Durs Grünbein: "Die Jahre im Zoo"

Besonderer Blick auf das Leben in der DDR

Bis heute sind die Leuchtbuchstaben des Schriftzuges "Zentralpoliklinik" auf der einstigen Poliklinik und dem heutigen Ärztehaus in Halle-Neustadt erhalten geblieben.
Durs Grünbein teilt seinen Blick auf das Leben in der DDR mit seinen Lesern. © picture-alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Von Helmut Böttiger · 05.12.2015
Durs Grünbein ist für den naturwissenschaftlich-empirischen Ton in seinen Texten bekannt geworden. In "Die Jahre im Zoo" erzählt er, wie es dazu kam - und eröffnet damit gleichzeitig einen ganz speziellen Blickwinkel auf das Leben in der DDR.
Von Durs Grünbein sind autobiografische Skizzen eher überraschend. Er ist früh berühmt geworden, weil er nach 1989 einen naturwissenschaftlich-empirischen, hochintellektuellen Ton jenseits aller althergebrachten Ich-Phantasien und Identifikationsangebote in die deutsche Gegenwartsliteratur einführte. Er wurde im Anschluss an Gottfried Benn als "Hirnhund" bezeichnet, als "poeta doctus", als gelehrter Dichter bestaunt, und wurde bereits 1995, mit 32 Jahren mit dem höchsten deutschen Literaturpreis, dem Büchnerpreis ausgezeichnet.
Es hatte durchaus etwas Junggenialisches, wie vom Himmel Gefallenes, was er in seinen herausragenden Gedichtbänden "Schädelbasislektion" und "Falten und Fallen" zu Papier brachte. Jetzt, in sehr persönlichen Aufzeichnungen mit dem Titel "Die Jahre im Zoo", beschreibt er sehr konkret, woher das alles kam – die Grundlagen für eine letztlich sich doch immer wieder entziehende literarische Existenz.
Tiere spielen eine große Rolle in seinen autobiografischen Texten
Die Jahre im Zoo, das sind die Jahre hinter Gittern, in der DDR – das ist die naheliegendste Assoziation, die er in seinem Buch suggeriert. Dass er als Kind als Berufswunsch "irgendetwas mit Tieren" angab, führt weiter in diese Bildwelt hinein. Tiere spielen eine große Rolle in diesen autobiografischen Texten, aber sie dienen meist nur als Ausgangspunkt für Reflektionen und Erinnerungsschübe, sie sind eine große Metapher.
Die "Fischwaren", die im Erdgeschoss seiner ersten Dresdner Kindheitswohnung angepriesen wurden, bilden in ihrer muffigen Konservenhaftigkeit, in ihrem erstickten braunen Schleim den atmosphärischen Hintergrund für das gesellschaftliche Umfeld, in das er hineinwuchs. Und dass sein Großvater Fleischhauer im Dresdner Schlachthof war, setzt dies fort: in der Erinnerung eines Spaziergangs mit ihm werden die Landschaft um die Elbe beredt, das Ostra-Gehege und die Caspar David Friedrich-Fluchtbewegungen.
Wie ein Kaleidoskop: Kurz schütteln - alles wieder neu
Aufgewachsen ist Grünbein aber in der Gartenstadt Hellerau, die als Projekt von Lebensreformern Anfang des 20. Jahrhunderts angelegt wurde, mit den "Deutschen Werkstätten" als erste, moderne Serienmöbelproduktion überhaupt und Besuchen von künstlerisch Gleichgesinnten wie Else Lasker-Schüler, Gottfried Benn und vor allem Franz Kafka, zu dem Grünbein viele ungeahnte, unerhörte Linien zieht. Wie er entlegene Kafka-Stellen ans Licht hebt und sie zum Funkeln bringt, ist äußerst suggestiv, und unter der Hand entsteht dabei so etwas wie eine Poetologie Grünbeins. Und die Schmetterlinge in der Gartenstadt, etliche Jahrzehnte später, machen sogar die Pubertät poetisch.
Hier entsteht Literatur aus dem Geist der Ingenieurtechnik, und das ist in dieser gewitzten, geistsprühenden und hakenschlagenden, immer wieder überraschenden Prosa ganz wörtlich zu verstehen: Grünbeins Vater arbeitete als Flugzeugingenieur. Ein Buch über die DDR, über Literatur, über einen ganz speziellen Blickwinkel auf Dresden und über das Kaleidoskopische an sich, wie es der Untertitel verheißt: man schüttelt kurz, und beim nächsten Blick ist alles wieder neu.

Durs Grünbein: Die Jahre im Zoo. Ein Kaleidoskop
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
400 Seiten, 24,95 EUR

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