Edda Müller von Transparency International

"Korruption kann töten"

Hunderttausende gingen, wie hier in Temeswar, in Rumänien gegen die Regierung und gegen Korruption auf die Straße.
Die OECD veranstaltet heute in Paris ein globales Antikorruptionsforum. Edda Müller lobt die Organisation: Sie habe die Konvention gegen Korruption verabschiedet. Damit könnten Firmen ihre Bestechungsgelder nicht mehr steuerlich absetzen. © Zoltan Pazmany
Edda Müller im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 30.03.2017
Russland, Bulgarien, Rumänien, Brasilien: In diesen Ländern haben zuletzt Zehntausende gegen Korruption protestiert. Die Menschen ließen sich die Bestechlichkeit ihrer Politiker nicht mehr gefallen, sagt Edda Müller von Transparency International. Sie kennt ermutigende Beispiele.
Es habe sich "langsam herumgesprochen", dass Korruption nicht nur wirtschaftlich ein großes Problem sei, sondern auch zu sozialer Ungerechtigkeit führe, so Müller. Die Vorsitzende der deutschen Transpareny-Sektion machte dabei auf einen besonders dramatischen Fall aufmerksam: In Bangladesch waren 2013 beim Einsturz eines Fabrikgebäudes mehr als 1.000 Näherinnen zu Tode gekommen. Das habe mit Korruption zu tun gehabt, sagte Müller: Zwar seien die Vorschriften zu Brand- und Arbeitsschutz in Ordnung gewesen. Doch die Kontrolleure seien bestochen worden und hätten deshalb nicht richtig hingeschaut: "Das heißt: Korruption kann töten."
Auch dank der Berichterstattung der Medien ließen sich die Menschen mittlerweile Fälle von Korruption nicht mehr gefallen:
"Sie sehen auch, dass Korruption oder Korruptionsanfälligkeit verbunden ist mit Mängeln zum Beispiel von Rechtsstaat, keine unabhängige Justiz, keine Politiker, die wirklich dem öffentlichen Wohl verpflichtet sind, sondern erst mal sich die eigenen Taschen füllen - und das möchten natürlich die Menschen nicht mehr hinnehmen."

"Man kann etwas dagegen tun"

Dass der Kampf gegen Korruption erfolgreich sein kann, zeigt nach Meinung Müllers das Beispiel Georgien: Dort hätten eine Verschärfung der Strafbarkeit und Konsequenz dazu geführt, dass die Alltagskorruption - wie beispielsweise Pass oder Führerschein nur gegen Geld - "praktisch auf Null" gebracht worden sei: "Man kann sehen, dass man etwas dagegen tun kann." Im Senegal gebe es eine ähnliche Entwicklung.
Lobend äußerte sich Müller über den Gesetzentwurf des Bundeskabinetts, wonach korrupte Unternehmen künftig von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen sein sollen. Das sei "überfällig" gewesen.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: In Russland hat es am Wochenende die massivsten Demonstrationen seit Langem gegeben, nachdem ein Video veröffentlicht wurde. Das hat der Oppositionelle Alexej Nawalny getan und darin vermeintlich den Immobilienbesitz und die Bereicherung von Regierungschef Medwedew öffentlich gemacht, der bei seinem Antritt 2008 genau diese Korruption bekämpfen wollte. Oder schauen wir weiter: Es gab Demonstrationen in Rumänien, Demonstrationen in Bulgarien und auch in Brasilien.
Heute veranstaltet die OECD ein globales Antikorruptionsforum in Paris. Und auch hierzulande sollen Firmen, die in den vergangenen Jahren aufgefallen sind strafrechtlich, gegen die ermittelt wurde, die Strafbefehle bekommen haben, ihre Kosten, die sie da verursacht haben, nicht mehr steuerlich absetzen können. Der Kampf gegen Korruption ist aber so etwas wie der Kampf gegen eine Hydra: Wenn man einen Kopf abgeschlagen hat, dann wachsen unzählige nach. Edda Müller ist die Vorsitzende von Transparency International und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Edda Müller: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Korruption gab es schon immer. Woran liegt es denn, dass die Empörung vieler Bürger gerade derzeit so groß ist?

Kontrolleure in Bangladesch bestochen

Müller: Ja, ich glaube, es hat sich langsam herumgesprochen, dass Korruption nicht nur wirtschaftlich ein großes Problem ist, sondern dass es auch damit verbunden ist, dass soziale Ungerechtigkeit stattfindet, dass in vielen Ländern Investitionen, überhaupt wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten behindert werden, dass – so das Beispiel, was ja noch alle in Erinnerung haben – in Bangladesch der Zusammenbruch eines Hauses, wo über 1000 Näherinnen zu Tode gekommen sind, was mit Korruption zu tun hat, weil hier zum Beispiel die Brandschutz- und Arbeitsschutzvorkehrungen, zwar die Vorschriften in Ordnung waren, aber die Kontrolleure bestochen worden sind und dabei deshalb nicht richtig hingeschaut haben. Das heißt, Korruption kann töten.
von Billerbeck: Nun habe ich gesagt, dass die OECD heute ein globales Antikorruptionsforum in Paris veranstaltet. Und Sie haben mir im Vorgespräch gesagt, Sie wollen heute die OECD mal loben. Dann tun Sie das doch mal!
Müller: Ja, die OECD hat Ende der 1990er-Jahre, also vor dem Jahr 2000 die Konvention gegen Korruption verabschiedet, die entsprechenden Länder natürlich. Und das hat dazu geführt, dass die steuerliche Absetzbarkeit von Bestechungsgeldern in Deutschland verboten wurde. Man muss sich vorstellen: Bis 1999 konnten die Firmen Bestechungsgelder als nützliche Aufwendung von der Steuer absetzen. Und das ist damit verboten worden und die Strafbarkeit der Auslandsbestechung ist damit eingeführt worden. Von daher muss man die OECD wirklich loben.
von Billerbeck: Nun erleben wir diese Demonstrationen am Wochenende in Russland, ich habe auch noch andere Länder aufgezählt. Warum ist das gerade so, dass die Leute so gefuchst sind, so wütend, und dafür auf die Straße gehen, dass da die korrupten Politiker, Bosse, Wirtschaftsfirmen, dass die eben mitkriegen: Das wollen wir nicht, das lassen wir uns nicht gefallen! Warum jetzt?
Müller: Na, ich weiß nicht, warum das jetzt ist. Ich glaube, dass die öffentliche Debatte und immer wieder auch das Aufzeigen von einzelnen Problemen und von einzelnen Fällen – wir kennen ja auch die Fälle in Brasilien –, das spricht sich rum. Übrigens dank der Berichterstattung auch der Medien. Und das lassen sich die Menschen nicht mehr gefallen.
Sie sehen auch, dass Korruption und Korruptionsanfälligkeit verbunden ist mit Mängeln zum Beispiel vom Rechtsstaat. Keine unabhängige Justiz, keine Politiker, die wirklich dem öffentlichen Wohl verpflichtet sind, sondern erst mal sich die eigenen Taschen füllen. Und das möchten natürlich die Menschen nicht mehr hinnehmen.

In Georgien geht die Korruption gegen Null

von Billerbeck: Nun hat ja Korruption in vielen Ländern eine lange Tradition. Wie kann man denn dafür sorgen, dass da mehr Transparenz und Rechtssicherheit einzieht?
Müller: Ich würde gerne das Beispiel von Georgien hier mal erwähnen. Georgien gehörte auch mit zu den Ländern, in denen die Alltagskorruption – wir verstehen darunter die Tatsache, dass Menschen für Leistungen der Verwaltung, auf die sie einen Rechtsanspruch haben, also zum Beispiel einen …
von Billerbeck: Führerschein.
Müller: … Pass zu kriegen, einen Führerschein zu bekommen, Schmiergelder zahlen sollen. Das ist in Georgien seit einigen Jahren praktisch auf null gebracht worden, und zwar, weil die damaligen Regierungen deutlich die Strafbarkeit dieser Handlungen verschärft haben, aber das dann auch durchgezogen haben und die Menschen dann sich das nicht mehr haben gefallen lassen. Die haben, wenn jemand kam und gesagt hat, du musst mir hier erst mal was zahlen, gesagt: Ich denke gar nicht daran, ich zeige Sie an!
Und man zeigt also hier, man kann daran sehen, dass man etwas dagegen tun kann. Das gilt übrigens auch für das eine oder andere afrikanische Land, zum Beispiel Senegal, wo man die Alltagskorruption, das heißt, das, was der Mensch im täglichen Leben erlebt, zurückführen konnte. Und von daher ist das auch ein gutes Beispiel.
von Billerbeck: In Berlin hat ja das Bundeskabinett gestern einen Gesetzentwurf beschlossen, der korrupte Unternehmen künftig von öffentlichen Aufträgen ausschließen soll, also Unternehmen, gegen die ermittelt wurde oder ein Strafbefehl erlassen wurde, die Bußgelder gezahlt haben. Ist das der richtige Weg?
Müller: Ja, natürlich. Also, ich glaube, es muss deutlich werden, dass sich Korruption nicht lohnt, dass es eindeutig zu wirtschaftlichen Nachteilen kommt und dass ein Unternehmen, das mit Korruptionshandlungen bekannt geworden ist, auch noch öffentliche Aufträge bekommt...
Das ist wirklich überfällig, dass so etwas eingeführt wird. Und von daher haben wir den Kabinettentwurf … Wir hoffen sehr, dass der noch vor Ende der Legislaturperiode im Bundestag auch beschlossen wird, denn das ist im Moment ja nur ein Vorschlag der Bundesregierung, dass das jetzt endlich eingeführt wird.
von Billerbeck: Nun ja, sie hat die Mehrheit im Bundestag, könnte man sagen, das ist irgendwie …
Müller: Ja, na klar, aber es hängen also noch eine Menge Gesetzentwürfe im Bundestag und …
von Billerbeck: Die da noch geschafft werden müssen.
Müller: Man muss die Daumen drücken.

Transparenz bei Transparency International

von Billerbeck: Ja. Nun sind Sie eine Antikorruptionsorganisation, Transparency International. Wie sorgen Sie denn dafür, dass Sie bei sich selbst nicht anfällig werden?
Müller: Ich bin ja Vorsitzende der deutschen Organisation. Wir versuchen – und Sie hatten vorhin schon den Begriff der Transparenz erwähnt –, zum Beispiel offenzulegen auch für die einzelnen Mitglieder im Vorstand und in verschiedenen Funktionen, woher kriegen wir eigentlich unser Geld, gibt es womöglich irgendwelche Interessenkonflikte. Also, alles dieses … Transparenz ist ein ganz wichtiges Instrument, um Korruption zu verhindern.
von Billerbeck: Man kann sich das ansehen auf der Seite von Transparency International.
Müller: Das kann man, ja. Da kann man genau sehen, …
von Billerbeck: Edda Müller war das.
Müller: … wer ich bin, ja.
von Billerbeck: Genau. Edda Müller war das von Transparency International, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Müller: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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