Ehrgeiziges Hieronymus-Bosch-Projekt

Von Kerstin Schweighöfer · 21.11.2010
Im Museum für Schöne Künste in Gent startet zum 500. Todestag von Hieronymus Bosch ein spannendes Forschungsprojekt. Das Werk des geheimnisvollen Künstlers soll mit modernster Technik analysiert und dokumentiert werden. Dabei könnte es auch zu Überraschungen kommen.
Die Jakobskirche im Stadtzentrum von Herzogenbosch. Riesengroße Fantasiefiguren aus den Gemälden von Hieronymus Bosch hängen an der Decke und scheinen im Kirchenschiff zu schweben. Zum Beispiel der Fliegende Fisch mit den beiden Hexen aus der "Versuchung des Heiligen Antonius", erklärt Willeke Cornelissen. "Oder ein anderer Fisch, auf dem ein Soldat sitzt. Der stammt aus dem Garten der Lüste."

Die 31-jährige Kunsthistorikerin leitet das Hieronymus Bosch Art Center - ein Besucher- und auch ein Forschungszentrum für Bosch-Experten in aller Welt. In der Jakobskirche befindet sich die weltweit größte Bosch-Bibliothek, hier finden regelmäßig internationale Bosch-Kongresse statt – und hier trafen sich auch bereits die Teilnehmer des neuen ehrgeizigen Hieronymus Bosch-Forschungs- und Konservierungsprojekts. Denn auch wenn seine Gemälde seit Jahrhunderten Menschen in aller Welt faszinieren – über den Künstler selbst, sein Leben und seine Arbeitsweise ist kaum etwas bekannt, so Willeke Cornelissen:

"Wir wissen nur, dass er um 1450 in Herzogenbosch geboren wurde und 1516 hier auch starb. Er bewegte sich in den besten Kreisen und bekam dadurch viele Aufträge. Er war wohlhabend, kinderlos und mit einer reichen Frau verheiratet. Er konnte sich ein Haus mit Atelier am Marktplatz leisten. Dort hat er sein Leben lang gewohnt und gearbeitet."

Für das Forschungsprojekt haben alle Museen, die eines der rund 45 Werke des Malers besitzen, ihre Kräfte gebündelt - darunter das Metropolitan in New York, der Prado in Madrid, der Louvre oder auch das Städel in Frankfurt. Ein fünfköpfiges Expertenteam aus Kunsthistorikern, Fotografen und Restauratoren reist in ihrem Auftrag in den nächsten beiden Jahren in zehn Ländern von Museum zu Museum, um ein Werk nach dem anderen zu fotografieren und zu analysieren – immer nach der gleichen Methode und mit modernsten Techniken, erklärt der Leiter und Koordinator des Forscherteams Matthijs Ilsink:

"Unterzeichungen zum Beispiel wollen wir nicht nur mit Infrarotaufnahmen entdecken, sondern auch mit Infrarot-Reflektografie, die stößt noch tiefer durch die Farblagen. Und mit Hilfe der Makrofotografie können wir Aufnahmen mit extrem hoher Auflösung bis ins kleinste Detail machen."

Auf diese Weise wollen die Forscher die Restaurationsgeschichte der Gemälde rekonstruieren, um nachzuprüfen, welche Farblagen noch Original sind und was später aufgetragen wurde. Auch möchten sie herausfinden, was Bosch selbst gemalt hat, was seine Assistenten, und ob er immer die gleichen Mitarbeiter in seinem Atelier hatte:

"Bislang wissen wir überhaupt nichts über seinen Arbeitsplatz, wir wissen lediglich, dass er aus einer Malerfamilie stammt und dass sein Vater und auch seine Brüder Maler waren. Wer weiß, vielleicht können wir in ein paar Jahren sagen: 'Das ist ist die Hand des Vaters, das ist die vom Bruder – und die hier ist von Bosch selbst.' Undenkbar ist das nicht, denn so wurde damals gearbeitet."

In Herzogenbosch selbst hängt kein einziges Werk des Künstlers. Das Hieronymus Bosch Art Center hat deshalb von sämtlichen Arbeiten hochwertige Kopien anfertigen lassen. Sie hängen im Turm der Jakobskirche – aufgeteilt in die Kategorien Himmel, Heilige, Menschen und Hölle:

"Wir stehen jetzt vor der Kopie der 'Kreuztragung' aus Gent, damit beginnt unser Projekt. Das Original werden wir am Montag dort als Erstes untersuchen. Als Zweites folgt der Heilige Hieronymus, der ebenfalls in Gent hängt. Stilistisch gibt es zwischen diesen beiden Werken große Unterschiede, also, das ist ein guter Ausgangspunkt."

Der Heilige Hieronymus liegt - wie für Bosch üblich - als kleine Figur in einer weiten Landschaft; die "Kreuztragung" hingegen zeigt lediglich Köpfe wie in Nahaufnahme: grotesk verzogene Gesichter und Fratzen, die sich rund um den leidenden Christus drängen. Auch die Farben weichen ab:

"Das Blau und das Rot und auch dieses Gelb hier, die sind für Bosch eher ungewöhnlich, deshalb gab es bei diesem Werk in der Vergangenheit auch Zweifel über seine Zuschreibung."

Matthijs Ilsink hält es nicht für ausgeschlossen, dass das Forschungsprojekt auch zu Abschreibungen führt. Rechtzeitig zum 500. Todestag des Künstlers soll es abgeschlossen sein. Eines jedenfalls steht für ihn jetzt schon jetzt fest: Das letzte Wort über Hieronymus Bosch werden auch seine Forscher nicht sprechen.