E-Book

Singles für 99 Cent sind ein Flop

Kindle-Lesegerät in einer Bibliothek: Ladenhüter gibt es auch im E-Book-Bereich, ziemlich viele sogar.
Kindle-Lesegerät in einer Bibliothek: Ladenhüter gibt es auch im E-Book-Bereich, ziemlich viele sogar. © dpa / picture alliance / Thomas Eisenhuth
Johannes Haupt im Gespräch mit Maike Albath · 16.06.2015
Kurze Texte zum kleinsten Preis nennt man beim E-Book "Singles". Die Verlage setzten große Hoffnungen darauf, aber dieses Experiment ist wohl gescheitert. Es gebe keinen Bedarf dafür, meint Johannes Haupt, der Betreiber der Website lesen.net.
Maike Albath: Singles sind wieder in Mode, und zwar nicht auf Vinyl, sondern als E-Books. Also kurze Texte von Schriftstellern, die nur elektronisch und nicht auf Papier erscheinen. Günstig zu haben für 99 Cent. Groß angekündigt von den Verlagen, aber in der "Literarischen Welt" wurde das Projekt kürzlich als gescheitert betrachtet. Der Hanser Verlag hielt gestern per Twitter dagegen.
Johannes Haupt ist jetzt am Telefon, er ist Betreiber der Website lesen.net, das ist die Plattform für digitales Lesen. Herr Haupt, warum laufen denn diese Lese-Singles überhaupt nicht?
Johannes Haupt: Weil es keinen Bedarf gibt dafür. Der Versuch war auch so ein bisschen, Leser dafür zu begeistern, die bislang eher vielleicht nicht zum Buch greifen, sondern eher auf Apps herumspielen oder herumsurfen. Aber die erreicht man damit nicht. Und auch den tradierten E-Book-Leser, der tatsächlich auch ein Buch-Leser ist, der bevorzugt lieber lange, geschlossene Texte als 50-, 60-seitige Essays oder Reportagen.
Maike Albath: Und wie sehen Sie jetzt die Zukunft dieser Reihen überhaupt? Es wurde ja doch sehr als eine Möglichkeit der Verlage gesehen, mit der man jetzt neue Leser erreichen kann. Also wenn das gar nicht funktioniert, was passiert dann?
Johannes Haupt: Die Verlage müssen natürlich schauen, wo sie bleiben, also sehen ihre Felle so ein bisschen wegschwimmen, und haben herumexperimentiert mit günstig produzierten, kurzen Texten, auch günstig angeboten. Aber wenn das nicht funktioniert, wenn es keinen Bedarf gibt, dann werden diese Reihen über kurz oder lang wieder eingestellt.
Maike Albath: Und was könnte man dann stattdessen machen für den "neuen Leser", also jemand, der so urban, auf dem Handy unterwegs ist und auch kurze Texte kennenlernen will?
Johannes Haupt: Das ist die Gretchenfrage! Da wird viel experimentiert gerade. Im Prinzip sind diese Projekte auch genau richtig, also viel auszuprobieren. Aber die ultimative Lösung ist da noch nicht gefunden. Es gab ja auch schon Versuche, was naheliegt angesichts der ganzen Smartphone- und Tablet-Leser, auch "enhanced eBooks", also multimedial angereicherte E-Books an den Leser zu bringen. Allerdings gab es auch da bislang keine wirkliche Nachfrage. Also, die Frage bleibt offen.
Maike Albath: Was vertreten Sie auf Ihrer Seite? Welche Formen des Lesens oder Verlegens wären angebracht?
Johannes Haupt: Man muss dabei natürlich differenzieren zwischen der Leser- und der Autorensicht. Ein großes Thema sind ja gerade die E-Book-Flatrates, also Kindle Unlimited oder auch Skoobe von Random House und von Holtzbrinck, also von großen Verlagshäusern. Die buhlen so ein bisschen um die Lesergunst und werden auch sehr gut angenommen. Aber für die Verlage kommen da keine auskömmlichen Erlöse am Ende raus, so dass über kurz oder lang auf jeden Fall auch noch mal die Diskussion stehen wird, ob die Verlage sich da weiter engagieren. Als Verlag muss man einfach viel herumexperimentieren und so viel versuchen wie möglich.
Maike Albath: Haben Sie mal einen Selbstversuch gemacht mit einem dieser Titel, die jetzt vertreten werden? Also Nora Bossong ist darunter, es sind aber auch ganz populäre E-Books dabei, Javier Marías, kurze Texte von ihm... - Wie ist es Ihnen ergangen dabei?
Johannes Haupt: Ich hab mir mal ein Buch gekauft tatsächlich, von T.C. Boyle eine Kurzgeschichte. Habe da 2,99 Euro für 33 Seiten bezahlt und mich im Endeffekt ein bisschen darüber geärgert, weil ich da naheliegenderweise wirklich schnell durch war. Klar, 33 Seiten liest man relativ schnell runter. Ich habe dann mal den Preis pro Seite mir ausgerechnet, und der liegt tatsächlich zehn Mal höher als zum Beispiel bei 'nem "Sturz der Titanen" von Ken Follett, wo man für 1025 Seiten zehn Euro bezahlt, also ein Euro pro hundert Seiten im Prinzip. Und diese Kurzgeschichte von T.C. Boyle, das sind 10 Euro auf hundert Seiten, hochgerechnet, und doch ein deutlich schlechteres Preis-pro-Seite-, Preis-pro-Lektüre-Verhältnis. Hat Spaß gemacht, die Lektüre, aber so in Relation zu der Zeit, die ich dafür aufgewendet habe oder die mich das Buch unterhalten hat, war es einfach zu teuer letztendlich.
Maike Albath: Mir ist noch nicht ganz klar, warum das so wenig funktioniert. Diese Autoren haben ja zum Teil auch Leute, die ihnen folgen auf Twitter, und müsste man das noch stärker miteinander verschalten?
Johannes Haupt: Da muss man sicherlich auch ein bisschen differenzieren. Es gibt durchaus auch Kindle-Singles oder E-Book-Singles, die sich sehr gut verkaufen. Stephen King zum Beispiel ist da ein Vorreiter, der auch generell viel experimentiert. "Böser kleiner Junge" ist eine Kurzgeschichte gewesen, die auch in den Top Ten der Kindle-Charts war, also Amazon/Kindle, größte Plattform, also sich sehr gut verkauft hat. Andere populäre Autoren verkaufen sich durchaus auch als Kindle-Singles oder als E-Book-Singles, aber eben weil sie eh schon populär sind und nicht, obwohl sie populär sind. Oder anders gesagt, Autoren ohne eine große Community, Indie-Autoren, neue Autoren tun sich generell schwer, mit Kurzgeschichten auch Leser zu finden, weil tradierte Leser dann eben doch eher zum langen Text greifen.
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