Ehrenrettung für Samuel Huntington

Stefan Weidner im Gespräch mit Herbert A. Gornik · 29.11.2008
Der Islamwissenschaftler Stefan Weidner findet an einem "Kampf der Kulturen" nichts Anstößiges: "Ein Kampf hat ja auch etwas von einem Wettstreit der Ideen. Das ist für mich der Kulturkampf. Und als solcher ist er produktiv und kann uns weiterbringen, weil wir eben unsere Vorstellungen vom besseren Leben mit dem der anderen messen und daran abgleichen". Der Islam sei das einzig konkrete Gegenbild, mit dem wir uns messen könnten und so uns selbst spiegeln.
Herbert A. Gornik: Stefan Weidner ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur in der Sendung "Religionen". Samuel Huntington sprach vom "Clash Of Civilizations", vom Zusammenprall der Kulturen oder auch vom Kampf der Kulturen. Dafür hat er viel Widerspruch bekommen, als rede er den Zusammenstoß erst herbei. Mit dem Schlagwort vom Kampf der Kulturen wurden, so schreiben Ilja Trojanow, genau der, "der Weltensammler", und Ranjit Hoskoté, mit dem Kampf der Kulturen werden neue Feindbilder geschaffen und Konflikte geschürt.

Jetzt kommt Stefan Weidner mit gewissermaßen einer Ehrenrettung Huntingtons daher. Weidner ist der Chefredakteur einer auf Arabisch, Persisch und Englisch erscheinenden Kulturzeitschrift des Goetheinstitutes in Köln und sagt, Kampf stimmt, trifft die Sache genau. Stefan Weidner, sind Sie ein Scharfmacher im Streit der Meinungen?

Stefan Weidner: Nein, überhaupt nicht. Ich glaube, ich bin nur ein Realist. Es würde mir schwerfallen zu behaupten, dass es den Kampf der Kulturen nicht gebe und die Leute, die sagen, Huntington ist böse oder es gebe diesen Kampf nicht, die betreiben ein bisschen Verleugnen der Realität. Mir geht es darum zu sehen, wir leben in einem Kulturkampf, das erleben wir täglich in den Zeitungen, das erleben wir auf den militärischen Schauplätzen.

Ich denke, es geht darum, wie wir diesen Kulturkampf verstehen. Denn es muss ja nicht per se negativ sein. Der Kulturkampf muss ja nicht nur blutig, muss ja nicht nur konfrontativ sein. Ich glaube, ein Kampf hat ja auch etwas von einem Wettkampf, einer Vermischung, einem Wettstreit der Ideen für mich. Das ist für mich der Kulturkampf. Er muss kein blutiger Kampf sein. Und als solcher ist er produktiv und kann uns weiterbringen, weil wir eben unsere Vorstellungen vom besseren Leben mit dem der anderen messen und daran abgleichen.

Gornik: Jetzt benutzen Sie aber einen Begriff, Kulturkampf, der im deutschen Sprachgebrauch ja durch das 19. Jahrhundert geprägt ist. Da ging es um die Bevormundung der Politik durch die Religion zu unterbinden. Meinen Sie das?

Weidner: Es ist ein Aspekt daran. Denn auch heute dreht sich der Kulturkampf ja letztlich um religiöse Fragen, eine Auseinandersetzung mit dem Islam primär, eine Auseinandersetzung zwischen dem Islam und unserem doch immer noch christlich geprägten Abendland, in Amerika, aber auch in Europa.

Gornik: Nun gibt es doch ganz interessante, neue Eliten. Sie haben das Beispiel Türkei vielleicht gerade vor Augen. Das sind neue Eliten, da wollen die Frauen plötzlich studieren, aber Kopftuch an der Universität tragen. Die neuen Eliten kommen aus Anatolien, aber sie stehen gleichzeitig für gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen. Ist das nicht ein etwas schillerndes Bild des Islam? Welchen Islam meinen Sie, wenn Sie von den Schwierigkeiten reden und sagen, ja, schön wäre es mit liberal und Toleranz und Duldung?

Weidner: Ja, der Untertitel meines Buches lautet ja "Warum der Islam eine Herausforderung ist". Und der Witz ist nun, wenn wir uns die Auseinandersetzung oder die Geschichte der abendländischen Begegnung mit dem Orient, mit dem Islam anschauen, dann stellen wir fest, dass der Islam, wenn wir von dem Islam als solchem reden, zu sehr großen Teilen ein Produkt westlicher Ideenschmiede ist.

Mohammed selbst, der Prophet, hatte im Grunde keine Vorstellungen von dem, was Islam war. Das war einfach die richtige Religion. Das war das, was ist. Und der Islam ist ja in seinen historischen Manifestationen über 1400 Jahre und in seiner geografischen Breite von Marokko bis Indonesien so vielförmig, dass wir ihn im Grunde nicht auf ein Schlagwort reduzieren können. Und das ist etwas, was wir begreifen müssen.

Das heißt, der Islam ist nicht zuletzt deswegen eine Herausforderung, weil wir ihn gar nicht integral begreifen können, weil es nicht das einzelne Wesen des Islams gibt. Obwohl die Fundamentalisten im Islam und auch die Scharfmacher bei uns behaupten, es gebe einen islamischen Kern, den Wesenskern. Aber das ist eine Ideologie. Das ist ein monistisches Weltbild. Man hat eine Idee von einem Islam. Es gibt daneben nichts anderes. Das ist ein Produkt von Fundamentalisten im Islam, aber natürlich auch von Leuten bei uns, die den Islam handhabbar und damit auch beherrschbar machen wollen.

Gornik: Wenn Sie, so klang es zumindest ein bisschen, parallelisieren, die Fundamentalisten im Islam und die Fundamentalisten bei uns, gibt es doch einen ziemlich großen Unterschied, wenn Sie an die Selbstmordattentäter denken, also Märtyrer denken. Wer Bomben wirft und andere und sich selbst tötet und sich dann als Märtyrer bezeichnet, der hatte und hätte im Christentum nur Verachtung geerntet. Denn das Opfer um Gottes Willen war im Christentum immer von außen aufgezwungen. Aber man durfte nicht andere Menschen mit in den Tod reißen. Also Märtyrer wird man durch den aggressiven Akt der anderen, nicht durch die eigene Tat. Ist da nicht ein riesiger Unterschied?

Weidner: Ja, die Fundamentalisten auf unserer Seite sind ja keine Märtyrer, verstehen sich auch nicht als Märtyrer. Der Fundamentalismus auf unserer Seite, der Märtyrerbegriff im Islam wird böse missbraucht. Da gibt es überhaupt nichts dran abzumildern.

Gornik: Leider von Bombenwerfern?

Weidner: Von Bombenwerfern, genau. Allerdings, muss man natürlich auch sagen, dass der Begriff soweit gefasst ist, dass darunter jeder Widerstandskämpfer, der meinetwegen in Palästina fällt aus einer israelischen Kugel oder ein steinwerfender Junge gilt als Märtyrer. Das müssen Sie verstehen. Der Begriff ist viel weiter als nur der Selbstmordattentäter. Der Fundamentalismus bei uns äußert sich natürlich auch militärisch, äußert sich auch bombenwerfend, nur tut er das klinisch von einem Kampfjet aus über Afghanistan oder über dem Irak oder sogar von einer Drohne aus in einem Rechenzentrum. Das heißt, der Fundamentalismus bei uns ist keineswegs harmloser, auch wenn seine militärischen Mittel für unsere Begriffe sauberer sind, weil sie sich nicht so sehr die Hände blutig machen.

Gornik: Fasziniert hat mich bei der Lektüre des Buches, wie Sie doch sagen, wenn wir über den Islam reden, reden wir eigentlich auch über uns selbst. Wir schauen auf uns selbst, auf unsere westliche Definition vom Islam. Und das heißt ja, wir streiten auch um das richtige Bild vom Westen. Das schreiben Sie in Ihrem Buch. Inwieweit gibt unsere Diskussion über den Islam eigentlich ein gutes Spiegelbild unserer westlichen Selbstdefinition?

Weidner: Genau. Wir messen uns am Islam selber, weil der Islam das einzige konkrete Gegenbild ist, was wir haben. Und dann gibt es im Grunde zwei Tendenzen. Es gibt die einen, die sagen, der Islam ist die unaufgeklärte, rückschrittliche Religion und wir sind die aufgeklärten, fortschrittlichen Rationalen. Man vermittelt ein Selbstbild, was von Aufklärung und Moderne geprägt ist.

Und dann gibt es einen zweiten Schritt, wo man sagt, ja, der Islam ist gar nicht so etwas Fixes, Anti-Aufklärerisches, er ist etwas Vielgestaltiges. Wir wissen gar nicht, was es ist. Und genauso wissen wir nicht, was wir selber sind. Wir selber sind in Entwicklung begriffen, wir haben kein festes, geschlossenes Weltbild von uns selbst, sondern auch wir sind flexibel. Wir wissen nicht, das kann ja so weit gehen, das sind im Grunde postmoderne Diskussionen, geisteswissenschaftlich, um die es darin geht, sodass wir am Ende nicht mal mehr wissen, was haben wir für ein Geschlecht, was ist unser Wesen. Das können wir nicht mehr definieren.

Und in dem Moment zerfällt natürlich auch die Definition des Gegenüber. Wir können dann auch nicht mehr klar sagen, was der Islam ist. Und ich finde diese Haltung eigentlich flexibler und faszinierender und produktiver. Denn damit ist es uns möglich, offen zu sein für eine Zukunft, die es uns erlaubt, auch mit dem anderen und in Auseinandersetzung mit dem anderen zu definieren und nicht schon immer zu wissen, wer wir sind. Denn wenn wir genau hinschauen, wissen wir es natürlich nicht.

Gornik: Deswegen können Sie offenbar auch ungeniert vom Kampf reden, von einer Kampfbeziehung, ohne damit gleich blutrünstig zu werden, auch so eine Mann-Frau-Beziehung kann manchmal eine Kampfbeziehung sein, auch wenn man sich nicht den Kopf einschlägt. Wir sprechen mit Stefan Weidner. Er hat das Buch geschrieben "Manual für den Kampf der Kulturen - Warum der Islam eine Herausforderung ist", heute zu Gast im Deutschlandradio Kultur in der Sendung "Religionen". Viele sagen, der Islam braucht eigentlich so etwas wie eine Reformation, wie es auch das Christentum erlebt hat, und in anderer Form auch das Judentum. Dem wird entgegengehalten: Ein aufgeklärter Islam ist ein toter Islam. Also toter, weil aufgeklärter Islam, guter Islam, das kann nicht die Gleichung sein. Verträgt der Islam eine Aufklärung im westlichen Sinne?

Weidner: Na, es gibt ja sehr viele Tendenzen unter islamischen Reformern, die genau dies anstreben. Der Islam leidet weniger unter Problemen, die der Religion inhärent sind, die zur Religion selbst gehören, als unter den politischen Problemen in der islamischen Welt: das Bildungsniveau, die Diktaturen, die mangelnde politische Partizipation, die mangelnde Öffentlichkeit. Daher ist es kaum möglich, diesen Islam frei zu entwickeln und die meisten Reformer leben im Westen.

Das muss man unterscheiden von dem Vorwurf, dass der Islam keine Aufklärung kennt, das ist so ein bisschen wirklich der generelle Kampfbegriff geworden in der Auseinandersetzung mit dem Islam. Man sagt, wir dürfen keine Moscheen bauen, weil der Islam die Aufklärung nicht kennt. Das heißt, er ist nicht vereinbar mit Demokratie usw. Ich würde das auch fundamentalistisch oder zumindest essentialistisch nennen.

Das heißt, man definiert, was Aufklärung ist. Aufklärung ist das, was wir in Europa hatten, die Abkehr von der Religion oder die Verdrängung der Religion in das Feld des Persönlichen und Privaten, weg von der Politik und dem öffentlichem Raum. Wenn wir das vom Islam verlangen, dann verlangen wir im Grunde nichts anderes, als dass der Islam Europa wird, ein anderes Christentum wird. Das halte ich für zumindest wenig produktiv, wenig hilfreich.

Denn erst mal würde es bedeuten, dass der Islam das wird, was wir schon sind, was ein bisschen langweilig ist. Und andererseits wird es uns dadurch nicht mehr möglich, Religion auch als Teil des öffentlichen Raums zu denken. Denn Religion, ich glaube, es ist eine der größten Heucheleien in unserer Gesellschaft zu sagen, die Religion ist nur Privatsache. Was wir glauben, das ist mein Inneres, das geht den öffentlichen Raum nicht an. Das geht den öffentlichen Raum sehr wohl an.

Gornik: Dagegen wenden sich kirchliche Vertreter hierzulande vehement, dass Religion nur Privatsache ist. Denn sie soll ja von ihrem Wesensanspruch her genau das ganze politische, das wirtschaftliche und soziale Leben durchdringen. Ein zweiter Prüfstein, der oft angewandt wird, wenn es um unser Verhältnis zum Islam geht, ist der Prüfstein Religionsfreiheit. Gretchen würde Faust, hieße der denn Mohammad oder Abdul Ahmad, da fragen: Wie hast du es mit der Religionsfreiheit?. Du bist ein herzlich guter Mann, allein, ich glaube, du hältst nicht viel davon. Ist das ein Prüfstein, der unser Verhältnis zum Islam noch einmal neu definieren könnte?

Weidner: Genau. Die Frage der Religionsfreiheit ist der Prüfstein insofern, als wir tatsächlich vom Islam verlangen dürfen, finde ich, dass er zumindest die Religionsfreiheit toleriert, dass er toleriert, dass Muslime eben von der Religion abfallen oder sie zumindest nicht praktizieren. Im Grunde ist das hierzulande schon der Fall. Wenn wir uns anschauen, wir haben drei Millionen Muslime in Deutschland, wie viele davon im Ramadan fasten, dann werden wir feststellen, es sind bei Weitem nicht alle.

Und das heißt, wir können davon reden, dass es viele säkularisierte Muslime bei uns gibt, die aber den Austritt aus der Religion natürlich nicht offiziell erklären. Denn offiziell ist dieser Austritt verboten. Das heißt, er ist erst mal verpönt und im schlimmsten Fall wird er verfolgt, sanktioniert. In einigen arabischen Ländern ist er mit dem Tode bedroht. Und das ist natürlich in einer globalisierten Gesellschaft, wo Migration Alltag ist, wo es einen ständigen Austausch von großen Bevölkerungsteilen gibt, ist das natürlich ein Punkt, der nicht mehr haltbar ist und wo man den Islam auch packen kann. Sonst ist das ja alles sehr diffus.

Und es gibt die Frage des Schleiers. Da zu einem Dogma sich durchzuringen und zu sagen, der Schleier ist verboten, das halte ich für fast schon extremistisch. Aber in der Frage der Religionsfreiheit, das ist ein Punkt, wo wir den Islam wirklich packen können, wo wir die Vertreter unserer Politik, die Vertreter der Kirchen und der Dialoginstitutionen darauf dringen können, dass es eine offizielle Haltung im Islam gibt, die zumindest einen Abfall oder ein Schweigen des Nichtpraktizieren der Religion toleriert.

Gornik: Ihr Buch verwendet im Obertitel einen eigenartig schillernden Begriff, ein Manual oder englisch ausgesprochen "manual". Und es kommt eigentlich, manual, von Manus, lateinisch "die Hand" und meint entweder, die Hand betätigte Tastenreihe eines Musikinstruments für die Klaviatur oder ein bisschen veraltet ein Tagebuch. Was meinen Sie?

Weidner: Ja, es ist natürlich auch eine Handreichung, eine Gebrauchsanweisung. Und ich versuche, ohne selber eine Position in diesem Kulturkampf einzunehmen, ohne zu sagen, ich bin gegen den Islam oder ohne zu sagen, es gibt den Kampf der Kulturen nicht, wir sind alle friedlich, Friede, Freude, Eierkuchen, versuche ich, eine höhere Position einzunehmen und den Kampf der Kulturen zu kartografieren oder eine Grammatik dieses Kampfes der Kulturen zu schreiben, um den Lesern die Mittel in die Hand zu geben, die Diskurse in der Zeitung zu werten und zuzuordnen.

Gornik: Stefan Weidner war das mit dem "Manual für den Kampf der Kulturen - Warum der Islam eine Herausforderung ist, ein Versuch", erschienen im Verlag der Weltreligionen, 224 Seiten für 19,90 Euro. Stefan Weidner, herzlichen Dank!