EHEC: Alarm im Darm

Von Udo Pollmer · 19.06.2011
So irritierend wie der EHEC-Keim in der Nahrung war, so irritierend waren auch die Reaktionen der sogenannten Verantwortlichen. Jetzt gilt es den Scherbenhaufen zusammenzufegen und vor allem weiteren Schaden zu vermeiden.
Das Befremdlichste am EHEC-Skandal war wohl die Tatsache, dass er sogar angekündigt worden war. Ja. Genau einen Tag, bevor der erste EHEC-Fall auftrat, hatte die zuständige Bundesbehörde vor der noch unsichtbaren Katastrophe gewarnt. Das Dokument trägt den Titel "Hohe Keimbelastung in Sprossen und küchenfertigen Salatmischungen". Dabei wird auf die EHEC-Gefahr hingewiesen – speziell durch Sprossen, die im Biosektor erzeugt werden. Datiert ist das Papier des Bundesinstitutes für Risikobewertung auf den 9. Mai.

Der Behörde ging es bei ihrer Warnung aber nicht nur um EHEC, sondern um die ganze Palette an Krankmachern in Salat und Konsorten: Listerien, Salmonellen, Bacillus cereus, Staphylococcen, He-patitis-A, Noroviren und Schimmelpilze. Regelmäßig sind Noroviren für Todesfälle verantwortlich. Vor wenigen Wochen haben sie in Hannover zwei Krankenhäuser lahmgelegt. Dort infizierten sich über die Küche fast 100 Patienten, Schwestern und Ärzte. Ursache von Ausbrüchen ist häufig Obst.

Grundsätzlich können alle Lebensmittel Krankheiten übertragen – namentliche frische und rohe. Des-halb kann es auch keine "Entwarnung" geben. Niemand weiß, wo die EHEC-Keime überall hin ver-breitet worden sind. Der Biokeim aus der Bienenbütteler Gärtnerei treibt schon seit zehn Jahren sein Unwesen in Deutschland. Erstmals wurde er im Jahr 2001 bei einem schwer erkrankten Kind in Mün-ster diagnostiziert. Der Erregerstamm kommt nicht aus der Tierhaltung, sondern wird von Mensch zu Mensch übertragen. Oder durch Lebensmittel, die Infizierte zubereitet haben. Da nur ein Teil der Be-troffenen sichtbar erkrankt, ist die Infektionskette kaum rückverfolgbar.

Nun jammern die Medien über das Informationschaos beim EHEC-Ausbruch. Dafür sind sie selbst verantwortlich. Die dringende Warnung der obersten Fachbehörde haben sie verschwiegen, dadurch konnte sich der Infekt zum größten bakteriellen Ausbruch nach dem Zweiten Weltkrieg entwickeln. Sprossen sind ja so wahnsinnig gesund. Die Redaktionen lieben Experten, die ihnen nach dem Mund reden, die mühsam aufgebaute Vorurteile nicht gefährden. Politik und Medien brauchen sich gegen-seitig so wie der Hund sein Herrchen. So etabliert sich eine gesundheitspolitische Gurkentruppe.

Da Keime sich schnell an veränderte Umweltbedingungen anpassen und auch gerne mit anderen Bakterien Erbgut tauschen, besteht immer das Risiko einer seuchenartigen Ausbreitung – namentlich in einem dicht besiedelten Land. Im Falle eines solchen Erregers bleibt keine Zeit für parteipolitische Komödien, Ernährungsideologien oder ärztliche Standespolitik. Dann muss die Bevölkerung die nöti-gen Hygienemaßnahmen kennen, um eine Katastrophe zu verhindern.

Deshalb: Waschen Sie Ihre Wäsche, also Unter- und Bettwäsche wenn möglich nicht unter 60 Grad. Wer Keime bei Körpertemperatur zwischen 30 und 40 Grad in seiner Waschmaschine bebrütet und dann noch beim Spülen ein Wassersparprogramm nutzt, der stattet seine Familie als Bazillen-schleuder aus. Wer beim Waschen die Umwelt schonen will, kann das auf ganz bequemen Wege: Die T-Shirts - oder was auch immer - nicht schon nach einem halben Tag wieder wechseln.

Bei Tisch beherzigen Sie bitte den alten Kinderreim: "Nach dem Klo und vor dem Essen - Hände-waschen nicht vergessen." Es gibt keine Maßnahme, die so effektiv Krankheiten verhindert wie diese. In Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und Altersheimen stellen Rohkostplatten auch ohne akute Seuchengefahr ein vermeidbares Risiko dar – nicht zuletzt weil Blattgemüse die Krankheitskeime über die Wurzeln aufnehmen. Rohe Eier werden ja aus hygienischen Gründen dort auch nicht mehr ver-wendet. Wir Menschen verdanken unsere Evolution und unsere Zivilisation der Nutzung des Feuers und der Hygiene – mit Rohkost allein würden wir noch heute von Ast zu Ast hopsen. Mahlzeit!

Literatur
BfR: Hohe Keimbelastung in Sprossen und küchenfertigen Salatmischungen. Aktualisierte Stellung-nahme Nr. 017/2011 des BfR vom 09. Mai 2011
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