Edward Snowden

"Was machen eigentlich unsere eigenen Dienste?"

Snowden-Plakate in Köln, 2014
Der FDP-Politiker Markus Löning kritisiert die Rolle der Bundesregierung beim Snowden-Asyl. © picture-alliance / dpa / Henning Kaiser
Moderation: Dieter Kassel · 31.07.2014
Ob Edward Snowden in Deutschland Asyl erhält, ist mehr als fraglich. Die eigentliche Frage sei für ihn jedoch, warum es keine ordentliche parlamentarische Aufsicht über unsere eigenen Geheimdienste gibt, sagt Markus Löning von der FDP.
Dieter Kassel: Heute läuft das Asyl von Edward Snowden in Russland offiziell aus, und auch wenn es dafür noch keine Bestätigung aus Moskau gibt, wird er wohl erst mal bleiben können. Aber das ist nur ein schwacher Trost. Am 23. Juli 2013 flog Snowden von Hongkong nach Moskau, wo er eigentlich nur einen Zwischenstopp einlegen wollte, aber seitdem sitzt er dort fest. Wir wollen über das Schicksal Snowdens und die Frage, wo er wohl aufgenommen werden könnte, mit Markus Löning reden, dem ehemaligen Beauftragten der Bundesregierung für die Menschenrechte und dem jetzigen Direktor des Privacy Project, dessen Gründung eine direkte Reaktion auf die von Snowden aufgedeckte NSA-Affäre ist. Schönen guten Morgen, Herr Löning!
Markus Löning: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Glauben Sie, dass es Edward Snowden in absehbarer Zeit möglich sein wird, Russland zu verlassen?
Löning: Ich hoffe es auf jeden Fall. Ich kann das nicht beurteilen, aber ich hoffe es sehr, dass es ihm gelingt, einen Ort zu finden, wo er sicher sein kann und wo er sein Leben so leben kann, wie er das möchte.
Kassel: Der Bundesjustizminister Heiko Maas hat Snowden ja gerade erst dazu geraten, in die USA zurückzukehren. Er hat gesagt, Zitat: Es sei doch besser zurückzukehren in die USA, als den Rest seines Lebens auf der ganzen Welt gejagt zu werden oder von einem Asyl zum nächsten zu wandern. Stimmen Sie Maas zu?
Löning: Ich muss sagen, das fand ich schon sehr flapsig, um nicht zu sagen zynisch, das so zu sagen, vor allem weil die Bundesregierung ja ein eigenes Erkenntnisinteresse hat an dem, was Herr Snowden weiß, nicht nur die Bundesregierung, auch der Bundestag durch den Untersuchungsausschuss. Meiner Meinung nach hat auch der Generalbundesanwalt ja ein Interesse daran, das zu wissen, was Herr Snowden weiß. Und auch ein Bundesinnenminister, kann ich mir vorstellen, sollte eigentlich wissen wollen, was Herr Snowden über die Schwachstellen deutscher Nachrichtendienste weiß.
Insofern finde ich das sehr flapsig und zynisch, weil es eigentlich die Aufgabe von Herrn Maas oder anderen in der Bundesregierung gewesen wäre zu sagen, was können wir tun, damit wir das Erkenntnisinteresse, was wir haben an Herrn Snowden, dass wir das hier in Deutschland umsetzen können, dass er hierher kommen kann, dass wir ihn hier vernehmen können und dann dafür sorgen – und da hätte ich mir gewünscht, dass die Bundesregierung das eben gemeinsam mit den Amerikanern macht –, dass er dann einen Ort kommt, wo er sicher sein kann. Das wäre eine Aufgabe gewesen, und dann hätte er sich so eine Bemerkung ersparen können.
"Das wäre eine Aufgabe für Herrn Maas - nämlich den Schutz der Bürgerrechte zu gewährleisten"
Kassel: Heribert Prantl schreibt heute im Kommentar in der "Süddeutschen Zeitung", dass die Debatte über eine mögliche Aufnahme Snowdens in Deutschland, die ja eigentlich andauert, seit Snowden in Moskau ist, dass diese Debatte quasi eine echte Aufarbeitung der NSA-Affäre durch die Bundesregierung ersetze. Können Sie dem zustimmen?
Löning: Ja, das ist auch meine Kritik, und deswegen haben wir auch dieses Privacy-Projekt gegründet, weil wir gesagt haben, man kann sich da jetzt herrlich drüber aufregen, ob Herr Snowden jetzt hier oder dort Asyl bekommt, aber die eigentliche Frage ist ja, was machen eigentlich unsere eigenen Dienste, warum gibt es da keine ordentliche parlamentarische Aufsicht, warum gibt es keine ausreichende gesetzliche Grundlage?
Wir haben gerade gehört vor dem NSA-Untersuchungsausschuss, dass der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes sagt, dass unsere Dienste sich außerhalb des Grundgesetzes bewegen und Ähnliches. Das ist die eigentliche Frage aus meiner Sicht. Die Kernfrage ist doch: Wie kann man die Situation, die Edward Snowden aufgedeckt hat, verbessern? Wie kann man dafür sorgen, dass die Bürgerrechte wieder voll umgesetzt werden? Und das wäre auch eine Aufgabe für Herrn Maas, nämlich den Schutz der Bürgerrechte.
Kassel: Aber man hat ja manchmal den Eindruck, dass die Bundesregierung auch nicht so genau weiß, was die Dienste in Deutschland tun, und manchmal habe ich persönlich den Eindruck, sie weiß es, möchte es aber lieber nicht diskutieren.
Löning: Ehrlich gesagt, geht meine Kritik an der Stelle mehr in Richtung Bundestag. Ich weiß auch nicht, ob die Bundesregierung alles weiß, was die Dienste tun, aber der Bundestag muss wissen, was die Dienste tun. Und da gibt es ein Defizit sowohl bei der grundgesetzlichen Grundlage der parlamentarischen Kontrolle. Er kann nämlich gar nicht richtig in die Dienste reinschauen, wie das zum Beispiel der Bundeswehrbeauftragte bei der Bundeswehr tut, und es wäre Aufgabe des Bundestages festzulegen, was darf so ein Dienst, wie arbeitet der, nach welchen Gesetzen arbeitet er, was hat er zu respektieren.
Und es wäre auch Aufgabe des Bundestages zu kontrollieren, dass sich die Dienste an diese Gesetze dann halten. Da sehe ich nichts im Moment. Ich sehe da ein parlamentarisches Kontrollgremium, in Anführungszeichen, mit sieben Mitgliedern, die können das überhaupt nicht kontrollieren. Das wäre mal eine Aufgabe, die anzugehen wäre, und dann könnten wir auch von einer ganz anderen Glaubwürdigkeit aus mit unseren amerikanischen Partnern sprechen, und dann könnten wir vor allem auch mal dafür sorgen, dass es in Europa zu einer echten No-Spy-Vereinbarung kommt.
"Die Regierung muss sich ans Grundgesetz halten"
Kassel: Nun hatten ja die Amerikaner eine solche No-Spy-Vereinbarung schon ganz klar abgelehnt – hat denn Deutschland wirklich die Macht, da irgendetwas gegenüber Washington durchzusetzen?
Löning: Man muss es in den richtigen Schritten tun, in den richtigen Schrittfolgen, und der erste Schritt wäre zweifellos, sich anzuschauen, was machen eigentlich unsere eigenen Dienste entsprechend den Standards, die wir an die Amerikaner anlehnen, nämlich eine ordentliche gerichtliche Kontrolle, eine ordentliche parlamentarische Kontrolle und der Respekt vor den Bürgerrechten von Leuten außerhalb von Deutschland.
Und zum Beispiel die Frage, die das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof jetzt aufgeworfen haben bei den Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung, nämlich die Frage der Verhältnismäßigkeit, ist das gegeben.
Und wenn unsere Dienste sich nach ordentlichen demokratischen, rechtsstaatlichen Standards verhalten, dann kann man gemeinsam mit den anderen Europäern sagen, das sind Standards für europäische Demokratien. Dann kann man zu den Amerikanern natürlich mit einer ganz anderen Kraft gehen, und vor allem kann man sich dann in Amerika mit denjenigen zusammenschließen, die eben dort für eine Begrenzung der Macht der NSA und der anderen Dienste arbeiten.
Kassel: Aber ich habe immer noch das Gefühl, dass die Bundesregierung nicht allzu streng nachfragen will, was die NSA tut, weil sie auch nicht unbedingt darüber reden will, was der BND tut.
Löning: Ja, aber das halte ich für einen ganz großen Fehler, denn es ist ja Aufgabe der Bundesregierung oder die Bundesregierung muss sich ans Grundgesetz halten, und das Grundgesetz schreibt ja vor, wo unsere Bürger zu schützen sind, wo wir zu schützen sind als Bürger. Und ich bin mir nicht sicher, inwieweit das tatsächlich geschieht. Und darüber hinaus ist die Bundesregierung natürlich gebunden an internationale Konventionen wie die Europäische Menschenrechtskonvention oder die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, und die begrenzen die Möglichkeiten des Handelns auch von Geheimdiensten im Ausland.
Wenn ich sehe, was wir da für eine Debatte bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr haben, wie genau da debattiert wird und wie genau das festlegt, was das Militär darf, richtigerweise, dann wünsche ich mir, dass genau diese Debatte auch für die Dienste stattfindet.
"Der Bundestag hat schlicht nicht den Arsch in der Hose"
Kassel: Als Sie gerade gesagt haben, die Bundesregierung hat die Aufgabe, die Bürger zu schützen, habe ich ein bisschen mehr erwartet, als Sie gesagt haben. Mir scheint das so, Sie reden über den Schutz der Daten und den Schutz davor, ausgespäht zu werden, aber die Bundesregierung hat ja auch die Aufgabe, die Bürger von Angriffen, vor Terroranschlägen zu schützen. Dürfen wir das nicht einfach nicht vergessen, dass die Dienste ja nicht nur dazu da sind, uns zu ärgern, sondern eigentlich auch eine konkrete Aufgabe haben?
Löning: Ja, aber da gilt wiederum das, was ich gerade gesagt habe über die Urteile des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesverfassungsgerichtes: Es muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein – das ist das eine.
Und das andere ist: In einer Gewaltenteilung ist es so, dass natürlich das Parlament kontrollieren muss, was die Exekutive macht, und es müssen die Gerichte kontrollieren, was die Exekutive macht, und das findet zurzeit bei den Diensten nicht statt. Im Moment habe ich den Eindruck, dass die Dienste selber festlegen, was geheim ist, und die Abgeordneten dort draußen halten und dass der Bundestag schlicht nicht den Arsch in der Hose hat zu sagen, wir bestimmen, was die Dienste tun, wir schaffen die gesetzliche Grundlage, wir schaffen ein Kontrollgremium, ähnlich wie wir es beim Bundeswehrbeauftragten zum Beispiel haben, das tatsächlich eine effektive Kontrolle gewährleisten kann. Und selbstverständlich sind einige Bereiche dessen, was die Dienste tun, sind auch weiterhin geheim, das ist gar keine Frage, aber als Bundestag können wir in alles reinschauen. Und natürlich muss da die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein, aber natürlich müssen die Dienste auch ihre Aufgaben erfüllen können. Das kann nur nicht außerhalb der Kontrolle stattfinden.
Kassel: Wenn Edward Snowden, um auf ihn zurückzukommen, am heutigen Tage tatsächlich doch noch nach Deutschland käme, um vor dem Untersuchungsausschuss auszusagen, die Vertreter der Linken und der Grünen wollen das ja unbedingt und wollen sogar notfalls vors Verfassungsgericht ziehen, dann könnte er hier ja in ordentlicher verwaltungsmäßiger Form Asyl beantragen. Aber wäre das denn in Ordnung, wenn die Bundesrepublik einem Mann Asyl gewährt, damit er nicht in einem befreundeten Rechtsstaat vor einem ordentlichen Gericht vor einem Verfahren sich verantworten muss?
"Wir sind zu schüchtern"
Löning: Das ist eine politische Entscheidung, mehr als eine juristische Entscheidung, und die Bundesregierung muss abwägen: Wie viel Ärger produziert das eventuell bei den Amerikanern, was bedeutet das für unsere Interessen im Bezug auf Auslieferungsverfahren, die wir haben mit den Amerikanern, das muss sie abwägen. Und das ist ja ein legitimes und richtiges Interesse, zu sagen, selbstverständlich wollen wir ein funktionierendes Auslieferungssystem mit den Amerikanern nicht zerstören oder irgendwie kaputt machen, das ist auch richtig.
Aber dennoch, auf der anderen Seite, man muss sich mal vorstellen, was wäre, wenn dasselbe umgekehrt wäre, wenn ein Deutscher den Amerikanern so etwas sagen würde? Selbstverständlich würden die Amerikaner ihn hören in Washington, würden sich von ihm erzählen lassen, was er weiß über die Schwachstelle amerikanischer Dienste, die würden da gar nicht zögern. Und ich finde, wir sind da etwas zu schüchtern, was das angeht.
Meine Erfahrung mit meinen amerikanischen Freunden und Partnern ist immer, dass die Amerikaner sehr gut ein deutliches und offenes Wort verstehen, und dass sie sehr gut verstehen, wenn man sagt, unsere Interessen sind Aufklärung in diesem Fall, und deswegen muss der Mann in Deutschland gehört werden, und er braucht anschließend einen Ort, wo er in Sicherheit leben kann. Das kann in den USA sein, wenn die USA das mit ihm entsprechend aushandeln, das kann in Deutschland sein, das kann auch in einem dritten Land sein.
Kassel: Sagt Markus Löning, der ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für die Menschenrechte und jetzige Direktor des Privacy Project. Herr Löning, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!
Löning: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema