Eher Pfützen als ein Meer

Von Thomas Gith · 15.07.2012
Seit dem Jahr 2003 funkt eine hochauflösende Stereokamera 3D-Bilder von der Marsoberfläche zur Erde, die mittlerweile zu 85 Prozent kartiert wurde. Das Wissen über unseren kosmischen Nachbarn wurde durch die Mission Mars-Express grundlegend erweitert.
Ein simulierter Flug über die Marsoberfläche: Am entfernten Horizont wölbt sich der Planet ins dunkle und kalte All. Unter einem erstreckt sich der rote und karge Boden des Planeten. Gesteinshügel sind in weitem Wüstenland verteilt, kreisrunde Einschlagkrater klaffen im Boden.

"Also wir fahren jetzt auf die westliche Hemisphäre des Mars zu, so in den Bereich, wo Tiefland in Hochland übergeht." Professor Stephan van Gasselt, Planetenforscher an der Freien Universität Berlin. "Und genau an dieser Stelle befindet sich ein hundert Kilometer großer Einschlagkrater."

Es ist der Nicholson-Krater. Zerklüftete Felswände fallen von der Planetenoberfläche steil hinab, münden in einem weitläufigen Tal – einst entstanden durch einen gigantischen Meteoriteneinschlag. Mitten in diesem riesigen Tiefland erhebt sich plötzlich ein Berg:

"Um den Zentralberg sieht man so schürzenartig einige Ablagerungen, die darauf hindeuten, dass es hier sehr große Massenbewegungen gegeben hat. Das Ganze ist relativ stark zerlegt, durch Aneinanderreihung von einzelnen Hügeln, die wahrscheinlich durch Wasser, vor allem aber auch Wind, da kann man relativ sicher sein, geformt worden sind."

Möglich sind diese Erkenntnisse zur Marsgeologie dank der Stereokamera, die sich an Bord der Raumsonde Mars-Express befindet. Bereits seit dem Jahr 2003 kreist die Kamera um den roten Planeten. Und seitdem sendet sie Bilder von unserem Nachbarplaneten zur Erde. Bilder, die es erlauben, den Mars aus der Ferne zu erkunden. Rund 85 Prozent der Marsoberfläche sind mittlerweile kartiert, die weißen Flecken auf unserem Nachbarplaneten also immer weniger geworden. Die Forscher konnten ihrem Ziel damit schon sehr nahekommen.

"Also insgesamt soll der ganze Mars aufgenommen werden. Das Ziel ist eine Komplettabdeckung des Mars in Farbe und 3D, mit möglichst guter Auflösung."

Geophysiker Björn Schreiner von der FU Berlin ist für die Bildverarbeitung zuständig. Er sorgt dafür, dass aus den rohen Bilddaten der hochauflösenden Farbkamera, die die Daten von der Marsoberfläche liefert, anschauliche Fotos werden:

"Die Kamera ist ja aus neun Sensorzeilen aufgebaut, die praktisch wie ein Scanner über die Oberfläche des Mars fliegen. Von diesen neun Sensorzeilen gibt es vier Farbkanäle, das ist also der rote, blaue, grüne und infrarote Kanal. Und dazu fünf Richtungskanäle, das heißt also, die schauen zur Seite. Und zwar maximal so ungefähr 19 Grad nach vorne und 19 Grad nach hinten und das ist dazwischen gestaffelt. Und die werden alle gleichzeitig aufgenommen, während die Kamera über die Oberfläche fliegt."

Aus den fünf Richtungskanälen entstehen die 3D-Bilder – in einer Auflösung, bei der ein Bildpixel mindestens einer Fläche von 15 mal 15 Metern entspricht. Eine nur grobe Auflösung also, bei der die Täler, Hänge und einstigen Flüsse des Mars allerdings gut zu erkennen sind. Denn die Dimensionen auf unserem Nachbarplaneten sind gewaltig.

Der simulierte Flug über die Marsoberfläche lässt das bereits erahnen. Die Kamera an Bord der Raumsonde ermöglicht jetzt den Blick über eine weite und öde Landschaft aus rotem Sand, durch die sich ein gigantisches, ausgetrocknetes Flussbett gräbt.

"Also wir sehen hier ein Flusssystem. Dessen Name ist Dao und Niger Valles.”" Stefanie Musiol, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin. ""Valles kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Tal. Die Flüsse sind mehrere Kilometer breit und einige hundert Meter tief. Die haben also sehr gewaltige Ausmaße im Vergleich zu Flüssen auf der Erde, die sehr viel kleiner sind."

Das ausgetrocknete Flussbett frisst sich förmlich durch den roten Marsboden. In einiger Entfernung sind gewaltige Meteoritenkrater zu erkennen, die Hänge, die zum einstigen Flussgrund hinab führen, sind zerklüftet. Der Flug geht weiter flussaufwärts, hin zur einstigen Quelle. Plötzlich teilt sich der Graben, mündet in einer gigantischen Senke, auf dessen Grund unzählige Gesteinsbrocken liegen.

Stefanie Musiol: "Die Ursprungsgebiete der Täler sind teilweise bis zu drei Kilometer tief. Also das ist sozusagen tiefer als der Grand Canyon. Und es gibt auf der Erde einfach keine Strukturen, die man damit vergleichen könnte, beziehungsweise ist das auch noch das Rätsel, was es zu lösen gilt: Warum sind diese Strukturen denn tatsächlich so viel größer als auf der Erde?"

Flusstäler, deren Gründe mehrere Kilometer tief sind, müssen sich über enorm lange Zeiträume gebildet haben. Möglich ist das nur, wenn deren Entwicklung ungestört verläuft. Dem Mars kommt dabei vermutlich zugute, dass er ein eher ruhiger Planet ist – zumindest was seine Oberfläche betrifft. Denn anders als auf unserer Erde verschieben sich hier keine Kontinente, auch Erd- respektive Marsbeben gibt es nicht.

Stephan van Gasselt: "Es wird davon ausgegangen, dass es auf dem Mars keine Plattentektonik gibt und auch keine gegeben hat. Auch wenn da das letzte Wort vielleicht noch nicht gesprochen ist. Aber generell wird davon ausgegangen. Das bedeutet natürlich, dass wir an der Oberfläche ganz andere Formen haben können. Vulkane haben wir auf dem Mars gesehen, die sind bekannt, aber es ist auch bekannt, dass sie unverhältnismäßig groß sind, wenn wir das mal mit der Erde in Vergleich setzen, das deutet schon darauf hin, dass dort auf Grund fehlender Bewegungen der Platten, dass sich dort Vulkanismus an einer Stelle über viele Milliarden Jahre ausbilden konnte."

Lange Zeit gingen die Forscher davon aus, dass auch der Vulkanismus auf dem Mars erloschen ist. Und ihre bisherigen Beobachtungen schienen das zu bestätigen. Denn die meisten Vulkane sind alt – entstanden in der Frühzeit des Planeten vor mehreren Milliarden Jahren.

"Wir haben aber dann festgestellt, dass auch die großen Vulkane noch so ungefähr vor hundert Millionen Jahren aktiv waren. Das klingt jetzt sehr viel, aber für einen Geologen ist hundert Millionen Jahre, das ist so vorher, also das ist noch nicht lange her."

Professor Ralf Jaumann, Leiter der Marsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

"Und das war doch eine gewisse Überraschung. Das zeigt also, dass die Aktivität viel größer ist. Und in der Zwischenzeit ist es so, dass wir immer zwar kleine aber immer jüngere Lavaströme finden, das heißt also, vulkanische Ausbrüche müssen auch vor relativ kurzer Zeit stattgefunden haben. Und das zeigt natürlich, dass nicht auszuschließen ist, dass es möglicherweise so etwas heute noch gibt."

Aktiver Vulkanismus auf dem Mars scheint also möglich zu sein, und er ist dennoch nicht mit dem auf der Erde zu vergleichen. Denn die Zeitabstände, in denen es auf dem roten Planten zu Eruptionen kommen könnte, sind – wenn überhaupt – groß: Schließlich wurde in weit mehr als zehn Jahren Marsforschung mit Raumschiffen kein einziger Vulkanausbruch beobachtet.

"Auf der Erde gibt es in diesen Zeiträumen durchaus gewaltige Vulkanausbrüche und es kommt vor in zehn, 20 Jahren, dass man da 20, 30 solcher Ausbrüche hat. Die hätten wir alle sehen müssen! Das heißt also die Zeitskalen, in denen der Mars möglicherweise noch aktiv ist, sind viel, viel länger als auf der Erde. Und das lässt wieder darauf schließen, dass es natürlich nicht mehr sehr viel innere Wärme gibt und innere Aktivität."

Der Mars ist heutzutage vor allem ein kalter und wüster Gesteinsplanet – die Bilder der Stereokamera und weitere Forschungsmissionen bestätigen das. Denn auch flüssiges Wasser konnte die Kamera nicht entdecken: An den Polen gibt es zwar bis heute dicke Eiskappen, doch die einstigen Flüsse und Seen sind längst ausgetrocknet. Und auch die Überreste der Ozeane, die vor der Mission auf dem Mars vermutet wurden, sind bisher unentdeckt geblieben.

Ralf Jaumann: "Es ist sehr, sehr schwer, einen Ozean, der nicht mehr da ist, nachzuweisen. Das macht man normalerweise über Küstenlinien. Und das ist klar, das Meer an der Küste hat natürlich gewisse Erosionseigenschaften, es entstehen Klippen und man hat das immer wieder versucht, das ist aber bisher nicht gelungen, einen solchen Ozean nachzuweisen. Das, was man ganz klar sehen kann, es gab sehr viele Seen, auch große Seen, aber es gab höchstwahrscheinlich keinen zusammenhängenden großen Ozean auf dem Mars. Also eher Pfützen als ein Meer."

Anflug auf Ulyxis Rupes – ein südliches Hochland in der Polarregion. Der Blick fällt hinab auf eine hügelige Landschaft, die Spitzen und Hänge der teils sanften Bergkuppen sind mit einer gräulich-weißen Schicht überzogen.

Stephan van Gasselt: "Die polaren Ablagerungen, also die so genannten südpolargeschichteten Ablagerungen, so heißt der Fachterminus, sind im wesentlichen Mischungen aus Staub und Wassereis, beziehungsweise Kohlendioxid, am Südpol ist es mehr Kohlendioxid, am Nordpol ist es Wassereis. Das ist der wesentliche Unterschied. Und man geht davon aus, dass sie nicht nur saisonal, sondern über Klimazyklen abgelagert werden."

Die Eisschichten haben sich in Zeiträumen zwischen 100.000 und einer Millionen Jahren gebildet. So lang dauern die Klimaperioden – bedingt durch die Achse des Planeten, die sich in diesen Zeiträumen neigt und wieder zurück bewegt.

Ulyxis Rupes: Vielleicht Landepunkt einer künftigen Mission, die Bodenproben vom Mars zur Erde bringt. Die Landkarte für diese Missionen haben die Wissenschaftler schon zu großen Teilen gezeichnet – dank der Stereokamera an Bord von Mars Express.
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