Ebola-Epidemie

Liberianer sind "sehr viel gelassener"

Ein Mann schiebt am 15. September 2014 in der liberianischen Hauptstadt Monrovia eine Karre mit Brot über eine Straße. Im Hintergrund hängt ein Schild mit der Aufschrift Stop Ebola.
Die Ebola-Epidemie breitet sich vor allem in Liberia stark aus. © pa/dpa
Moderation: Dieter Kassel · 18.11.2014
Der Schriftsteller Rainer Merkel ist in Ebola-Gebiete nach Liberia gereist. Nach seiner Rückkehr spricht er von einer "tollen Erfahrung", wie sich die Menschen gegen die Seuche behaupten.
Seine Freunde erklärten den Schriftsteller Rainer Merkel mitunter für verrückt, weil er in das Ebola-Gebiet nach Liberia gereist ist. Aber der Autor wollte in das afrikanische Land zurückkehren, wo er 2008 ein Jahr lang in einer psychiatrischen Klinik für die Hilfsorganisation Cap Anamur tätig war.
"Man hat natürlich mit eigenen Ängsten zu tun, aber das hat sich schnell gelegt", sagte er nach seiner Rückkehr im Deutschlandradio Kultur. "Selbst nach meiner Ankunft habe ich die Menschen, die dort vor Ort sind, als sehr viel gelassener erlebt als wir es hier sind", sagte Merkel.
Er sei hingefahren, um zu sehen, was eine Freundin vor Ort mit ihrer NGO mache. Es handele sich um eine studentische Initiative, die in die Dörfer fahre, um die Menschen über die Seuche aufzuklären.
"Es sind immer verzerrte Augenblicke, wenn man dort in einer so großen Gruppe in so ein Dorf kommt und die Leute so ein bisschen überfällt", sagte der Autor. Er habe es gut gefunden, dass liberianische Studenten das machten und keine internationalen Helfer. Sie seien mit Empfindlichkeiten und Traditionen in den Dörfern besser vertraut. Sie hätten auch so eine positive Einstellung und Leichtigkeit vermittelt.
"Wir haben immer in diesem klapprigen Bus, wo ich immer Angst hatte, dass er auseinander fällt, immer Lieder gesungen, bevor wir in die Dörfer gefahren sind", sagte Merkel. "Go Ebola go" und ähnliche Ebola-Lieder seien erklungen. "Das hat auch was Befreiendes dann halt." Das habe ihn sehr beeindruckt.
"Es war eine tolle Erfahrung, muss ich sagen. Einfach zu sehen, wie die Liberianer vor Ort sich behaupten gegen die Seuche", sagte er über Liberia, das mit 4,2 Millionen Menschen zu den kleineren afrikanischen Ländern zählt, aber bereits mehr als tausend Ebola-Tote vermeldet.
Das Interview im Wortlaut:
!Dieter Kassel:!! Vor dem Ausbruch der bisher größten Ebola-Epidemie, die Afrika je erlebt hat, wussten die meisten Menschen in Deutschland wohl nicht mal, wo genau auf diesem Kontinent Liberia überhaupt liegt, geschweige denn, was für ein Land das ist, wie die Menschen dort leben. Dem Schriftsteller Rainer Merkel geht es anders: Er hat ab 2008 ungefähr ein Jahr lang für die Hilfsorganisation Cap Anamur in der einzigen psychiatrischen Klinik des Landes gearbeitet, hat zwei Romane geschrieben, die sich mit Liberia beschäftigen, und er war jetzt wieder da, er ist gerade erst am Samstag zurückgekehrt von seiner Reise nach Liberia. Schönen guten Morgen, Herr Merkel!
Rainer Merkel: Ja, guten Morgen!
Kassel: Es heißt ja immer so schön, auch von offizieller Seite, es werde im Moment von nicht unbedingt notwendigen Reisen in Länder wie Liberia abgeraten. Sie sind trotzdem gereist. Warum war denn dann, um bei dieser Formulierung zu bleiben, für Sie diese Reise quasi unbedingt notwendig?
Merkel: Ja, das habe ich mich natürlich am Anfang auch gefragt, vor allem, wenn man die Reaktionen der Freunde mitbekommt, die einen natürlich auch mitunter für verrückt halten, dass man das macht. Man hat natürlich auch mit den eigenen Ängsten zu tun. Aber das hat sich schnell gelegt, als ich mit Leuten telefoniert habe, die in Monrovia leben und die dort mit der Krise zu tun haben, und das hat mich dann erstaunlicherweise wieder beruhigt.
Und selbst nach meiner Ankunft habe ich die Menschen, die dort vor Ort sind, als sehr viel gelassener erlebt, als wir es hier sind. Und ich habe auch mit Freunden, liberianischen Freunden, auch telefoniert, einer guten Freundin, die eine NGO betreibt, da habe ich mir noch große Sorgen gemacht, als ich mich nach ihr erkundigt habe und gedacht, ja, warum kann die das Land nicht verlassen? Und ein paar Wochen später bin ich halt doch selbst hingefahren, um zu sehen, was sie da mit ihrer NGO vor Ort macht und habe mich dem dann ausgesetzt. Es war eine tolle Erfahrung, muss ich sagen, einfach zu sehen, wie die Liberianer vor Ort sich da auch behaupten gegen die Seuche.
Kassel: Man muss das ja mal ein bisschen erklären. Afrika ist ein Land mit sehr vielen sehr bevölkerungsreichen Ländern. Liberia ist keins davon, da leben ungefähr 4,2 Millionen Menschen. Mehr als 1000 sind inzwischen am Ebola-Virus verstorben, mehr als 2500 sind infiziert. Man muss diese Zahlen relativieren, weil es eben auch so ein kleines Land ist. Das ist nicht wenig. Als Sie angekommen sind in Monrovia – ich hatte jetzt den Eindruck mit dem, was Sie erzählt haben – hatten Sie im ersten Moment zumindest gar nicht das Gefühl, Sie sind jetzt in einem anderen Land als damals vor fünf Jahren, als Sie dort gelebt haben?
Konfrontation mit der Krise
Merkel: Doch, das Gefühl hatte ich sofort. Hier gibt es zum Beispiel so einen kleinen Zubringerbus vom Flugzeug zum Flughafengebäude, und wenn man dort ankommt, wird man natürlich sofort mit der Krise konfrontiert, weil man sich sofort die Hände waschen muss und dann wird Fieber gemessen. Und man muss schon sagen, dass die Leute da sich schon auch darauf eingestellt haben. Ich meine, mit dieser NGO, die heißt „Kriterion", das ist eine NGO, die eigentlich sie gegründet hat, um so ein Filmfestival zu organisieren, und dann, als natürlich Ebola angefangen hat und auch die Universitäten geschlossen haben, haben diese Studenten eben sich dazu entschlossen, Ebola-Aufklärungskampagnen zu machen.
Die werden auch von einer deutschen NGO „arche noVa" heißt die, unterstützt. Und mit denen bin ich in so einem klapprigen Bus rausgefahren irgendwie zu den Dörfern, und dann kommt man dann an mehreren Checkpoints immer vorbei, wo überall Fieber gemessen wird. Und das ist halt dann natürlich so eine Normalität, an die man sich schnell gewöhnt, und gleichzeitig ist es natürlich nicht normal, wenn man in die Dörfer kommt und mit Menschen zu tun bekommt, die ihre Angehörigen verloren haben.
Kassel: Wie gehen denn zum Beispiel Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben, damit um? Ist das für sie einfach noch eine Möglichkeit, wie leider Menschen sterben, oder ist Ebola wirklich was ganz anderes?
Merkel: Na ja, also es kommt immer drauf an. Ich meine, es gibt immer wieder Momente, die auch sehr bedrückend sind. Wir haben in einem Dorf eine alte Frau besucht, die halt in Trauer darüber war, dass ihre Tochter verstorben war. Und dann haben diese NGO-Mitarbeiter mir gesagt, dass sie noch gar nicht weiß, dass nicht nur ihre Tochter gestorben ist, sondern auch alle ihre anderen fünf Kinder, und dass sie das ihr noch nicht mitgeteilt haben. Und im nächsten Moment ist diese Frau schon wieder fast fröhlich und bedankt sich bei uns und schenkt uns selbstgebrannte Nüsse. Man hat das Gefühl, sie kann damit schon wieder umgehen, mit diesem Tod.
„Go, Ebola, go"
Aber das sind auch immer so verzerrte Augenblicke, wenn man dort mit so einer großen Gruppe in so ein Dorf kommt und die Leute immer so ein bisschen überfällt. Aber es war gut, zu sehen, dass die Liberianer selbst, die Studenten da was machen und keine internationalen Helfer, weil sie halt auch die Empfindlichkeiten und Traditionen in den Dörfern kennen und auch so eine positive Einstellung dann haben und eine Leichtigkeit manchmal auch haben. Wir haben immer in diesem klapprigen Bus, wo ich immer Angst hatte, dass er auseinanderfällt, immer Lieder gesungen, bevor wir in die Dörfer gefahren sind. Die haben selbst so Anti-Ebola-Lieder gesungen, „Go, Ebola, go" oder „Kriterion coming, Ebola running". Und so sind wir in diese Dörfer reingefahren, und das hat auch Befreiendes dann halt. Das hat mich sehr beeindruckt.
Kassel: Sie haben Traditionen gerade erwähnt und haben vorher schon drüber gesprochen, dass die NGOs, mit denen Sie zu tun hatten, eben auch Aufklärungsarbeit leisten vor Ort zum Thema Ebola. Ich habe vor kurzem mit einer Frau, die sehr oft in Sierra Leone ist und sich da auskennt, darüber gesprochen, und die hat halt auch erzählt, dass es ein Kommunikationsproblem oft gibt und dass es zum Beispiel sehr schwierig ist, Menschen das Berührungsverbot zu vermitteln. Also man darf natürlich Menschen, die infiziert sind, nicht berühren, man darf die Leichen später nicht berühren, was nicht unbedingt den Traditionen entspricht. Haben Sie davon was mitbekommen, dass es da auch sehr schwierig ist, die Präventionsmethoden zu vermitteln?
Merkel: Ja, sicher. Ich glaube aber schon, dass selbst in den Dörfern viele diese sogenannte „no touch policy" verinnerlicht haben. Also ich habe in der ganzen Zeit nur ein einziges Mal erlebt, dass jemand mir die Hand schütteln wollte, aber das war, glaube ich, auch aus Höflichkeit und Unsicherheit mir gegenüber. Sonst haben sich die Leute wirklich dran gehalten. Man sieht es aber auch an Kleinigkeiten, dass es natürlich trotzdem in den Dörfern kompliziert ist. Die Leute haben dann zum Beispiel Angst vor dieser Desinfektionsgeschichte. Also da laufen ja die Menschen in Schutzanzügen da rum, wenn sie was desinfizieren, so ein Kasten auf dem Rücken und einer Sprühfunktion, und dann haben die Leute Angst, dass sie vergiftet werden. Das ist auch gar nicht so abwegig, weil dieses Verfahren sieht eigentlich wie Schädlingsbekämpfung aus. Und da das den Leuten zu erklären, dass dieses Spraying eigentlich ein Reinigen ist und kein Gift, das war zum Beispiel in einem Dorf ein großes Problem.
Im Landesinneren sind die Probleme am größten
Aber die Dorfälteste, mit der wir da gesprochen haben, eine Frau, die hatte aber gleichzeitig auch so ein kleines Fläschchen mit Desinfektionsmitteln in der Hand. Also diese Widersprüche gibt es dann immer wieder, dass die Leute zum Teil aufgeklärt sind, aber in manchen Punkten dann eben doch noch Probleme haben mit den Informationen. Das ist einfach auch nicht so ganz einfach, das eben zu machen. Und da ist diese NGO die einzige gewesen, die in diesem Dorf gewesen ist. Und gerade im Landesinneren sind die Probleme jetzt am größten. In Monrovia werden jetzt sehr viele Betten gebaut. Ich war auch mit dem Deutschen Roten Kreuz dann vor Ort. Da wird ein großes Krankenhaus jetzt gebaut. Aber man muss natürlich auch sagen: In Monrovia gibt es jetzt schon fast zu viele Betten, und die Versorgung ist dort eigentlich jetzt auch besser geworden – aber im Landesinneren ist es natürlich schon noch auch bedrohlich zum Teil.
Kassel: Herr Merkel, Sie sind Schriftsteller. Werden Sie die Eindrücke von dieser Reise in einem Roman oder etwas anderem verarbeiten, oder ist es noch zu früh für die Frage?
Merkel: Ja, ich bin natürlich auch mit dem Gedanken hingefahren, was zu schreiben. Ich werde das sicherlich auch machen. Für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" werde ich wahrscheinlich einen Text schreiben. Mal gucken, was noch so entsteht jetzt danach. Aber es war sicher auch für mich erst mal, na, ich würde nicht sagen, dass ich mich verpflichtet gefühlt habe, ich habe so eine Notwendigkeit gespürt, dass ich jetzt da hinfahre, weil ich eben diese Menschen da kenne. Irgendwie war das so ein Zwang, dass ich jetzt mir das anschaue und irgendwie vielleicht auch was anderes drüber schreiben kann als Journalisten, die jetzt einfach mal hinfahren und sonst noch nicht in Liberia gewesen sind.
Kassel: Der Schriftsteller Rainer Merkel war in Liberia, ist am Samstag erst zurückgekehrt von dieser Reise und hat uns davon erzählt. Herr Merkel, ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen alles Gute!
Merkel: Ja, vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema