Egon Bahr: Cyberwar ist kein Kalter Krieg

Moderation: Ute Welty · 02.07.2013
Die strategischen Möglichkeiten im digitalen Zeitalter gingen weit über die Abhöraktivitäten der US-Geheimdienste hinaus, sagte der SPD-Politiker Egon Bahr. Die eigentliche Gefahr liege in der militärischen Nutzung des Netzes auf globaler Ebene, so der frühere Bundesminister.
Ute Welty: "Das erinnert an das Vorgehen unter Feinden während des Kalten Krieges." Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nimmt in ihrem Ärger kein Blatt vor den Mund. Ähnlich deutlich wird auch Regierungssprecher Steffen Seibert:

"Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel, das geht gar nicht. Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass das zunächst einmal vollständig aufgeklärt wird und gegebenenfalls auch eine einstimmige und auch eine sehr deutliche europäische Reaktion darauf erfolgen wird."

Welty: Das böse Wort vom Kalten Krieg macht also die Runde. Aber trägt dieser Vergleich? Der SPD-Politiker Egon Bahr war Minister unter den Kanzlern Brandt und Schmidt, gilt als die Architekt der bundesdeutschen Ostpolitik und hat 1963 in Tutzing eine entscheidende Rede gehalten, die half, den Kalten Krieg zu beenden: "Wandel durch Annäherung". Guten Morgen, Herr Bahr!

Egon Bahr: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Ihre Rede in Tutzing ist jetzt, bis auf zwei Wochen, ziemlich genau 50 Jahre her. Eine Rede, die Ihnen von konservativer Seite den Vorwurf des Verrats einbrachte, aber dann doch für Tauwetter zwischen Ost und West sorgte – so dachten wir alle zumindest. Müssen wir diesen Eindruck revidieren?

Bahr: Nein. Ich glaube, da ist gar nichts zu revidieren. Das ist auch gar nicht mehr umstritten, das ist eine Tatsache in der Politik geworden, die inzwischen auch von Konservativen so gesehen und angenommen wird.

Welty: Wir reden, grob gesagt, über die Zeit zwischen den späten 40ern und den 80er-Jahren mit vielen Phasen und noch mehr Nuancen. Wenn Sie diese Jahre trotzdem mal zusammenfassen mögen: Was hat das Verhältnis der Staaten untereinander damals ausgezeichnet beziehungsweise nicht ausgezeichnet?

Bahr: Das Verhältnis zwischen den Staaten hat sich ja gar nicht geändert. Ich meine, wir müssen doch feststellen, dass es Spionage gibt. Spionage ist das zweitälteste Gewerbe der Welt. Sie wird bestehen, solange das älteste Gewerbe existiert, also noch sehr lange. Spionage gibt es gegen Nachbarn, mögen sie nun ehemalige Gegner oder Partner oder Freunde sein. Natürlich möchte die Bundesregierung gern wissen, was Obama beabsichtigt oder was Putin plant. Das wird auch so bleiben gegenüber ihren Nachfolgern. Aber das, worum es jetzt geht, hat eine ganz andere Qualität.

Welty: Inwieweit?

Bahr: Es geht um die größte technologische Erfindung unseres Jahrhunderts, das Internet. Dieses Netz ist grenzenlos, weltweit, und ist bis heute nicht zu kontrollieren, weltweit. Jeder kann mit jedem kommunizieren, Ideen, Informationen austauschen, Menschen kennenlernen, Waren bestellen, Fahrkarten kaufen oder Auskünfte anfordern. Wir haben uns an solche Bequemlichkeiten unseres täglichen Lebens gewöhnt. Niemand möchte sie missen oder kann sich vorstellen, dass dieses Wunderding, das es vor 20 Jahren noch gar nicht gegeben hat – aber es wäre das erste Mal in der Menschheitsgeschichte, dass eine solche Revolution nicht auch kriegerisch genutzt werden kann.

Eine vergleichbare Revolution war die Erfindung der Buchdruckerkunst. Sie hat die Menschen leben, lesen und schreiben gelehrt, klüger gemacht, aber nicht verändert. Sie haben ihre Intelligenz auch auf die Entwicklung neuer Waffen angewendet. Das Streben nach mehr Macht und Einfluss hat Millionen von Toten gekostet, und die Suche nach sicherem Frieden hält bis heute, bis zum heutigen Tage also, an. In allen Regionen, in denen die Interessen von Völkern aufeinanderstoßen.

Welty: Würden Sie sagen, Herr Bahr, die Erfindung des Internets oder die Einführung dieser Technologie, die Nutzung dieser Technologie ist der entscheidende Unterschied zu der Zeit, die jetzt sprachlich so sehr bemüht wird, nämlich zu der Zeit des Kalten Krieges? Und deswegen passt der Vergleich auch vielleicht auch gar nicht?

Bahr: Ja. Ich finde, das geht in Wirklichkeit jetzt viel weiter, geht in eine ganz andere Dimension hinein, und es ist völlig klar, wir haben das doch erlebt, dass im Prinzip eine globale Dimension durch das Internet erreicht worden ist. Ihre Reichweite hängt von der Zahl der Handys ab, mit denen Menschen das Netz nutzen. Der Arabische Frühling hat das gezeigt. Die Menschen lehnen sich gegen Ungerechtigkeit in ihren jeweiligen Ländern auf, in Amerika gegen Wallstreet, in Russland gegen Korruption und Rechtsunsicherheit, in China gegen kulturelle Unfreiheit, in den Ländern Südeuropas gegen Arbeitslosigkeit und Korruption und blanke Not

In Deutschland haben wir das doch auch benutzt, das Netz: In wenigen Stunden war es möglich, die Plagiate des Verteidigungsministers offenzulegen, und 48 Stunden danach haben wir 24.000 Unterschriften an die Kanzlerin geschickt, die daraufhin Herrn von Guttenberg entließ. Aber die wirkliche Gefahr für die Welt entstand durch die militärische Nutzung des Netzes, die international schon "Cyberwar" genannt wird.

Welty: Vor diesem Hintergrund: Können Sie sich vorstellen, dass es tatsächlich so ist wie behauptet, nämlich dass die Bundesregierung von alldem überhaupt nichts gewusst hat?

Bahr: Das kann ich mir vorstellen.

Welty: Obwohl es das Netz gibt? Und obwohl diese Informationen so schnell verbreitet werden?

Bahr: Ja.

Welty: Warum?

Bahr: Weil zum ersten Mal, Amerikaner das Netz schon benutzt haben, zum Beispiel, um Zentrifugen im Iran unbrauchbar zu machen. Und erreicht haben, dass die Herstellung von Atomwaffen, falls der Iran sie angestrebt hat, um Jahre verzögert wird. Das ist Kriegführung. Die Russen haben ihre Fähigkeiten drei Tage lang gegen einen baltischen Staat benutzt und das eingestellt, um andere Staaten in Ungewissheit zu lassen, was sie können. Und die amerikanischen Zeitungen haben sich beschäftigt und bezichtigten China als Quelle unerklärlicher Hackerangriffe, kurz ...

Welty: Aber wenn das alles möglich ist, warum hat die Bundesregierung dann von diesen Abhörgeschichten nichts geahnt, wie Sie glauben?

Bahr: Also das können Sie mich nicht fragen, das kann ich Ihnen nicht beantworten.

Welty: Dann lassen wir das offen an dieser Stelle und sprechen darüber ein anderes Mal. Ich sage bis hierher danke. Der SPD-Politiker Egon Bahr im Interview der Ortszeit. Einen guten Tag noch!

Bahr: Ebenso!

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