Ebola in Sierra Leone

"Berührungen sind nicht leicht zu vermeiden"

Fiebermessung am Flughafen von Freetown in Sierre Leone - die Gefahr von Ebola ist noch nicht gebannt
Fiebermessung am Flughafen von Freetown in Sierre Leone - die Gefahr von Ebola ist noch nicht gebannt © imago stock&people
Sung-Joon Park im Gespräch mit Ute Welty · 08.08.2015
Über 11.000 Ebola-Tote zählt die WHO in Westafrika - 28.000 infizierten sich mit dem aggressiven Virus. Besonders schlimm betroffen war Sierra Leone. Die Ausbreitung des Virus ist hier immer noch nicht gestoppt, sagt der Ethnologe Sung-Joon Park.
Ein Jahr nachdem die WHO angesichts der Ebola-Epedemie in Westafrika den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen hat, ist die Ausbreitung des Virus in Sierra Leone noch nicht gestoppt, berichtete der Ethnologe Sung-Joon Park nach einem dreiwöchigen Aufenthalt in Sierra Leones Hauptstadt Freetown.
"Die meisten Fälle, die jetzt auftreten, kommen tatsächlich aus einer Situation, wo die Menschen für einander sorgen und nicht wissen, dass der andere möglicherweise ein Ebola-Patient ist", berichtet Park, der in dieser Woche von einem dreiwöchigen Aufenthalt in Sierra Leone zurückgekehrt ist, über die aktuelle Ebola-Situation in dem westafrikanischen Land.
Zahl der Neuinfektionen ist zurückgegangen
Zwar sei die Zahl der Neuinfektionen in Sierra Leone zuletzt gravierend zurückgegangen, die Epidemie habe sich zum Positiven verändert: "Im Juli waren es in den letzten zwei drei Wochen 14 neue Fälle insbesondere in Freetown". Auch wüssten mittlerweile die meisten Menschen, wie die Ansteckung verhindert werden könne. Gleichwohl spielten Berührungen im Alltag, insbesondere bei der Pflege von kranken Angehörigen, eine große Rolle und "dies zu vermeiden, ist nicht immer leicht," sagte Park, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie der Universität Leipzig lehrt.
Bei der Ebola-Bekämpfung beispielsweise durch das Verbot traditioneller Bestattungsrituale, bei denen der Tote berührt wird, habe anfangs eine starke "militaristische Intervention" stattgefunden. Stattdessen stärker auf soziale Strategien zu setzen, hätte eine Lehre aus der Bekämpfung des HIV-Virus sein können, erläuterte der Ethnologe, der in Uganda untersuchte, wie das Land die Massenbehandlung von HIV institutionalisiert und reguliert und was passiert, wenn die Versorgung dieser überlebenswichtigen Medikamente unsicher wird.
Der Alltag ist weiter durch Ausgangssperren und wirtschaftliche Einbußen geprägt
Der Alltag der Menschen in Sierra Leone sei weiter durch Ausgangssperren und das Verbot öffentlicher Versammlungen eingeschränkt, berichtete Park, der in Sierra Leone für künftige Forschungsvorhaben Gespräche mit verschiedenen Organisationen, unter anderem der Universität und der Regierung, geführt hat. Vor allem in der Landwirtschaft habe die Epidemie gravierende Auswirkungen: "Bauern konnten ein ganzes Jahr lang ihre Felder nicht bestellen, und natürlich hat das Konsequenzen."
________________________________________

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Die jüngsten Schlagzeilen waren überraschend positiv, denn womöglich ist ein entscheidender Durchbruch im Kampf gegen Ebola gelungen, ein experimenteller Impfstoff hat nämlich bei klinischen Versuchen in Westafrika einen tatsächlich hundertprozentigen Schutz vor der tödlichen Krankheit geboten. Noch sind weitere Tests notwendig, aber vielleicht könnte das verhindert werden, was vor einem Jahr geschehen musste, nämlich dass die Weltgesundheitsorganisation WHO den Notstand für die Ebola-Gebiete ausrief. Ausgebrochen war die Epidemie bereits Ende 2013 in Guinea, Sierra Leone und Liberia, wo sich rund 28.000 Menschen infizierten, von denen mehr als 11.000 dann gestorben sind. Gerade aus Sierra Leone zurückgekommen ist Dr. Sung-Joon Park, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie der Universität Leipzig. Jetzt ist er hier zu Gast in "Studio 9", guten Morgen und herzlich willkommen!
Sung-Joon Park: Guten Morgen!
Welty: Dass sich Mediziner aufmachen in ein solches Krankheits-, in ein solches Katastrophengebiet, das liegt auf der Hand, aber was interessiert den Ethnologen?
Park: Vieles natürlich, aber vielleicht muss man dazu sagen, dass auch schon zu Beginn, also zur Hochphase der Krise schon sehr viele Ethnologen involviert waren. Insbesondere wenn es um Beerdigungsrituale, also allgemein um die Anpassung von Präventionsmaßnahmen ging, da waren Ethnologen schon immer mit dabei. Ich selbst bin jetzt nach Sierra Leone gereist, um ein Forschungsprojekt vorzubereiten. Wir Ethnologen arbeiten zu verschiedenen Gesundheitsthemen und ihren sozialen Konsequenzen, ich selbst habe sehr viel über HIV und Aids in Uganda gearbeitet. Sierra Leone ist ein neues Feld, und daher bin ich da jetzt hingereist, um mich umzuschauen, einen Eindruck zu bekommen, mit verschiedenen Organisationen zu reden, mit der Universität, mit Regierungsagenturen.
Welty: Wenn Sie sagen Uganda und HIV, können Sie da so nach einem ersten Eindruck schon sagen, es gibt Parallelen zu Sierra Leone und Ebola?
Park: Uh, das ist schwer zu sagen.
Welty: Schwierige Frage, ja, okay.
Bei der Bekämpfung hätte man aus der HIV-Epidemie lernen können
Park: Es kommt auf die, wie soll ich sagen, es kommt auf die Perspektive an. Natürlich gibt es verschiedene Parallelen, also beides findet irgendwo in Afrika statt, aber wenn man Details will, also wenn man Spezifischeres will, dann unterscheiden sich die beiden Krankheiten enorm natürlich. Andererseits gibt es, wie soll ich sagen, in den Maßnahmen zur Prävention, zur Bekämpfung natürlich bestimmte Entscheidungen, die getroffen wurden, von denen hätte man vielleicht aus der HIV-Epidemie lernen können.
Welty: Welche sind das?
Park: Ach, vieles. Es sind vor allem die sozialen Strategien, mit denen man versucht, die Menschen aufzuklären, und das war in der Ebola-Epidemie eine sehr stark militaristische Intervention, die sehr stark darauf abzielte, die sozialen Komponenten, insbesondere in den ersten Monaten, zu problematisieren, anstatt diese eben zu nutzen, um Gespräche zu führen.
Welty: Man hat sozusagen gegen das Beerdigungsritual gearbeitet und gesagt, das gehört verboten, anstatt zu sagen, was könnt ihr besser machen?
Park: Genau, um es so zu sagen, ja.
Welty: Wie sehr ist Sierra Leone denn immer noch beeinflusst von Ebola, wie sehr ist das öffentliche Leben immer noch eingeschränkt, denn zeitweise hatte man zumindest von Deutschland aus den Eindruck, das gesamte Land steht unter Quarantäne.
Der Alltag ist weiter durch Ausgangssperren eingeschränkt
Park: Ja, genau. Es ist ja jetzt mittlerweile anderthalb Jahre, und der Ausnahmezustand dauert jetzt auch seit mehr als einem Jahr an, es ist nicht natürlich nicht, das ganze Land ist unter Quarantäne, das ist es nicht, aber man merkt das im Alltagsleben natürlich. Es gibt verschiedene Sicherheitsmaßnahmen – Ausgangssperren, die nach wie vor verhängt wurden, das öffentliche Leben, also keine öffentlichen Versammlungen, Sie müssen immer aufpassen, vor öffentlichen Gebäuden müssen Sie immer Ihre Hände waschen. All das sind Sicherheitsmaßnahmen, die natürlich unglaublich notwendig sind, andererseits natürlich auch eine Einschränkung darstellen fürs Alltagsleben, insbesondere für das, was man als ein normales Leben bezeichnet, also sich frei bewegen, so, wie man es möchte, sondern man muss immer aufmerksam und vorsichtig sein.
Welty: Inwieweit ist auch die wirtschaftliche Existenz von Menschen betroffen?
Bauern konnten ein ganzes Jahr lang ihre Felder nicht bestellen
Park: Oh, das ist schwierig, glaube ich, jetzt einzuschätzen. Zumindest vor der Ebola-Epidemie wurde immer gesagt, dass Sierra Leone ein enormes Wirtschaftswachstum vorzuweisen hatte, und ich glaube, interessanter ist eher da, dass nach dem Krieg, nach dem Bürgerkrieg zum ersten Mal dieses Image eines Landes sich geändert hat – es wurde optimistischer –, und mit der Krise hat sich das natürlich ein bisschen verändert, radikal verändert. Ich denke, man muss abwarten, wie das dann aussieht. Aber landwirtschaftlich gesehen, die Folgen sind sehr gravierend: Bauern konnten ein ganzes Jahr lang ihre Felder nicht bestellen, und das hat natürlich enorme Konsequenzen.
Welty: Nichtsdestotrotz gibt es ja Zeichen der Entwarnung, der Erleichterung auch, aber wie groß ist im Umkehrschluss die Gefahr, dass die Seuche erneut ausbricht, wenn die Gefahr der Ansteckung jetzt beispielsweise nicht mehr so sichtbar ist. Ist das in den Köpfen der Menschen noch drin, wenn Sie sagen, gut, man muss sich die Hände waschen und so weiter, aber ist das wirklich so eingearbeitet schon?
Rückläufige Infektionszahlen
Park: Oh, das ist eine gute Frage. Also ich muss dazu sagen, ich war jetzt ja im Juli da, für einen relativ kurzen Aufenthalt, aber im Juli, also die Epidemie hat sich jetzt schon gravierend verändert – zum einen positiv, die Zahlen sind heruntergekommen, im Juli waren es die letzten zwei, drei Wochen, glaube ich, 14 neue Fälle, insbesondere in Freetown. Man fragt sich dann natürlich, warum gibt es immer noch neue Fälle, während in Liberia wiederum es kaum noch Fälle gibt. Und ich denke, dazu gibt es verschiedene Antworten eigentlich, aber die Frage ist natürlich ...
Welty: Sagen Sie mal das, was Ihnen am wahrscheinlichsten erscheint?
Park: Na ja, die meisten Menschen wissen jetzt natürlich mittlerweile, woher Ebola kommt, wie man sich ansteckt, was man machen muss, um es zu verhindern. Gleichwohl ist das Alltagsleben natürlich unglaublich viel durch Bewegungen, Berührungen bestimmt, und diese zu vermeiden, ist nicht immer leicht, also insbesondere, wenn Angehörige krank werden. Und die meisten Fälle, die jetzt auftreten, kommen tatsächlich aus so einer Situation, wo vermutlich die Menschen füreinander sorgen, nicht wissen, dass der andere möglicherweise ein Ebola-Patient ist.
Welty: Zu Gast in "Studio 9" der Leipziger Ethnologie Sung-Joon Park, der gerade aus Sierra Leone zurückgekommen ist. Ich danke für das Gespräch heute, denn heute vor einem Jahr rief die Weltgesundheitsorganisation WHO den Notstand für die Ebola-Gebiete aus, und ich wünsche Ihnen viel Erfolg für Ihre Forschung!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema