Ehemaliger NATO-General für Verhandlungen mit Gaddafi

Klaus Reinhardt im Gespräch mit André Hatting · 21.04.2011
Der ehemalige NATO-General Klaus Reinhardt plädiert im Libyenkonflikt für die sofortige Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen mit Machthaber Gaddafi. Nur das helfe der Bevölkerung.
André Hatting: So sehr sie die Angriffe auch verstärken, aus der Luft ist Muammar al-Gaddafi nicht zu bezwingen. Die NATO steckt in der Zwickmühle. Sie muss trotz modernster Präzisionswaffen hilflos dabei zusehen, wie Misrata, der einzige Anker der Rebellen im Westen Libyens, wieder in die Hände des Staatschefs fällt. So laut wie die Aufständischen die Luftangriffe gefordert hatten, so laut rufen sie jetzt nach Bodentruppen. Aber plötzlich zaudert die NATO. Die USA wollen zwar Waffen an die Rebellen liefern, eine Bodenoffensive kommt aber nicht infrage. Auch Großbritannien und Frankreich schließen einen Einsatz des Heeres aus. Also ausgerechnet die Länder, die vor ein paar Tagen klargemacht haben: Uns geht es nicht nur um einen Kräfteausgleich in Libyen, wir wollen Gaddafi loswerden.

Am Telefon ist jetzt Klaus Reinhardt, Bundeswehrgeneral a.D. und ehemaliger NATO-Kommandeur im Kosovo. Guten Morgen, Herr Reinhardt!

Klaus Reinhardt: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Wenn man die Opposition unterstützen will, sind Bodentruppen dann nur konsequent?

Reinhardt: Sie wären konsequent, aber ich glaube nicht, dass sie kommen, denn da hat sich der amerikanische Präsident und in der Zwischenzeit auch der französische Außenminister sehr klar dagegen ausgesprochen. Ich glaube, man muss jetzt auch endlich davon abgehen zu fragen, welche militärischen Mittel man noch einsetzt, um diesen Krieg zu beenden, denn der dauert nun seit vier Wochen an, und Gaddafi denkt gar nicht dran einzulenken. Ich glaube, es ist dringend erforderlich, nun alles dranzusetzen und zu einem Waffenstillstand zu kommen, denn nur das hilft der Bevölkerung, wenn nicht mehr geschossen wird. Und der ganze Einsatz geht ja unter der Ägide: helfen, die Sicherheit der Bevölkerung zu schützen.

Also, ich glaube, wenn man nun nicht endlich auf der diplomatischen Ebene anfängt, mit Gaddafi zu verhandeln, wird es weiter zu einer Katastrophe kommen, und eines der Grundprobleme dabei ist, dass die westlichen Staatsmänner alle gesagt haben, wir wollen Gaddafi weg haben. Aber man braucht den dringend, um Friedensverhandlungen einzuleiten. Hier ist im Grunde genommen die Frage: Kann man zurück von der Forderung, Gaddafi muss weg?

Hatting: Die Frage ist ja auch, was man jetzt tut mitten im Bürgerkrieg. Würde sich Gaddafi - er hat es zwar angeboten, aber ist es ernst zu nehmen? – würde er sich wirklich jetzt, in einer Phase, in der Misrata möglicherweise wieder an Gaddafi fällt, würde er sich jetzt überhaupt auf Verhandlungen einlassen?

Reinhardt: Die Frage ist, wie man die Verhandlungen führt. Wenn man die mit Leuten der dritten Ebene, der UNO oder der NATO führt, wird es nicht kommen. Man braucht mit Sicherheit ein großes Kaliber, was einen Namen hat, was im Maghreb-Bereich angesiedelt und bekannt ist. Ich denke an einen Mann wie Lakhdar Brahimi, der in Afghanistan Hervorragendes geleistet hat, der stellvertretender Generalsekretär der NATO war, um deutlich zu machen: Wir müssen hier weiterkommen.

Und ich glaube, wenn man nicht die Gespräche auf die ganz obere Ebene setzt und Gaddafi damit auch in den Fokus der Weltöffentlichkeit für diese Gespräche zu bringen, wird es nicht weitergehen.

Er hat ja zweimal wie auch immer geartete Waffenstillstandsabkommen angeboten, die die Rebellen abgelehnt haben. Man darf nicht nur auf die Rebellen hören, sondern man muss nun dazu übergehen, dass endlich dieser Krieg dort beendet wird.

Hatting: Das klingt ein wenig danach, als ob Sie von Anfang an dagegen gewesen wären, überhaupt dort militärisch einzugreifen, sondern vielleicht von Anfang an auf Verhandlungen zu setzen.

Reinhardt: Ich habe sehr früh gesagt, dass wir einen solchen Krieg oder dass die NATO einen solchen Krieg aus der Luft nicht gewinnen kann. Es gibt keine historischen Ereignisse, die zeigen, dass ein solcher Konflikt mit Luftstreitkräften beendet werden kann. Und wenn ich dann sage, Bodenstreitkräfte werden nicht eingesetzt, dann komme ich in genau das Dilemma, in dem man im Augenblick sitzt, und muss gucken, wie ich mit Friedensverhandlungen rauskomme.

Und ich darf an den Balkan erinnern, wo man nach dem Luftkrieg die Verhandlungen in Dayton geführt hat für ein Waffenstillstandsabkommen. Da war Milosevic dabei, der der große Verbrecher war, und der war auch bei den abschließenden Friedensverhandlungen in Paris dabei. Da hat man sich nicht gescheut, mit der Gegenseite zu verhandeln. Und man braucht die Gegenseite, man kann nicht nur mit den Aufständischen verhandeln, wenn es um Waffenstillstandsabkommen geht.

Hatting: Hatte die Bundesregierung recht mit ihrer Enthaltung?

Reinhardt: Ich glaube, de Bundesregierung hatte dahingehend die große Sorge, in einen Bodenkrieg reingezogen zu werden, und ich glaube, unter den Bedingungen hatte sie recht.

Hatting: Großbritannien hat Militärberater geschickt, Frankreich will das jetzt auch tun – unbewaffnete Coaches, helfen die den Rebellen weiter?

Reinhardt: Nein, das hilft gar nichts. Ich meine, das ist eine nette Geste, die nach außen wirkt, aber um diese nicht ausgebildeten Rebellen auszubilden, dass sie tatsächlich eine echte Gegenkraft zu Gaddafi auf lange Sicht bringen, das braucht Monate, das schafft man nicht von heute auf morgen – das weiß jeder, der mal Soldaten ausgebildet hat. Und damit zieht sich ja der Krieg noch weiter hin

. Es muss ja endlich dazu kommen, dass diese Schießerei aufhört, denn die Zivilbevölkerung in Misrata und woanders immer, die Flüchtlinge in der Wüste etwa, 500.000 Flüchtlinge in der Wüste, um deren Wohl und Wehe muss es ja gehen. Und da darf es nicht die Frage sein, wie bilde ich nun mit einzelnen ehemaligen Soldaten nun Rebellen aus. Das ist ein völlig falscher Ansatz.

Hatting: Herr Reinhardt, Sie haben es mehrfach betont, es müsse endlich verhandelt werden, auch mit Gaddafi, die Schießerei müsse aufhören. Nun ist es so, dass Gaddafi ja immer wieder Waffenstillstandsabkommen angeboten hat, die er dann aber wieder gebrochen hat – also wie ernst ist er im Augenblick zu nehmen als Verhandlungspartner?

Reinhardt: Er hat sie gebrochen, aber auch die Rebellen haben sie gebrochen. Es ist sehr schwer, vor Ort dann zu sagen, wer hat angefangen und wer hat aufgehört. Und deswegen braucht man ja in der Regel auch Bodentruppen, die sich zwischen die Kampfparteien begeben, um sicherzustellen, dass dort nicht weiter geschossen wird. Ich glaube, solche Kräfte wird man brauchen, um die Friedensverhandlungen zu unterstützen und abzusichern, so wie wir es zweimal auf dem Balkan, in Kosovo und auch in Bosnien gemacht haben ...

Hatting: Also doch Bodentruppen, Herr Reinhardt?

Reinhardt: Da wird man dann mit den Friedensverhandlungen mit Sicherheit Bodentruppen bringen – nicht große, die dort groß kämpfen sollen, aber die mit mehr als nur symbolischem Charakter a) eine Hilfsaktion für die Bevölkerung unterstützen, um das sicherzustellen, denn die Hilfsorganisationen werden nur in einem sicheren Umfeld arbeiten, und um die Kriegsparteien von weiteren Kämpfen abzuhalten. Dafür braucht man keine großen Bodentruppen, da genügen relativ kleine Kontingente, aber die braucht man, um damit deutlich zu machen, wir meinen es ernst.

Hatting: Die NATO steckt im Dilemma. Das waren Einschätzungen von Klaus Reinhardt, Bundeswehrgeneral a.D. und ehemaliger NATO-Kommandeur im Kosovo. Herr Reinhardt, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Reinhardt: Bitte schön, Herr Hatting!