und Meinungsfreiheit beschützt – und damit auch die Holocaustleugnung.

Der Hauptredner: Der vor einem Jahr wegen möglicher Holocaustleugnung aus Tschechien ausgewiesene US-Politiker und Ex-Ku-Klux-Klan-Leiter David Duke.

Mark Profiter: "Ich bin zu dieser Konferenz gekommen, weil neue Anti-Hassgesetze verabschiedet wurden. Für mich ist das eine Warnung, dass Amerika die gleichen Anti-Hassgesetze wie Europa haben wird, die Leute wie Ernst Zuendel und andere Revisionisten hinter Gitter bringen, wenn sie über den Holocaust und solche Dinge diskutieren wollen. Ich werde noch mehr Treffen dieser Art besuchen. Ich lasse es nicht zu, dass sie meine Freiheit einschränken und mir nicht erlauben, mich so auszudrücken, wie ich es will."

Seit ein schwarzer Präsident im Weißen Haus sitzt, wächst der Hass der Rechtsradikalen gegen Minoritäten - und ihr Widerstand gegen den Staat.

Seit Obamas Amtsantritt hat sich die Zahl der privaten Gruppierungen gegen illegale Einwanderung laut Southern Poverty Law Center, eine Menschenrechtsgruppe in Alabama, um 80 Prozent erhöht. Die Anzahl der regierungsfeindlichen Milizen kletterte sogar von 149 auf 512 nach oben - das ist mehr als drei Mal so viel wie im vorigen Jahr.

Erst kürzlich wurde in den US Bundesstaaten Michigan, Ohio und Indiana eine Verschwörung militanter Christen aufgedeckt: Um Anschläge auf die Polizei zu verhindern, haben US- Ermittlungsbehörden neun Mitglieder einer paramilitärischen Gruppe festgenommen. Eine Gewaltbereitschaft, die Mark Potok, Mitarbeiter des Southern Poverty Law Centers, an den 19. April 1995 erinnert. Damals starben 168 Menschen in Oklahoma City durch das Attentat des Neonazis Timothy Mc Veigh.

Mark Potok: "Ich glaube nicht, dass es zu einem neuen Attentat wie in Oklahoma City kommt, aber was jetzt passiert, erinnert viele Polizeibeamte an die Zeit kurz vor dem Anschlag. Einige sagen, jemand braucht nur ein Streichholz anzuzünden - und alles geht hoch."

Holocaustleugnung und Rassismus sind eine Bagatellisierung unerträglichen menschlichen Leidens, sagt Leonard Zeskind. Der Amerikaner leitet das Institute for Research and Human Rights, eine Menschenrechtsorganisation in Kansas City. Der breitschultrige Mann mit der rauen Stimme steht an diesem Donnerstag Abend in einer Buchhandlung in Washington – und stellt sein Lebenswerk vor: ein 700 Seiten langes Buch über die blutige Geschichte der White Supremacists in Amerika.

Die Zuhörer sind vorwiegend Bürgerrechtler, Intellektuelle und Aktivisten aller Hautfarben, allerdings haben sich auf seiner Lesereise auch schon Neonazis unter das Publikum gemischt. Akribisch recherchiert erzählt das Buch von den vielen rechtsextremistischen Gruppen und ihren Anführern in den USA. Ihre Sympathisanten seien in der Mitte der US Gesellschaft zu finden, warnt Zeskind.

Leonard Zeskind: "Ich behaupte in meinem Buch, dass die weiße nationale Bewegung wie ein demografischer Teil Amerikas aussieht. Es sind Mitglieder der Unterschicht und der Mittelklasse, es sind Verkäufer und Universitätsprofessoren, Ärzte und Rechtsanwälte. Sie sind ein Abbild des weißen Amerikas. Es sind nicht nur die Armen oder Leute, die keine College Ausbildung haben."

Nur etwa 30.000 Amerikaner gehören zum harten Kern der Rechtsextremen. Die Zahl der Sympathisanten wird allerdings auf 250.000 geschätzt. Einige ihrer Thesen finden breiten Anklang.

Leonard Zeskind: "Der Einfluss der Rassisten ist größer als ihre Mitgliedschaft glauben lässt. Das gilt vor allem im Mittleren Westen – dort, wo ich wohne. Bekämpft man sie nicht, können sie Rassentrennung in den Schulen propagieren, Einwanderer belästigen und Wahlen, Protestaktionen und Waffenverkäufe beeinflussen."

Dazu nutzen sie auch das Internet. Gab es 1995 gerade mal 155 rechtsextreme Seiten in Amerika, sind es heute über 10.000. Selbst die örtlichen Untergruppierungen des Ku Klux Klan, jener vor über 130 Jahren in den Südstaaten gegründete rassistische Geheimbund, dessen Anhänger einst Schwarze an Bäumen aufhängten und Bürgerrechtler umbrachten, haben eigene Internetseiten. Zum Beispiel die Imperial Klans of America aus Kentucky.

Während forsche Marschmusik spielt, zeigt ihre Internetseite in weiße Gewänder mit spitzen Kapuzen vermummte Gestalten, die vor einem großen, brennenden Kreuz stehen - das Symbol des Rassistenbundes. Noch extremer: die Videos auf der Internetseite der gerade festgenommen paramilitärischen Gruppe: Während harte Rockmusik brüllt, robben Männer der Hutaree – so nennt sie sich - in Tarnanzügen durch Büsche und schießen wild um sich herum.

So locken sie gezielt neue Mitglieder an. Auch Drohungen gegen die US Regierung und Verschwörungstheorien gehören zum guten Ton. Das Gerücht, dass Amerika keine Demokratie und Barack Obama kein Amerikaner sei, wird überall im rechtsextremen Internet verbreitet.

Leonard Zeskind: "Sie glauben, Barack Obama sei kein richtiger Amerikaner. Es sind Leute, die glauben, dass außerirdische Wesen unser Land erobert haben - und sie wollen es zurück haben. So heißt auch ihr Motto. Und sie glauben, dass Obama trotz aller Beweise kein richtiger Amerikaner ist. Sie glauben, er sei ein muslimischer
Terrorist."

Damit nicht genug. Auch auf den rechtspopulistischen Tea-Party Demonstrationen, die seit April letzten Jahres von enttäuschten US Wählern in ganz Amerika veranstaltet werden, wächst die Radikalität. Mark Potok vom Southern Poverty Law Center:

"Die Tea Party ist keine Bewegung der extremen Rechten. Aber es gibt viele radikale Ideen, Verschwörungstheorien und in vielen Fällen kommt es zu Rassismus.”"

Eine Tea Party Protestkundgebung am Columbus Circle, ein Hauptverkehrskreis in New York, nur eine Gehminute vom Central Park entfernt. Trotzig schwenken etwa ein Dutzend weißer Demonstranten Schilder und rufen Anti-Gesundheitsreformparolen. Es sind vorwiegend Leute aus den Vororten, die sich an diesem kalten Samstagmorgen versammelt haben, um ihrem Unmut über die Obama Regierung Ausdruck zu verleihen. New York ist eine der liberalsten Städte Amerikas und ihre Einwohner sind nicht beeindruckt – auch wenn die Demonstranten große Worte benutzen.

Neil Shelgaard, graues Haar, patriotische Krawatte in den Farben der US Fahne, gebürtiger Norweger hält von der Regierung seiner Wahlheimat nicht viel - und wagt einen historischen Vergleich.

Neil Shelgaard: ""Unser Land wurde von linken Extremisten übernommen. Es sind Marxisten, die keinen Respekt für die Bürger dieses Landes zeigen. Alles wird verändert. Sie wollen einen Putsch, einen Staatsstreich."

Und es gibt noch etwas ganz anderes, das Shelgaard und seine Truppe verteidigen: das Recht jedes Amerikaners auf eine Waffe.

Julia: "Wir sind gegen strengere Waffengesetze. Ohne Waffen können wir uns nicht gegen Eindringlinge in unser Haus verteidigen. Wenn wir keine Waffen haben, kann man doch mit uns machen, was man will."

Waffen sind in Amerika ein sensibler Punkt. Aus Angst vor strengeren Waffengesetzen hat ein Mann voriges Jahr drei Polizisten erschossen. Ein weiterer Anlass für Janet Napolitano, der Leiterin des US-Heimatschutzministeriums, sich um die Sicherheit des Landes zu sorgen.

Für sie sei die rechtsextremer die größte Terrorismusgefahr innerhalb Amerikas, schreibt sie in einem Bericht. Vor allem, weil rechtsradikale Gruppen versuchen, eigene Soldaten anzuheuern.
Aussagen, Host Michael Savage von der Radio Talk Show nutzt, um sich als Verfechter der Meinungsfreiheit und Demokratie zu stilisieren, weil die Regierung unschuldige Bürger wie Terroristen behandele.

Michael Savage: "Meine Damen und Herren, passen sie gut auf, was ich Ihnen jetzt sage. Ihre Freiheit ist in Gefahr. Wir haben heute erfahren, dass Big Sister Janet Napolitano, die Leiterin des sogenannten Heimatschutzministeriums, Gruppen überwacht, die sie als sogenannte Rechtsextremisten in Amerika bezeichnet.

Das sind Sie, wenn Sie gegen Abtreibung sind. Oder gegen illegale Einwanderer. Oder gegen die Heirat Homosexueller. Oder wenn Sie ein Soldat im Ruhestand sind, der weiß, wie man mit Waffen umgeht. Das ist kein Jux, was ich hier sage."

Robert Hoy ist vielbeschäftigt. Unter anderem arbeitet er für eine Gruppe in Maryland, die Schwarze nach Afrika zurückschicken will – und organisiert Tea Parties. Sein Motto? Fremdenangst schüren – und Wut auf Neueinwanderer entfachen.

Robert Hoy: "Die Tea Party Demonstrationen könnten sich zu einer Bewegung entwickeln, in der länger im Land lebende Amerikaner gegen den Zustrom Fremder kämpfen."

Gut sei, sagt Hoy, dass die Bewegung keinen Anführer habe - um Kritiker in die Irre zu führen und ihnen die Munition zu stehlen.

Robert Hoy: "Die Tea Party Bewegung ist deswegen so stark. Es gibt keinen, den seine Vergangenheit einholen kann. Gewöhnlich schnüffelt man in der Vergangenheit rum und sagt, jemand sei ein Nazi oder ein Rassist - aber bei einer Million Menschen geht das nicht."

Im Buchladen hockt der Rechtsextremismusexperte Leonard Zeskind am Tag nach seiner Lesung müde auf einem Stuhl, während Menschen vieler Hautfarben an kleinen Tischen sitzen, essen und plaudern. Es ist das Zusammentreffen all dieser ethnischen Gruppen und Mischungen, aus denen Amerika seine Energie gewinnt - und für dieses bunte Miteinander kämpft Zeskind.

Leonard Zeskind: "Ich glaube nicht, dass wir strengere Gesetze brauchen. Es ist unsere Pflicht als Bürger, etwas zu tun. Die Leute müssen sich wehren und sich in ihren Gemeinden zusammentun, um zu kämpfen."

"Wohin wir in den nächsten Jahren steuern, hängt nicht nur von den Rassisten ab, sondern auch von dem, was wir gegen sie unternehmen. Wenn Anti-Rassisten diese Bewegung energisch bekämpfen, dann sieht die Zukunft anders aus, als wenn wir sie einfach zur Türe hereinlassen. Wir müssen demonstrieren und öffentliche Erklärungen abgeben - das gilt auch für die Leiter dieses Landes. Aber genug Widerstand gegen weisse Nationalisten gibt es noch nicht. Noch nicht."