Ein Altersheim für Kühe

Von Katja Bigalke · 30.09.2013
Es sind Kühe, Schweine und Hühner aus der konventionellen Landwirtschaft, die auf dem Hof Butenland in Niedersachsen ein Zuhause gefunden haben. Der Hof ist wie ein Altersheim, hierher kommen die Tiere, die zu ausgelaugt sind, um noch nützlich zu sein. Und die meisten von ihnen haben Schlimmes hinter sich.
"Na ihr beiden Hungrigen!"

Jan Gerdes öffnet den Holzverschlag, stellt den beiden Schweinen hinter der Tür Näpfe mit Futter hin.

"Da ist nen Apfel drin, ein Ei, ne Tomate, Salat Schwarzbrot, so ihr beiden hier!"

Heißhungrig machen sich Else und Erna - so heißen die Schweine - über ihr Futter her. Schubsen sich gegenseitig von den Näpfen weg, stibitzen dem jeweils anderen Salat und Obst aus dem Trog. Jan Gerdes, ein 58-jähriger Mann in Jeans und Hemd, lacht.

"Die sind natürlich futterneidisch. Wer nicht schnell genug ist, der wird von seinem Futternapf vertrieben."

Else und Erna haben sich gut eingelebt auf Hof Butenland. Die beiden, aus einem Tierversuchslabor stammenden Schweine, kamen 2010 hier her.

"Die waren damals total nervös und schreckhaft", sagt Gerdes. "Die mussten sich auch erst mal an Tageslicht gewöhnen - das kannten die gar nicht."

Schweine, Hühner, Kaninchen. Erster Teil des Fütter-Frühprogramms geschafft. Gerdes gönnt sich einen Kaffee auf dem Hof vor der klinkerverputzen Scheune. Seine Partnerin Karin Mück gesellt sich dazu, nippt an ihrer Tasse. Immer wieder rennt ein Huhn an den beiden vorbei, dicht gefolgt von einem etwas unbeholfenen Küken. In der Ferne grasen Kühe auf der Wiese. Bauernhofidylle? Genau das ist Hof Butenland nicht.

"Das war ein richtiger Milchkuhbetrieb: Es ging um Milch und Zucht. Es waren 35 Kühe, wie ich anfing. Als Biobauer hat man das Bestreben, den Tieren ein schönes Leben zu präsentieren. Es sollte immer besser werden. Ich habe dann rumexperimentiert und bin dann nach 20 Jahren zu dem Schluss gekommen, artgerechte Tierhaltung, das geht gar nicht."

Der Hof Butenland ist kein Milchkuhbetrieb mehr. Es ist ein über Spenden finanziertes Kuh-Altersheim, in dem neben 34 Rindern auch ein paar andere ausrangierte Nutztiere in Ruhe ihren Lebensabend verbringen. Keines der Tiere hier muss noch irgendetwas leisten für die Menschen, erklärt Jan Gerdes. Er, der selbst auf dem Hof und in der konventionellen Landwirtschaft groß geworden ist, wollte das irgendwann nicht mehr.

"Irgendwann bestimmt man, dass die Leistung der Tiere nicht mehr reicht, es geht da um Geld und was schwierig war, war immer die Kälber von den Müttern zu trennen, in der Regel nach der Geburt. Dann hab ich gedacht, ist fürs Kalb besser, wenn es erstmals bei der Mutter bleibt. Ist dann noch viel schwieriger, wenn die sich mal kennengelernt haben, dann kommunizieren die auch kilometerweit und dann macht man sich noch mehr Gedanken und dann hab ich gedacht ich werde lieber Veganer, als das so weiter zu betreiben."

Gerdes wollte den Hof schließen, alle Tiere verkaufen. Aber als der Viehtransporter kam, passten 12 Kühe nicht hinein. Sie blieben zurück, eigentlich nur für drei weitere Monate - so war es geplant. Aber dann blieben sie für immer.

"Das war ganz traurig, als der fuhr. Wir wussten gar nicht was wir sagen sollten und dann haben wir beschlossen: 'Ihr macht den Weg nicht, das war dann der Anfang von unserem Lebenshof.'"

Zeit für die Visite bei den Kühen.

"Wir müssen die schon kontrollieren, weil die sind sehr gebrechlich, da müssen wir schon 2x täglich gucken. Jenny, die hat massive Knieprobleme und wenn man von hinten guckt sieht man das: ein ganz schiefes Becken."

Die meisten Tiere auf der Wiese sind ehemalige Milchkühe, gar nicht mal so alt. Zwischen 7 und 15 Jahren. Aber Dauerschwangerschaft und Extrem-Milchleistung machen schnell kaputt. Mit sechs Jahren sind die meisten von ihnen reif fürs Altersheim, erklärt die ehemalige Krankenpflegerin und Tierrechtlerin Karin Mück.

"Da entsteht oft die Frage: wie alt wird denn eine Kuh? Eine Kuh kann dreißig Jahre alt werden."

Mück krault ein Rind am Hals. "Nicht alle lassen sich das gefallen", murmelt sie. "Viele haben ein gestörtes Verhältnis zu Menschen." Zum Beispiel Manuela, die Versuchskuh, bei der an der Uni jahrelang ein neues Kraftfutter getestet wurde. Sie hatte ein Loch im Bauch mit Schraubverschluss. Wie ein Waschmaschinenbullauge, beschreibt Mück, "damit man den Verdauungsprozess beobachten konnte."

"Das war schwierig einen Tierarzt zu finden, der das wieder schließt."

Auch die vor kurzem verstorbene Kuh Gisela hatte es nicht gerade leicht mit den Menschen.

Das war eine Kuh, die 14 Kälber hatte, keines ihrer Kälber erleben durfte. Die hatte ganz steife Hinterbeine, war auf einem Auge blind und hatte den Schwanz gebrochen und dann haben wir gedacht: Jetzt geben wir ihr noch mal eine Chance, aber es gab immer wieder Einbrüche. Bis dann eine Kuh vom einem Nachbarhof ausbrach, vor zwei Jahren, die wir behalten haben, weil sie hochträchtig war. Die haben wir mit Gisela zusammengeführt und Gisela, diese Kuh, die blühte auf einmal auf. Der Kopf ging hoch, sie hat alle Kräfte zusammengenommen und hat sich ein Jahr um das Kälbchen gekümmert. Gisela war für mich das Leid der ganzen Milchindustrie."

Nichts Auffälliges heute bei der Herde. Gerdes und Mück machen sich auf Weg zurück zum Hof, streifen Weiden und benachbarte Pferdekoppeln. Geht es nach Ihnen, wird das Land in Zukunft anders aussehen. Ein Land ohne Zäune und eingesperrte Tiere.
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